Frau gegen Mann, Kapitänin gegen "Il Capitano", Seenotretterin gegen Hardliner in Flüchtlingsfragen: Der Streit um die "Sea-Watch 3" erreicht eine neue Eskalationsstufe. Carola Rackete ignoriert ein Verbot Italiens. So wird sie zum Star und Feindbild zugleich.

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Matteo Salvini bezeichnet sich selbst als "Il Capitano", als Kapitän und Anführer einer Nation. Nun hat Italiens rechtspopulistischer Innenminister Konkurrenz bekommen - zumindest was diesen Titel betrifft: von "La Capitana", der deutschen Kapitänin Carola Rackete.

Die 31-Jährige hat sich über ein Verbot hinweggesetzt, das Salvini erlassen hat und das das Herzstück seiner Anti-Migrationspolitik ist. Sie ist mit dem Schiff der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch mit 42 Migranten an Bord in italienische Gewässer gefahren - obwohl sie das laut Salvinis Dekret nicht darf.

"Natürlich ist das keine Situation, die ich mir gewünscht habe", sagt Rackete, die in Preetz bei Kiel geboren und in Hambühren in Niedersachsen aufgewachsen ist. Sie habe aber die Verantwortung für die Menschen an Bord. "Es herrschen Verzweiflung und Frustration."

Die Leute hätten gedroht, über Bord zu springen und seien durch die Flucht schwer traumatisiert. Deshalb habe sie sich zu dem Schritt entschlossen. Nicht, weil sie sich als Gegenspielerin des Innenministers Salvini sehe. "Sein Gegenspieler ist hier die ganze Zivilgesellschaft."

Also alle, die nicht mit der harten Linie der populistischen Regierung in Rom übereinstimmten. "Es gibt ein Recht auf Rettung. Es geht um das Prinzip der Menschenrechte." An Land durften die Migranten dennoch bisher nicht.

Strafen schrecken Carola Rackete nicht ab

Auf Schiffen kennt sich Carola Rackete aus. Sie hat eine Ausbildung als Nautische Offizierin in Norddeutschland gemacht. Bevor sie zu Sea-Watch ging, stand sie unter anderem für Greenpeace und das Meeresforschungsinstitut Alfred-Wegener-Institut auf der Schiffsbrücke. Dort ging es damals um Polarforschung.

Jetzt also Mittelmeer in brütender Sommerhitze. Rackete ist klar, dass sie eine hohe Geldstrafe in Italien riskiert. Im schlimmsten Fall könnte ihr sogar eine Haftstrafe drohen. Die Staatsanwaltschaft in Agrigent hat nach Medienberichte Ermittlungen aufgenommen.

Rackete war klar, auf was sie sich bei dieser Fahrt mit der "Sea-Watch 3" eingelassen hat. "Jeder weiß, dass es einen selbst treffen kann", sagt sie.

Vor allem seit der "Kriminalisierung" der Seenotretter und dem Fall des deutschen Rettungsschiffs "Iuventa". Das Schiff wurde im August 2017 beschlagnahmt, gegen die Crew wurde unter anderem wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt. Auch die deutsche Kapitänin Pia Klemp muss sich demnächst in Italien vor Gericht verantworten.

Und in Malta wurde der Kapitän der Dresdner Organisation Mission Lifeline, Claus-Peter Reisch, zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er die "Lifeline" mit mehr als 230 Migranten im vergangenen Sommer in maltesische Gewässer gesteuert hatte.

Eine Kapitänin als Star und Feindbild

In Italien wird Rackete von linksgerichteten Politikern als "mutige Frau" und "Hoffnung auf eine menschliche Welt" gefeiert. Für die anderen ist sie ein Feindbild. Die Chefin der Rechtspartei Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni, sagte, die "Sea-Watch 3" müsse "versenkt" werden. Italiens Agrarminister Gian Marco Centinaio meinte, Rackete gehe mit den Italienern wie mit "Dorftrotteln" um.

Salvini selbst erklärte gewohnt sarkastisch: "Die Kapitänin als Heldin der Linken, reich geboren als Weiße in Deutschland, sollte ehrenamtliche Tätigkeiten in Deutschland machen statt 42 Menschen 15 Tage in Geiselhaft zu nehmen."

In der Zeit nämlich, in der das Schiff vor Italien warte, hätte es längst in die Niederlande fahren können. Schließlich fährt es unter niederländischer Flagge. Er hoffe, dass nicht noch mehr reiche, weiße Deutsche kämen, um den Italienern "auf den Sack" zu gehen.

Seerechtlich ist die Lage vertrackt

Für den Chef der rechten Lega ist es ein Präzedenzfall nach seinem "Sicherheitsdekret", das Geldstrafen bis zu 50.000 Euro für Hilfsorganisationen vorsieht, wenn sie unerlaubt nach Italien fahren. Er wird alles daran setzen, seinem Image als starker Mann gerecht zu werden. Nur dass es bei dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen ihm und Sea-Watch um Menschen geht, die aus welchen Motiven auch immer aus ihrer Heimat geflohen sind.

Seerechtlich ist die Lage vertrackt. "Das Recht liegt etwas mehr auf Seiten der NGO, aber letztlich regelt das Seevölkerrecht nicht, wie diese Situation zu lösen ist", sagt Valentin Schatz vom Lehrstuhl für Internationales Seerecht an der Universität Hamburg der dpa.

Nach dem Nothafenrecht müsse die Einfahrt in den Hafen gestattet werden, wenn das Leben von Menschen in Gefahr sei. Das heißt aber nicht, dass sie das Schiff verlassen dürfen, sie können auch an Bord versorgt werden. Nur medizinische Notfälle müssen zur Behandlung von Bord gelassen werden. Das ist im Fall Sea-Watch geschehen.

Ins Bürgerkriegsland Libyen dürfe das Schiff nicht geschickt werden, weil das kein sicherer Hafen sei und einen Verstoß gegen die Menschenrechtscharta bedeute. Italien ist aber auch nicht verpflichtet, die Migranten aufzunehmen. "Eine Änderung der Seenotrettungsregeln wäre nicht die Lösung", so Schatz, "sondern eine europäische Migrationspolitik". Darüber streitet Europa aber seit Jahren.

Bis dahin kann Rackete nur auf Solidarität bauen. Die kommt von Menschen, die Ähnliches erlebt haben. Der frühere Kapitän des Rettungsschiffs "Cap Anamur" und jetzige Flüchtlingsbeauftragte von Schleswig-Holstein, Stefan Schmidt, sagte: "Ich bewundere Frau Rackete, denn unter diesen Umständen die Nerven zu behalten und eine Stütze zu sein auch für die Flüchtlinge an Bord, ist alles andere als einfach."

Schmidt hatte 2004 mit der "Cap Anamur" Sizilien trotz eines Verbots angelaufen. An Bord waren 37 Flüchtlinge. Das Schiff wurde beschlagnahmt. Schmidt musste sich vor Gericht wegen Beihilfe zur illegalen Einreise verantworten. Er wurde Jahre später freigesprochen. (ank/dpa)

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Teaserbild: © Till M. Egen/Sea-Watch.org/dpa