Andrea Nahles ist zurückgetreten. Die Fraktionschefin der Linke, Sahra Wagenknecht, sieht im Umgang mit Nahles Züge von Mobbing. Außerdem erklärt ein Psychologe das grundsätzliche Problem der SPD mit Führungsfiguren.
Linksfraktionschefin
Es sei versucht worden, Nahles zur Alleinschuldigen zu machen, obwohl der Niedergang der SPD lange vor ihrer Zeit begonnen habe, sagte Wagenknecht. Viele ihrer Kritiker stünden für genau den Kurs des Sozialabbaus und der "GroKo-Kungelei", mit dem sich die SPD bei ihren Wählern um jeden Kredit gebracht habe.
Wagenknecht: Nahles als nur eine Schuldige gesucht
"Da soll dann offenbar nur ein Schuldiger gefunden werden, um die Debatte über den politischen Kurs zu verhindern. In dem Zusammenhang fanden dann auch all die unschönen Methoden Anwendung, die in Machtkämpfen in Parteien heute leider üblich sind."
Nahles hatte am Sonntag überraschend ihren Rücktritt vom Partei- und Fraktionsvorsitz angekündigt. Mehrere führende Parteimitglieder hatten den Umgang mit ihr anschließend als "schändlich" oder "beschämend" bezeichnet. Auch Wagenknecht sah sich lange Zeit innerparteilichen Angriffen ausgesetzt, die von einigen Parteimitgliedern als Mobbing bezeichnet wurden.
Im März kündigte sie überraschend an, sich aus gesundheitlichen Gründen vom Fraktionsvorsitz zurückziehen zu wollen. Die Neuwahl der Fraktionsspitze soll nun im Herbst stattfinden.
Wagenknecht: "Stärkt das Vertrauen in die Politik nicht"
Wagenknecht sagte, der Fall Nahles sei nicht mit ihrem vergleichbar, weil sie anders als die SPD-Politikerin keine Wahlverluste zu verantworten gehabt habe. "Aber die Art und Weise des Umgangs ist natürlich innerhalb vieler Parteien ähnlich, und da ist die Linke leider keine Ausnahme", fügte sie hinzu. "Wenn die Menschen wahrnehmen, wie in Parteien miteinander umgegangen wird, stärkt das sicher nicht das Vertrauen in die Politik."
Wagenknecht glaubt auch, dass Frauen es grundsätzlich schwerer haben in politischen Führungspositionen. Es sei zwar schon so, dass so etwas wie Nahles auch Männer passieren könne. "Aber natürlich werden an Frauen teilweise andere Maßstäbe angelegt. Einem Mann hätte man das Absingen von Karnevalsliedern oder eine rustikale Ausdrucksweise vielleicht noch durchgehen lassen."
Psychologe: SPD habe grundsätzlich Probleme mit Führungsfiguren
Psychologe Stephan Grunewald sieht beim teils ruppigen Umgang der SPD mit Nahles ein grundsätzliches Problem der Sozialdemokraten mit Führungsfiguren zurück.
"Das hängt damit zusammen, dass die SPD immer eine Brüdergemeinschaft war, die der Solidarität verpflichtet war", sagte der Autor des Buchs "Wie tickt Deutschland?" der Deutschen Presse-Agentur in Köln. Derjenige, der Erster unter Gleichen sei, durchbreche die Gleichheit der Brüder. "Und dem begegnet man tendenziell mit Argwohn. Man braucht dann schon Vaterfiguren wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt, die von der Brüdergemeinschaft akzeptiert werden - jedenfalls solange sie im Zenit ihrer Macht stehen."
CDU folgt als Unternehmerpartei dem Führerprinzip
Dagegen sei die CDU eine Unternehmerpartei mit patriarchischen Zügen. "Sie folgt dem Führerprinzip. Die SPD hat dagegen das Solidar- oder Brüderprinzip gesetzt. Sobald ein Oberbruder oder eine Oberschwester Schwächen zeigt, scharren die anderen mit den Füßen."
Vor zwei Jahren habe die Partei mit Martin Schulz, Sigmar Gabriel und Hannelore Kraft noch über Persönlichkeiten mit einer gewissen Strahlkraft verfügt, doch mittlerweile seien sie alle in der Versenkung verschwunden. Die Frage ist jetzt, wer auf Nahles folgen könnte.
Personaldebatten bewahren SPD vor Aufarbeitung
Durch die vielen Führungswechsel befinde sich die SPD mittlerweile in einem Dilemma, das ihn an die russischen Matrjoschka-Puppen erinnere: "Sie köpfen immer eine Führungsfigur und ziehen dann eine kleinere hervor. Das geht jetzt schon seit 20 Jahren, und jetzt sind wir bei Andrea Nahles angekommen. Diesen Selbstschrumpfungsprozess gilt es aufzuhalten."
Die endlosen Personaldebatten bewahrten die SPD bisher vor einem schmerzhaften, aber dringend notwendigen Prozess der Aufarbeitung. "Solange sich die Partei mit sich selbst beschäftigt, hat sie den Blick nach innen gerichtet und muss sich nicht mit der Kränkung auseinandersetzen, dass nur noch von 15 Prozent der Wähler mit ihr etwas anfangen können. Hier wären Trauerarbeit und eine inhaltliche Neuausrichtung wichtig." (dpa/sap) © dpa
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