Nach der umstrittenen Auszählung der Präsidentenwahl in Venezuela steigt der Druck auf der Straße. Bei Protesten gegen das Wahlergebnis kamen mindestens sechs Menschen ums Leben, wie die regierungsunabhängige Organisation Foro Penal mitteilte. Demnach waren unter den Opfern auch zwei Jugendliche. Zudem seien 132 Demonstranten festgenommen worden.
Der Nationale Wahlrat hatte den seit 2013 regierenden Nicolás Maduro offiziell zum Sieger der Präsidentschaftswahl vom Sonntag erklärt. Die Opposition warf der Regierung Wahlfälschung vor und reklamierte den Sieg für ihren Kandidaten Edmundo González Urrutia. Die Regierungsgegner hätten Zugang zu 73 Prozent der Ergebnislisten, die einen uneinholbaren Vorsprung des Herausforderers belegten, sagte Oppositionsführerin María Corina Machado.
Auch in den USA, der EU und einer Reihe lateinamerikanischer Länder wurden Zweifel an dem offiziellen Wahlergebnis laut. Die venezolanische Regierung verwies daraufhin die Botschafter von Argentinien, Chile, Costa Rica, Peru, Panama, der Dominikanischen Republik und Uruguay des Landes und zog ihrerseits ihr diplomatisches Personal aus diesen Ländern ab.
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) erkannte Maduros Wiederwahl nicht an. "Unter den aktuellen Umständen kann das vom Wahlamt verkündete Resultat und die Erklärung von Nicolás Maduro zum Sieger nicht anerkannt werden", heißt es in einem Bericht der Wahlbeobachter des Staatenbunds. "Die schlimmste und abscheulichste Form der Unterdrückung besteht darin, das Volk daran zu hindern, über Wahlen nach Lösungen zu suchen", hieß es in einer Stellungnahme von OAS-Generalsekretär Luis Almagro. "Während des gesamten Wahlprozesses hat die venezolanische Regierung ihren repressiven Apparat dazu genutzt, das Wahlergebnis völlig zu verfälschen und Manipulationen auszusetzen." Am Mittwoch kommt der ständige Rat der OAS zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, um über die Wahl in Venezuela zu beraten.
Russland ruft Opposition zur Anerkennung von Maduros Wahlsieg auf
Unterstützung erhielt die autoritäre Regierung in Caracas hingegen von ihren Verbündeten in Russland, China, Kuba und Nicaragua. Moskau forderte die Opposition in Venezuela auf, ihre Niederlage einzugestehen und den Sieg Maduros anzuerkennen. "Natürlich ist es sehr wichtig, dass diese Versuche, die Lage in Venezuela zu verschärfen, nicht von Drittstaaten angeheizt werden und Venezuela von äußerer Einmischung frei bleibt", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Im Land wuchs die Angst vor einer Eskalation. Die Opposition kündigte große Proteste an, auch die Regierung will ihre Anhänger auf die Straße bringen. Nach der Wahl habe es über 100 Angriffe gegeben, sagte Präsident Maduro. Dahinter steckten die USA und die Opposition. "Das ist eine faschistische, konterrevolutionäre und kriminelle Gruppe."
Die Sicherheitskräfte gingen hart gegen die Demonstranten vor: Im Fernsehen war zu sehen, wie Polizisten Tränengas einsetzten und auf Menschen einschlugen. Außerdem wurden Schüsse auf Demonstranten abgegeben, die zum Präsidentenpalast in der Hauptstadt Caracas zogen, wie die Zeitung "El Nacional" berichtete und in einem Video zu sehen war. Bei den Schützen könnte es sich um sogenannte Colectivos handeln - regierungsnahe paramilitärische Gruppen, die die Agenda der Regierung mit Gewalt durchsetzen.
"Wir haben es mit einem Staatsstreich zu tun, der von den faschistischen Kräften der extremen Rechten mit Unterstützung der imperialen Kräfte, des US-Imperialismus, angezettelt wurde", sagte Verteidigungsminister Vladimir Padrino López. "Wir werden diesen Staatsstreich vereiteln."
Auch bislang treue Anhänger von linker Regierung enttäuscht
Maduro will nun im Januar 2025 seine dritte sechsjährige Amtszeit antreten. Dabei waren die Chancen auf einen Politikwechsel in Caracas nach Einschätzung von Beobachtern so gut wie lange nicht mehr. Im Gegensatz zu den Wahlen vor sechs Jahren zeigte sich die Opposition diesmal geschlossen. Zudem waren angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage auch bislang treue Anhänger von der sozialistischen Regierung enttäuscht.
Nach Einschätzung von Experten besteht trotz des offiziellen Wahlergebnisses aber weiterhin die Chance auf einen Wandel in Venezuela. "Ein politischer Wechsel kann auch nach dieser umstrittenen Wahl stattfinden, selbst wenn einige Personen in Machtpositionen sich weigern abzutreten", schrieb Tamara Taraciuk Broner vom Forschungsinstitut Inter-American Dialogue im Fachblatt "Americas Quarterly". "Die Schlüsselfrage für die Zukunft ist, wie Anreize für Personen geschaffen werden können, die dem Land helfen können, sich von dem derzeitigen repressiven Apparat zu lösen und den komplizierten Weg zur Demokratie einzuschlagen."
Maduro hat schon einmal eine Protestwelle ausgesessen
Schon die Wiederwahl Maduros 2018 war international von vielen Ländern nicht anerkannt worden. Der damalige Parlamentspräsident Juan Guaidó erklärte sich 2019 zum Interimspräsidenten, konnte sich aber im Land nicht durchsetzen – vor allem, weil das Militär hinter Maduro stand. So konnte er die damaligen Proteste einfach aussitzen.
"Viele Mitglieder der Sicherheitskräfte, der Justiz und der Wahlbehörden könnten in einem demokratischen Venezuela eine bessere Zukunft haben, wenn sie sich in den kommenden Wochen entscheiden, nicht blind an der Macht zu kleben, die Öffentlichkeit und die politische Opposition nicht zu unterdrücken und den durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes zu respektieren", schrieb Taraciuk Broner. "Sie müssen von einer vereinten Opposition und den wichtigsten internationalen Akteuren laut und deutlich hören, dass dies ihre beste Option für die Zukunft ist."
Venezuela steckt seit Jahren in einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise. In dem einstmals reichen Land mit großen Erdölvorkommen leben mehr als 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Immer wieder kommt es zu Stromausfällen. Benzin, Gas und Medikamente sind knapp. Mehr als sieben Millionen Menschen - ein Viertel der Bevölkerung - haben Venezuela in den vergangenen zehn Jahren wegen Armut und Gewalt verlassen. (mss/dpa) © dpa
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