Seit drei Wochen stehen ukrainische Truppen auf russischem Territorium. In dieser Zeit hat die ukrainische Armee nach eigenen Angaben knapp 600 Kriegsgefangene gemacht. Laut Präsident Wolodymyr Selenskyj ist die Offensive Teil eines größeren Plans. Außerdem arbeitet das Land an einer Verstärkung der eigenen Feuerkraft.

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Nach zwei Tagen verheerender russischer Luftangriffe auf die Ukraine macht Präsident Wolodymyr Selenskyj seiner Bevölkerung Hoffnung auf eigene Abwehrwaffen. Die Ukraine habe erfolgreich eine selbst entwickelte ballistische Rakete getestet, sagte Selenskyj in Kiew. Er gratulierte der ukrainischen Rüstungsindustrie zu dem Erfolg, nannte aber keine Einzelheiten.

Vor einigen Tagen hatte Selenskyj einen anderen ukrainischen Eigenbau vorgestellt, die Kampfdrohne Paljanytsja mit Jet-Antrieb. Bei der Feuerkraft weitreichender Waffen ist die Ukraine Russland weit unterlegen.

Knapp 600 russische Kriegsgefangene - bereit zum Austausch

Die ukrainische Armee hat nach Angaben ihres Oberbefehlshabers Olexander Syrskyj seit Beginn ihres Vorstoßes in das russische Gebiet Kursk knapp 600 Kriegsgefangene gemacht. Die Ukraine habe damit ihren Fonds für den Austausch von Gefangenen erheblich aufgefüllt, sagte der General nach Medienberichten bei einer Konferenz in Kiew.

Jetzt werden auch Gefechte an der Grenze der benachbarten Region Belgorod gemeldet.

Tausende suchen Schutz in der U-Bahn

Wegen des nächtlichen Luftalarms flüchteten nach Medienberichten 52.000 Menschen in Kiew in U-Bahnhöfe, die als Bunker dienen. Herabstürzende Trümmer lösten am östlichen Stadtrand der Millionenstadt Grasbrände aus. Alle Objekte im Anflug auf Kiew seien abgeschossen worden, teilte die Militärverwaltung des Kiewer Umlands mit. Treffer und Schäden gab es nach regionalen Behördenangaben in den Gebieten Sumy, Charkiw, Donezk, Cherson und Chmelnyzkyj.

Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe konnten fünf russische Marschflugkörper und 60 von 81 eingesetzten Drohnen abgefangen werden. Drei Hyperschallraketen Kinschal (Dolch) und zwei Raketen des Typs Iskander wurden nicht getroffen. Die Militärzahlen sind nicht im Detail überprüfbar, vermitteln aber einen Überblick über das Ausmaß des Angriffs.

Die Attacke richtete sich nach Einschätzung von Beobachtern erneut vor allem gegen das Energiesystem der Ukraine. Am Montag hatte Russland einen Angriff mit 127 Raketen und Marschflugkörpern sowie mehr als 100 Kampfdrohnen gegen die Ukraine geflogen. Das war die höchste vom ukrainischen Militär gemeldete Zahl in zweieinhalb Jahren Krieg.

Selenskyj: Dialog mit Putin ist sinnlos

Selenskyj bekräftigte unterdessen die Sinnlosigkeit eines Dialogs mit Kremlchef Wladimir Putin unter den gegebenen Umständen. "Die Welt wartet, dass die Ukraine einen Kompromissplan vorlegt, wie sie den Krieg morgen beenden kann", sagte er in Kiew. "Es ist nicht so, dass es keine Kompromisse mit Putin gibt, aber mit Putin ist der Dialog heute leer, bedeutungslos, weil er den Krieg nicht diplomatisch beenden will." Putin sei zwar zu diplomatischen Verhandlungen bereit, doch wolle er 30 Prozent der Ukraine behalten. "Und da werden wir mit ihm nicht mitspielen", betonte Selenskyj.

Bei der Abwehr der schweren russischen Angriffe von Montag und Dienstagmorgen seien auch die vom Westen gelieferten Kampfjets F-16 eingesetzt worden, sagte Selenskyj. Zugleich drängte er weiter darauf, dass westliche Partner Beschränkungen für den Einsatz der gelieferten Waffen gegen Militärziele in Russland aufheben. "Das ist so: Die Olympiade ist vorbei, aber das Pingpong geht weiter", beschrieb er die Gespräche.

Russland meldet versuchten ukrainischen Durchbruch an Grenze

Russische Behörden im Gebiet Belgorod melden versuchte ukrainische Vorstöße über die Grenze. Die Situation vor Ort bleibe schwierig, sei aber unter Kontrolle, schrieb der Gouverneur der Region, Wjatscheslaw Gladkow, auf seinem Telegram-Kanal. Nach unbestätigten russischen Medienberichten gab es Gefechte bei dem Übergang Nechotejewka sowie bei Schebekino. Dort sollen mehrere Hundert ukrainische Soldaten zum Teil mit Panzern im Einsatz sein.

Die ukrainische Seite äußerte sich nicht zu angeblichen Angriffen. Bei Schebekino wäre ein ukrainischer Vorstoß schwierig, weil die russische Armee seit ihrer Offensive vom Mai ukrainisches Gebiet vor der Grenze besetzt hält und in der umkämpften Stadt Wowtschansk steht.

Selenskyj nennt Kursk-Offensive Teil eines Siegesplans

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die im Moment laufende ukrainische Offensive in Kursk als Teil eines Siegesplans bezeichnet. Er wolle US-Präsident Joe Biden im September diesen Plan für den Sieg seines Landes im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg vorstellen, erklärte Selenskyj nach Medienberichten bei einer Veranstaltung in Kiew.

Den Vorstoß in das russische Gebiet bezeichnete er demnach als Erfolg. Die Offensive stehe in Zusammenhang mit einem zweiten Friedensgipfel, den die Ukraine nach der Premiere im Juni in der Schweiz bald abhalten will.

Der Siegesplan umfasst nach Angaben Selenskyjs verschiedene Bereiche. Es gehe etwa um den strategischen Platz der Ukraine in der Sicherheitsinfrastruktur der Welt, sagte Selenskyj. Details nannte er nicht. Allerdings hatte er unter anderem immer wieder erklärt, das Land zu einem der größten Waffenproduzenten der Welt machen zu wollen.

Russland schickt mehr Soldaten in Region Kursk

In der mit Belgorod benachbarten Region Kursk läuft seit Anfang August eine ukrainische Offensive. Dabei sind erstmals seit Kriegsbeginn ukrainische Bodentruppen auf russisches Gebiet vorgerückt. Das Grenzgebiet Belgorod dient den russischen Truppen als Aufmarschgebiet und Logistikstützpunkt. Von dort wird auch die ostukrainische Großstadt Charkiw beschossen. Immer wieder gibt es dort ukrainische Gegenangriffe.

Der ukrainische Oberbefehlshaber Syrskyj sagte, nach drei Wochen beherrschten seine Truppen auf russischem Gebiet 100 Ortschaften und knapp 1.300 Quadratkilometer Fläche. Militärbeobachter gehen jedoch davon aus, dass das Gebiet nicht ganz so groß ist. Auch könnten die ukrainischen Soldaten nach schnellem Vorrücken nicht überall das Gebiet in ihrem Rückraum kontrollieren.

Zur Abwehr des ukrainischen Vorstoßes habe Russland mittlerweile fast 30.000 Soldaten in die Region Kursk geschickt, und es würden noch mehr, sagte der Oberbefehlshaber. Insofern gehe der Plan auf, dass Moskau Truppen nach dort verlegen müsse. Allerdings haben sich allen Berichten zufolge die russischen Angriffe gerade im Gebiet Donezk nicht verlangsamt, wo die ukrainische Armee schwer unter Druck ist. (dpa/bearbeitet von sbi und ank)

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