Und plötzlich ist der Terror ganz nah: Unsere Korrespondentin Mirjam Moll lebt und arbeitet in Brüssel. Hier berichtet sie, wie sie den Tag erlebt hat, an dem die europäische Metropole zum Ziel mehrerer Terroranschläge wurde.

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Mitten in Brüssel, im sogenannten Europäischen Viertel, dem Schaltzentrum der EU, wo Kommission, Rat und Parlament ihren Sitz haben, detoniert eine Bombe. Als es passiert, bin ich ganz woanders unterwegs – noch völlig erschüttert von der Nachricht, die mich am Morgen vom Brüsseler Flughafen Zaventem erreichte.

Dorthin zu kommen, um vor Ort zu berichten: unmöglich. Das Gebiet um den Airport, der um kurz nach acht Uhr zum Ziel zweier terroristischer Anschläge wurde, war innerhalb kürzester Zeit abgeriegelt. Die Bilder, die ich schließlich über lokale Nachrichtensender verfolge, erfüllen mich mit Bestürzung. Denn die Szenen, die Schreie, die verletzten und teils verstümmelten Menschen, erinnern an eine Übertragung aus dem Nahen Osten.

Zwar war die Gefahr eines Anschlags auch in Brüssel in den vergangenen Monaten immer allgegenwärtig. Doch auf das, was an diesem Tag hier passiert ist, war ich nicht vorbereitet.

Oft genug bin ich an dieser Metrostation ausgestiegen

Der Schock sitzt tief, als sich die Nachricht eines weiteren Anschlags blitzschnell verbreitet – nur einen Steinwurf von meiner Wohnung entfernt.

Oft genug bin ich selbst an dieser Metrostation ausgestiegen, in Maelbeek. Sie liegt nur wenige hundert Meter von der Kommission und dem Ratsgebäude entfernt, wo vergangene Woche noch Europas Staats- und Regierungschefs mit der Türkei über eine Lösung in der Flüchtlingskrise verhandelten.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind bei solchen Veranstaltungen immer extrem hoch. Wer sich vorab nicht angemeldet hat, kommt nicht einmal in die Nähe des Ratsgebäudes. Vorbeilaufen darf nur, wer einen besonderen Ausweis besitzt. Die Metrostation Schuman ist an solchen Tagen generell geschlossen. Die Ausfallroute verläuft über Maelbeek.

"Das ist Horror, erst Paris und nun Brüssel"

Zu wissen, dass ich dort noch vor wenigen Tagen selbst ausgestiegen bin, lässt mich erschaudern. Selbst heute Morgen hatte ich vor, mit der Metro zu fahren, entschied mich dann aber für den Fußweg.

Während ich mich um Kollegen sorge, die oft dort unterwegs sind – zu Terminen im Parlament, einem Pressegespräch oder einem Briefing – erreichen mich Nachrichten beunruhigter Freunde. "Bist du aktuell in Brüssel?", fragt mich meine beste Freundin über WhatsApp – in der Hoffnung, dass ich mich bereits in den Osterurlaub verabschiedet habe.

"Ich hoffe, es geht dir gut", schreibt eine Französin aus meinem früheren Kollegenkreis. Sie lebt selbst unter den verschärften Sicherheitsvorkehrungen, die seit dem 13. November in ihrem Land gelten: "Das ist Horror, erst Paris und nun Brüssel."

"Wir wissen nicht, wo du gerade steckst…"

Sogar meine Nachbarn melden sich und atmen auf, als sie hören, dass mir nichts passiert ist. Meinen Vater rufe ich an, als eine E-Mail auf meinem Bildschirm erscheint. "Wir wissen nicht, wo du gerade steckst…" Meine Mutter, eine Lehrerin, ist zum Zeitpunkt der Anschläge in der Schule und unterrichtet. Sie erfährt erst am Nachmittag von dem, was sich hier in Brüssel in unmittelbarer Näher meiner Wohnung abspielte.

"Pass bloß auf dich auf", lautet die eindringliche Bitte meiner Familie, Freunde und Bekannten. Schließlich informiere ich über Facebook, das kurzfristig den Status "Bin in Sicherheit" eingerichtet hat, alle übrigen, die sich womöglich um mich sorgen.

Der deutsche Botschafter Rüdiger Lüdeking in Brüssel, fordert unterdessen alle Bundesbürger auf: "Bitte bleiben Sie, wo Sie sind. Gehen Sie nicht aus dem Haus. Vermeiden Sie öffentliche Plätze." Eine Warnung, die zuvor bereits von den belgischen Behörden ausgesprochen worden war – gleich nachdem die Terrorwarnstufe wieder von Drei auf Vier, der höchsten Gefahrenstufe, erhöht worden war.

Keiner kommt raus, keiner kommt rein: ein beengendes Gefühl

Die Behörden gehen davon aus, dass möglicherweise noch weitere Terroristen in der Stadt unterwegs sind. Also drinnen bleiben. Von meiner Wohnung aus kann ich lange Zeit die Sirenen hören, die von allen Richtungen zu kommen scheinen und die Stadt durchdringen.

Am Nachmittag wird es dann fast gespenstisch ruhig. Kein Feierabendverkehr mit hupenden Autofahrern, denen die Geduld verloren geht, keine Busse, die durch die Straßen brausen, kein Metroverkehr. Die Bahnhöfe sind geschlossen, der Fernverkehr der Deutschen Bahn von und nach Brüssel bis auf Weiteres eingestellt. Es ist praktisch unmöglich, die Stadt zu verlassen – oder in sie hineinzukommen. Ein beängstigendes und beengendes Gefühl.

Angst hatte ich in Brüssel zuvor noch nie. Auch nicht, als im November vergangenen Jahres die Stadt einem totalen "Lockdown" unterworfen wurde, fast eine Woche lang. Damals war die Gefahr noch nicht zu jener brutalen Realität geworden, die uns alle an diesem Dienstag eingeholt hat. Diesmal scheint die Stadt wirklich vor Angst erstarrt.

Menschen in Brüssel wollen sich Lebenslust nicht nehmen lassen

Doch erster Trotz regt sich: Auf sozialen Plattformen kursiert ein Bild des Wahrzeichens von Brüssel, "Manneken Pis": Sein Strahl macht ein auf dem Boden liegendes Maschinengewehr unschädlich.

Ihren Humor und ihre Lebenslust wollen sich die Bewohner dieser Stadt, wie auch ich, nicht nehmen lassen – auch wenn es eine Weile dauern wird, bis hier wieder so etwas wie Normalität einkehren wird.

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