Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang warnt davor, Antisemitismus und Gefahren für Demokratie in Deutschland zu ignorieren. Er rief die Bevölkerung zur Gegenwehr auf.
Die Demokratie in Deutschland ist nach den Worten von Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang stärker bedroht, als es in der Gesellschaft wahrgenommen werde. Es sei notwendig, "dass die Mitte der Gesellschaft, die schweigende Mehrheit in diesem Land, wach wird und auch endlich klar Position bezieht gegen Extremismus in Deutschland", sagte Haldenwang in einem Interview mit dem ARD-Magazin "Kontraste", das am Donnerstagabend ausgestrahlt werden soll.
Die Mitte der Gesellschaft müsse sich gegen die Bedrohung der Demokratie wehren
Dass die Gefährdung der Demokratie nicht wahrgenommen werde, zeige sich an einer Gleichgültigkeit "gegenüber dem Erstarken bestimmter Parteien", aber auch am Umgang mit Antisemitismus. Die Mitte der Gesellschaft scheine sehr bequem geworden zu sein: "Man hat sich sehr in seinem komfortablen Privatleben eingerichtet und nimmt nicht hinreichend wahr, wie ernsthaft die Bedrohungen für unsere Demokratie inzwischen geworden sind." Sicherheitsbehörden könnten nur bedingt gegen die Gefahren für die Demokratie vorgehen.
Der Antisemitismus habe sowohl in Quantität als auch in Qualität eine neue Dimension erreicht, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) weiter. "Es ist eine Schande, es ist beschämend, wie in dem Land, von dem der Holocaust ausgegangen ist, wie offen inzwischen Antisemitismus gezeigt wird."
Im gesamten Jahr 2022 seien in Deutschland gut 2.600 antisemitische Straftaten registriert worden. In den vergangenen drei Monaten, seit dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 auf Israel, seien bereits deutlich mehr als 1.200 antisemitische Straftaten hierzulande zu verzeichnen.
Der 7. Oktober sei somit auch eine Zäsur für Deutschland, so Haldenwang. "Dass auf Deutschlands Straßen wieder Davidsterne an Häuser gemalt werden, dass Synagogen mit Brandsätzen attackiert werden, das ist eine völlig neue Qualität, die wir auch in der Vergangenheit so nicht wahrgenommen haben". Das Interview mit dem Verfassungsschutzpräsidenten wurde anlässlich der "Kontraste"-Dokumentation "Judenhass – unser Leben nach dem 7. Oktober" geführt.
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Identitäre Bewegung ging in die AfD auf
Vor dem Hintergrund des Geheimtreffens radikal rechter Funktionäre und AfD-Politiker in Potsdam im November hat sich auch der Politikforscher Gideon Botsch, der die Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses Mendelssohn Zentrum der Uni Potsdam leitet, zu Wort gemeldet. Seit dem Aufstieg der AfD in den Parlamenten in den Jahren 2018/19 spiele die Identitäre Bewegung in Deutschland keine Rolle mehr, sagte Botsch am Donnerstag dem Inforadio des RBB. Dieses Label sei vielmehr in das Umfeld der AfD überführt worden.
"Wenn wir gucken, was identitäre Aktivisten heute tun und wo das identitäre Gedankengut sich heute findet, dann müssen wir in die Flure der Parlamente gucken, in die Flure der AfD-Fraktion", sagte Botsch. Dort säßen die Anhänger dieser Bewegung in den Mitarbeiterbüros der AfD-Abgeordneten. Auch bei der Parteijugend Junge Alternative seien Sprache und Aktionsformen der Identitären sehr präsent. (afp/dpa/the)
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