Der 18-jährige Österreicher, der einen Anschlag auf das israelische Konsulat in München verüben wollte, stand schon früh unter Radikalisierungsverdacht. Trotzdem wurde er nicht als Gefährder geführt. Vergangenes Jahr stellte die Staatsanwaltschaft Salzburg die Ermittlungen gegen ihn ein. Wie kam es dazu?

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Die bayerische Polizei wusste bis Donnerstag nichts von Emrah I., in Salzburg war er hingegen ein alter Bekannter. Schon als 14-Jähriger habe er sich für islamistische Inhalte interessiert, teilte die Staatsanwaltschaft Salzburg am Freitag mit. Allerdings war kein Tatvorsatz nachweisbar, weshalb man die Ermittlungen gegen den damals 17-Jährigen Ende April 2023 einstellte.

Zwischen 2021 und 2023 soll der Österreicher mit bosnischen Wurzeln Mitschüler gefährlich bedroht haben, wobei es auch zu einem Fall von Körperverletzung gekommen sei. Der Jugendliche habe sich für Anleitungen zum Bau von Bomben interessiert und in einem Online-Spiel islamistische Gewaltszenen nachgestellt und davon Videos angefertigt.

Schütze von München spielte Terrorszenen nach – zu wenig für einen Gefährderstatus

2023 wurde der Wohnsitz von Emrah I. durchsucht. Auf seinem Handy wurden keine relevanten Daten sichergestellt, auf seinem PC fanden die Ermittler drei Videos mit islamistischen Inhalten, die er 2021 im Alter von 14 Jahren aufgenommen haben soll.

Recherchen des "Standard" zufolge handelte es sich bei den Videos um Szenen aus dem Spiel Roblox. Dort können Nutzerinnen und Nutzer eigene Spiele erstellen und mit anderen teilen. In Roblox baute I. offenbar Terrorszenen und Hinrichtungen nach. "Nur auf einem dieser Videos waren Symbole der terroristischen Vereinigung Al-Nusra-Front For the People of the Levant, auch Hay'at Tahir al-Sham (HTS) genannt, zu sehen", teilte die Staatsanwaltschaft mit.

Weil er die Videos aber weder weitergab noch sonst zu Propagandazwecken verwendete, war nach Angaben der Staatsanwaltschaft kein Tatvorsatz nachweisbar. Ebenso fanden die Beamten weder Gegenstände oder Daten mit Bezug zur Terrormiliz Islamischer Staat noch Pläne, Anleitungen oder Sprengstoff für den Bau einer Bombe. Der Tatbestand der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung war damit nicht erfüllt.

Zudem gab es laut Staatsanwaltschaft keine Hinweise, dass Emrah I. Kontakte zu radikal-islamischen Kreisen hatte oder besonders religiös lebte. "Vielmehr ergaben die Ermittlungen, dass es sich um einen Jugendlichen mit verhältnismäßig wenig sozialen Kontakten handelte", heißt es vonseiten der Staatsanwaltschaft. Die Ermittler sprachen damals mit mehreren Mitschülern von I. - auch diese hätten "keine Ergebnisse" gebracht, die "den Tatverdacht unterstützt hätten".

Ein konkreter Tatverdacht – beziehungsweise eine Einschätzung eines Menschen, von dem "aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen" ist, dass von ihm "eine gegenwärtige Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit eines anderen Menschen" ausgeht – ist aber laut Paragraf 53 Absatz 3b des Sicherheitspolizeigesetzes Voraussetzung für eine Einstufung als Gefährder.

Tatwaffe kaufte Emrah I. am Tag vor der Tat bei einem Privatsammler

Die Staatsanwaltschaft Salzburg stellte die Ermittlungen am 23. April 2023 ein. Dennoch verhängte die Bezirksverwaltungsbehörde Salzburg-Land ein Waffenverbot gegen den 18-Jährigen bis 2028.

Die vermutlich rund 100 Jahre alte Tatwaffe hatte der 18-Jährige am Mittwoch – einen Tag vor der Tat – bei einem privaten Waffensammler im Salzburger Flachgau gekauft. Wie Freitagmittag bei einem Hintergrundgespräch im Innenministerium erläutert wurde, hatte der Verkäufer die Kategorie-C-Waffe – einen Karabiner älterer Bauart, der repetiert werden musste – rund zwei Wochen vor der Tat auf einer Online-Plattform für Schusswaffen angeboten.

Der 18-Jährige meldete sich bei dem Sammler und bezahlte 350 Euro für die Waffe sowie weitere 50 Euro für ein aufgepflanztes Bajonett, wie Franz Ruf, Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, mitteilte. Der 18-Jährige erwarb demnach auch 50 Schuss Munition.

Emrah I. galt als intelligent und war ein guter Schüler

Bis Anfang 2024 besuchte der 18-Jährige eine Höhere Technische Lehranstalt für Elektrotechnik in Salzburg. Während der Corona-Pandemie soll sich der mutmaßliche Terrorist zurückgezogen und zum Einzelgänger entwickelt haben, meldet die Austria Presse Agentur unter Berufung auf Informationen aus dem Innenministerium. Der Jugendliche sei in dieser Zeit in der Schule gehänselt worden. Der Vater nahm seinen älteren Sohn als psychisch auffällig wahr und soll deshalb versucht haben, mit einer Psychologin in Kontakt zu kommen.

Im Februar 2024 brach der junge Mann die Schule ab, machte zunächst ein Praktikum und begann am vergangenen Montag eine Lehre in einem Maschinenbaubetrieb. Noch am Mittwoch erschien er pünktlich zu Arbeitsbeginn. Als er am Donnerstag fehlte, meldete sich der Arbeitgeber bei den Eltern des 18-Jährigen.

Da I. weder zu Hause noch telefonisch erreichbar war und auch das Auto der Familie fehlte, gaben die Eltern eine Vermisstenanzeige bei der örtlichen Polizeiinspektion auf. Zu diesem Zeitpunkt war bereits I. mit der illegal erworbenen Langwaffe auf dem Weg nach München.

Bayerische Polizei hatte keine Hinweise auf Emrah I.

Die bayerische Polizei bestätigte am Freitag, dass sie vor dem mutmaßlichen Anschlagsversuch keine Informationen zu dem getöteten Schützen hatte. Eine Abfrage der Datenbanken zu dem 18 Jahre alten Österreicher sei negativ verlaufen, sagte ein Sprecher des bayerischen Landeskriminalamts (LKA). "Wir haben keine Unterlagen zu ihm gehabt."

Deutsche Sicherheitskreise gehen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur davon aus, dass der Verdächtige einen Bezug zur islamistischen Miliz HTS hatte.

Emrah I. wirkt nicht wie ein typischer Islamist

Unklar ist, welches Ziel I. mit seiner Attacke am Donnerstag tatsächlich verfolgte. Äußerlich wirkte der 18-Jährige nicht wie ein Islamist, er trug zum Beispiel keinen Bart. Bisher gibt es auch keine Bekennerbotschaft der Terrormiliz Islamischer Staat, die sich sonst meist zeitnah nach Anschlägen oder versuchten Anschlägen zu Wort meldet.

Am Wohnsitz des 18-Jährigen in Neumarkt am Wallersee wurde nach dem mutmaßlichen versuchten Terroranschlag bis weit in die Nachtstunden hinein eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Auch dabei fand man weder Waffen noch auffällige Gegenstände wie Insignien von Terror-Organisationen oder Propagandamaterial, wie der österreichische Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, bekannt gab.

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Im Zimmer des jungen Mannes sollen keinerlei Hinweise auf einen Bezug zu islamistischem Gedankengut gefunden worden sein. Die Ermittler hätten jedoch elektronische Geräte, USB-Sticks und andere Datenträger sichergestellt, die nun ausgewertet werden. I. lebte zusammen mit einem zwei Jahre jüngeren Bruder bei seinen Eltern.

Deutsche Ermittler gehen Hinweisen auf islamistisches und antisemitisches Motiv nach

In Deutschland ermittelt man in verschiedene Richtungen. Man gehe Hinweisen auf ein islamistisches beziehungsweise antisemitisches Motiv des Täters nach. Das sei aufgrund der bislang vorliegenden Erkenntnisse die "Arbeitshypothese", sagte die Leiterin der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München, Gabriele Tilmann.

Auch den deutschen Behörden liegen bisher keine Botschaften des Täters mit Hinweisen auf ein Motiv vor. Grundlage für die Annahme der Ermittler seien zum einen die Informationen der österreichischen Behörden, dass sich der 18-Jährige islamistisch radikalisiert habe, sagte Tilmann. Zum anderen deuteten Tatort und Zeit darauf hin: Der Täter habe am Jahrestag des Olympia-Attentats von 1972 auf das NS-Dokumentationszentrum und das israelische Generalkonsulat geschossen.

Hinweise auf Mittäter gebe es bisher zwar ebenfalls nicht, sagte Tilmann. Es müsse jedoch ermittelt werden, ob der 18-Jährige vielleicht doch in irgendeine Art von Netzwerk eingebunden war.

Österreichs Innenminister: "Es macht wütend"

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) nutzte eine kurzfristig einberufene Pressekonferenz dafür, eine Ausweitung der Befugnisse der österreichischen Behörden zu fordern, es brauche "zeitgemäße Ermittlungsmethoden".

Konkret verlangte er eine rasche Umsetzung von vier Punkten, damit Exekutive und die Justiz konsequent vorgehen könnten. Zum wiederholten Mal forderte der Innenminister eine Überwachung von Messengerdiensten. Weiter müssten die Deradikalisierungsprogramme ausgebaut und auf die heimischen Haftanstalten ausgeweitet werden; diese seien teilweise "Brutstätten des Islamismus".

Karner will zugleich die Präventionsarbeit in den Schulen ausbauen. Darüber hinaus forderte er die Wiedereinführung der bedingt obligatorischen U-Haft für schwere beziehungsweise terroristische Straftaten für Jugendliche und eine Verschärfung des Versammlungsgesetzes, "um stärker gegen den politischen Islam vorgehen zu können".

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