• Wie krisenfest ist Deutschland in der Corona-Pandemie? Das hat die Bertelsmann Stiftung untersucht.
  • Im Vergleich zu anderen Industrienationen schneidet Deutschland sehr gut ab.
  • Die neue Ampel müsse aber einiges neu anpacken.

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In der Corona-Pandemie haben sich Demokratie, Staat und Verwaltung, Wirtschaft und soziale Sicherung einer Analyse zufolge in Deutschland als robust erwiesen. Die Bundesrepublik schneide bei der Krisenfestigkeit im internationalen Vergleich unter 29 Industrieländern gut ab, liege nach Schweden und Neuseeland in der Spitzengruppe, hieß es in einer Studie der Bertelsmann Stiftung.

Dafür waren 94 Indikatoren von Februar 2019 bis Januar 2021 - also im ersten Corona-Jahr - untersucht worden, mehr als 70 Experten hatten Länderberichte erstellt. Berücksichtigt wurden Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) und Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Deutschlands Defizite erfordern einen Neustart

Dennoch gebe es auch hierzulande erhebliche Defizite, die neue Ampelregierung müsse bei Digitalisierung und Krisenvorsorge einen Neustart angehen, forderten die Studienautoren am Freitag in Gütersloh. Bewertet wurden die drei Säulen Widerstandsfähigkeit der Demokratie, Organisation des Krisenmanagements von Politik und Behörden sowie drittens die Robustheit von Wirtschaft und Sozialstaat in der Pandemie.

Im Teilbereich Demokratie-Robustheit erhielten Polen, Ungarn und die Türkei die schlechtesten Noten. "Dort nutzen Regierungen die Pandemie, um Bürgerrechte auf Dauer einzuschränken." Es zeigte sich, dass es in Staaten, in denen demokratische Werte wie Freiheit der Medien, Unabhängigkeit der Justiz oder Bürgerrechte schon vor der Krise gefährdet waren, weitere "besorgniserregende Rückschritte" gab, wie die Erhebung betonte.

In den allermeisten Ländern seien die Parlamente ins Krisenmanagement schlecht eingebunden gewesen, vor allem wegen des hohen Zeitdrucks. Deutschland kam hier zusammen mit Portugal auf Platz 6.

Bund-Länder-Konstellation als "Baustelle"

Beim Krisenmanagement - bewertet mit Rang 5 - habe es auch in der Bundesrepublik im ersten Pandemie-Jahr wegen Kompetenzgerangels gehakt, bilanzierte die Untersuchung. So hätten sich etwa bei Kontaktnachverfolgung und Daten-Management viele Schwächen gezeigt, sagte Studienautor Christof Schiller der Deutschen Presse-Agentur. Es brauche mehr Transparenz.

Es gehe um schnelle und anschauliche Vermittlung von Daten an die Bürger. "Damit sie gut informiert sind und die Akzeptanz der vielen einschränkenden Maßnahmen erhöht wird." Aus der Zivilgesellschaft müssten mehr Experten bei politischen Entscheidungen hinzugezogen werden - Gewerkschaften, Arbeitgeber, Umwelt- oder auch Sozialverbände.

Zunächst habe sich unter den politischen Akteuren eine recht gute Kompromissfähigkeit gezeigt, die dann aber bröckelte, meinte Schiller. "Die Profilierung der jeweiligen Länder-Regierungen wurde wichtiger, der Bund-Länder-Grundkonsens nahm ab." Man sehe hier eine "Baustelle", beim koordinierten Vorgehen müsse Deutschland besser werden. Es brauche zudem vorausschauende Politikansätze.

Deutsches Schulsystem landet auf den hinteren Rängen

Die schleppende Digitalisierung habe auch den Bildungsbereich getroffen. Bei der Krisenanfälligkeit des Schulsystems schneide die Bundesrepublik mit Rang 15 eher schlecht ab. Hier gebe es hohen Reformbedarf. Vor allem Schüler aus bildungsfernen Familien seien in den Homeschooling-Phasen kaum von den digitalen Angeboten erreicht worden, kritisierte Schiller.

Bei der dritten Säule sieht die Studie Deutschland insgesamt auf dem 2. Rang - in dem Unterbereich Wirtschaftspolitik dabei sogar auf dem internationalen Spitzenplatz. "Dank umfassender Kurzarbeiterregelung und solider Staatsfinanzen", wie Wirtschaftsexperte und Co-Autor Thorsten Hellmann schilderte. Auch die sozialen Sicherungssysteme seien im ersten Pandemie-Jahr stabil geblieben. Zudem habe das starke Gesundheitssystem Deutschland unter deutlich günstigeren Vorzeichen in die Pandemie starten lassen als viele andere Staaten.

Laut Studie rangierten bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik Japan und Frankreich im Mittelfeld, die USA im unteren Drittel, Mexiko bilde das Schlusslicht. Alle Staaten hätten sich in der Krise "massiv verschuldet." (hub/dpa)

In der Corona-Sondererhebung wurden 29 Staaten der OECD und EU anhand von 94 Indikatoren bewertet und verglichen. Die Beurteilung erfolgte durch mehr als 70 internationale Experten, die jeweils detaillierte Länderberichte für einen Staat erstellen. Drei Säulen bildeten die Basis: Die Robustheit zentraler demokratischer Institutionen, zweitens Krisenvorsorge, -reaktion und Rechenschaftslegung von Politik und Behörden. Drittens die Krisenanfälligkeit der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Erhebungszeitraum war Mitte November 2019 bis Mitte Januar 2021.
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