Die Partei sucht eine neue Führung – am liebsten als Doppelspitze. Die Sozialdemokraten wollen damit endlich einen Weg aus der Krise finden. Doch das aufwendige Verfahren birgt auch Risiken.

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Sieben Vorsitzende hat die SPD in den vergangenen 20 Jahren gehabt – die kommissarischen Parteichefs nicht mitgerechnet. Aus dem Stimmungstief sind die Sozialdemokraten trotzdem nicht gekommen. Nun läuft das Verfahren für den nächsten Versuch: Bis zum 1. September können sich Kandidaten für den schwierigen Job an der Parteispitze melden. Erstmals sind Doppelspitzen zulässig, die Parteibasis soll mitreden können. Gelingt damit der Befreiungsschlag?

Zwei Vorsitzende in der SPD – mehr Streit?

Linke, Grüne und AfD haben bereits Doppelspitzen in Partei und Fraktion. Das Modell hat den Vorteil, dass sich damit unterschiedliche Gruppen repräsentieren lassen: Frau und Mann, Jung und Alt, linker und konservativer Flügel. Ein Vorteil sei das Modell aber nur, wenn sich die beiden Vorsitzenden gut verstehen, sagt Uwe Jun, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier.

"Wir haben bei anderen Parteien gesehen, dass die Doppelspitze zur Belastung werden kann, wenn das nicht der Fall ist", so Jun im Gespräch mit unserer Redaktion. Dass sich bei der SPD nun Doppelspitzen gemeinsam bewerben können, sei der Versuch, einem Streit vorzubeugen. "Eine Gewähr, dass sich die beiden dauerhaft verstehen, ist das aber noch nicht."

Der Heidelberger Politikwissenschaftler Klaus von Beyme ist selbst SPD-Mitglied. Er persönlich sei gegen die Doppelspitze, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Sie sei in dieser Situation eher eine Notlösung, weil eine einzelne herausragende SPD-Persönlichkeit nicht in Aussicht sei. "Das Problem bei einer Doppelspitze ist, dass die beiden Vorsitzenden ständig auf sich Rücksicht nehmen müssen", sagt der Experte. Darunter leide dann die Profilierung.

Eine Einzelperson kann es leichter haben, Themen zu setzen und das Profil der Partei zu schärfen – und das ist nach Von Beymes Einschätzung bitter nötig. Er glaubt, dass die SPD wieder stärker auf linke Positionen setzen muss: "Sie sollte Probleme wie zum Beispiel den Klimawandel nicht alleine den Grünen überlassen."

Partei-Promis zögern noch

Bis zum 1. September können sich Interessenten bewerben. Dafür brauchen sie jedoch die Unterstützung von mindestens fünf Unterbezirken, einem Bezirk oder einem Landesverband der Partei. Danach stellen sich die verbliebenen Bewerber und Teams auf Regionalkonferenzen der Basis vor. Dann erfolgt eine Mitgliederbefragung – oder auch zwei, wenn kein Duo oder kein Einzelbewerber mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommt.

Der Vorstand schlägt schließlich einem Parteitag vor, die Sieger des Entscheids an die Spitze zu wählen. Drei Duos und zwei Einzelbewerber haben bisher ihr Interesse bekundet. Nur die frühere nordrhein-westfälische Familienministerin Christina Kampmann und Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, haben das nötige Quorum für ihre gemeinsame Kandidatur bereits erreicht.

Gemeinsam haben alle Bewerber, dass sie bisher wenig bekannt sind. Einen Neuanfang könnten sie womöglich glaubhafter verkörpern als bekanntere Sozialdemokraten. Allerdings kann fehlende Bekanntheit auch ein Nachteil sein. Nach Einschätzung von Uwe Jun zeigt das Beispiel der Grünen Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock zwar, dass auch ein zuvor wenig bekannter Politiker erfolgreich sein kann. Allerdings sei dann eine "erhöhte kommunikative Anstrengung" nötig.

Prominentere Sozialdemokraten halten sich bisher bedeckt. Klaus von Beyme glaubt, dass zum Beispiel Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Juso-Chef Kevin Kühnert den Schritt bald noch wagen könnten. "Sie werden sich aber bedeckt halten, bis es so weit ist."

Auch Uwe Jun kann sich vorstellen, dass bekanntere Sozialdemokraten demnächst ihr Interesse anmelden. "Sie werden sich aber bemühen, sich zunächst die nötige Unterstützung zu sichern, und dann erst ihren Hut in den Ring werfen."

Marathon mit 23 Konferenzen

Die Führungssuche ist aufwendig – und stößt auf Vorbehalte. Sie sei "insgesamt unzulässig", sagte der Parteienrechtler Jörg Ipsen der "Welt". Eine Doppelspitze sehen die Statuten der SPD gar nicht vor. Die Möglichkeit müsste der Parteitag nach dem Bewerbungsverfahren erst noch schaffen. Der SPD-Politiker Matthias Machnig schrieb in einem Gastbeitrag für den "Spiegel": "Das einzige bisher erkennbare Ergebnis ist ein immer offener zutage tretendes Machtvakuum, gepaart mit Orientierungs- und Richtungslosigkeit."

Politikwissenschaftler Jun kann dem Verfahren durchaus etwas abgewinnen: "Grundsätzlich ist es sinnvoll, die Mitglieder bei der Auswahl zu beteiligen. Die Partei kann ihre Kandidaten damit auch in der Öffentlichkeit bekannter machen."

Das Problem sei jedoch, dass das Verfahren jetzt schon sehr lang sei. Die SPD plant 23 Regionalkonferenzen, auf denen sich die Bewerber vorstellen sollen. Die CDU war noch mit acht Terminen ausgekommen, als sie Ende vergangenen Jahres eine neue Parteispitze suchte.

Uwe Jun hält es auch im Fall der SPD für sinnvoll, die Zahl zu beschränken. "Bei mehr als 20 Regionalkonferenzen wird das für die Kandidaten zu einem Marathon, der schlauchen kann", sagt der Wissenschaftler. "Das könnte auch für die Mitglieder und die potenziellen Wähler anstrengend werden."

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Klaus von Beyme, Universität Heidelberg
  • Gespräch mit Prof. Dr. Uwe Jun, Universität Trier
  • Spiegel.de: SPD-Führungssuche. Mutlos, ratlos, führungslos
  • SPD.de: Wer soll's werden – entscheide mit!
  • Welt.de: Von Anfang an verkorkst
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