Am Donnerstag fand die erste TV-Debatte der beiden US-Präsidentschaftskandidaten statt. Ziel von Joe Biden war es zu beweisen, dass er immer noch der richtige für den Job ist. Am Ende blieb bei den Zuschauern aber ein ganz anderer Eindruck zurück.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Eigentlich klingt die Aufgabe nicht besonders schwer: Gegen einen notorischen Lügner und verurteilten Straftäter beweisen, dass man selbst besser geeignet ist, das wichtigste Amt im Staat auszuüben. Alles, was dafür nötig ist: fit und vital wirken und in einem TV-Studio die wichtigsten Argumente ruhig und besonnen vortragen.

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US-Präsident Joe Biden war der Meinung, dass er das hinbekommen hat, als er nach dem TV-Duell bei einem Kurzbesuch in einem "Waffle House" von Kunden nach seiner Einschätzung gefragt wurde. "Es ist schwer, mit einem Lügner zu diskutieren", erklärte der Präsident, als er darauf angesprochen wurde, ob er irgendwelche Zweifel an seiner Leistung habe.

Trump lügt in der Debatte

Zumindest in diesem Punkt hatte Biden recht. Denn Ex-Präsident Donald Trump log in der ungefähr 90 Minuten langen Diskussion an vielen Stellen oder ließ Teile der Wahrheit aus. So behauptete er, Biden würde von China bezahlt werden und sei ein "Manchurian Candidate", also ein ausländischer Agent, wofür es keinerlei Belege oder Hinweise gibt.

Genauso wenig wie für die Behauptung, Biden sei verantwortlich für eine Flüchtlingswelle, die in die USA komme und hier "Bürger in einer bisher unbekannten Zahl töte".

Dass diese Lügen Trump nicht auf die Füße fielen, lag vor allem an zwei Dingen: Zum einen hatte CNN darauf verzichtet, einen Faktencheck in der Sendung vorzunehmen, und überließ es den Kandidaten, solche Behauptungen richtigzustellen. Zum anderen überstrahlte vor allem eines die inhaltliche Auseinandersetzung zwischen Trump und Biden: das Alter des Präsidenten.

Biden hat Aussetzer

Biden wirkte während der Debatte alt und gebrechlich. Mit heiserer Stimme sprach er so leise, dass man ihn fast nicht verstand. Immer wieder hatte er Aussetzer, fing Sätze an, ohne sie ins Ziel zu führen. An einer Stelle erklärte er, er sei froh, dass man das Gesundheitssystem besiegt habe – er wollte offenbar auf die Errungenschaften im Kampf gegen das Coronavirus verweisen und vertauschte "Covid" mit "Medicare" (Gesundheitssystem).

Für Trump war es ein Leichtes, den 81-jährigen Amtsinhaber vorzuführen. Er erklärte nach einer Aussage Bidens, er wisse nicht, was der amtierende Präsident sagen wolle und wahrscheinlich wisse dieser es selbst genauso wenig.

In der Vergangenheit hatte Trump immer wieder auf Bidens Alter verwiesen und ihn als zu einer zweiten Amtszeit unfähig dargestellt. Während der TV-Debatte musste er das nicht einmal wiederholen, der Zuschauer bekam selbst den Eindruck, dass Biden eine zweite Amtszeit nicht durchhalten würde.

Trump punktet

Trump kam dagegen mit seinen 78 Jahren geradezu kraftstrotzend und geistig überlegen daher. Im Gegensatz zu vergangenen TV-Debatten verzichtete er weitgehend darauf, sein Gegenüber zu unterbrechen oder zu beleidigen. Er musste es auch gar nicht tun. Biden zerlegte sich selbst.

Und so kam es auch bei den Zuschauern an. In der liberalen und eher den Demokraten zugewandten "New York Times" sah keiner der zwölf Kommentatoren Biden als Sieger der Debatte. Lediglich zwei gaben ein Unentschieden als Ausgang an – sie erklärten, die Debatte sei so furchtbar verlaufen, dass von einem Sieg keine Rede sein könne.

Die restlichen zehn sahen eher Trump als Sieger, fünf davon hielten ihn sogar für den klaren Gewinner.

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Demokraten überlegen, Biden auszutauschen

Für die Demokratische Partei in den USA war die Debatte ein Desaster. Im Hintergrund liefen die Drähte heiß, während führende Parteifunktionäre diskutierten, wie man Bidens Performance noch irgendwie als Sieg verkaufen könne. Bereits wenige Minuten nach dem Beginn der Ausstrahlung folgten aber auch erste Überlegungen, Biden auszutauschen.

Die frühere Senatorin Claire McCaskill sprach bei MSNBC von einer "Krise": "Er (Biden) hatte eine Aufgabe heute Abend: Amerika versichern, dass er in seinem Alter in der Lage ist, die Aufgaben als Präsident zu erfüllen. Und er ist daran gescheitert."

McCaskill erklärte, führende Demokraten müssten offen und ehrlich mit Joe Biden darüber sprechen, ob er in der Lage sei, die Kampagne zu führen.

Obama-Berater: "Es war schmerzhaft"

Autor Van Jones, der unter Ex-Präsident Barack Obama beratend tätig war, erklärte bei CNN: "Es war schmerzhaft. Ich habe unter Biden gearbeitet und ich liebe Joe Biden. Aber er hat das überhaupt nicht gut gemacht."

Jones erklärte, er und viele weitere Demokraten würden überlegen, ob es einen anderen Weg gebe, um die Präsidentschaft zu gewinnen, und dachte offen über einen anderen Kandidaten nach: "Es ist noch etwas hin bis zu unserem Nominierungsparteitag. Wir haben Zeit, einen anderen Weg zu wählen, wenn er (Biden) uns erlaubt, das zu tun."

Das wäre ein Novum. Noch nie in der Geschichte der USA wurde ein Amtsinhaber als Präsidentschaftskandidat ausgetauscht – und das ohne wirklichen Gegenkandidaten. Als mögliche Alternativen werden derzeit der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom und Vize-Präsidentin Kamala Harris ins Spiel gebracht. Newsom wollte auf Fragen zu einer möglichen Kandidatur bisher nicht antworten und erklärte, diese Option sei unlogisch.

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