Flüchtlingskrise, innere Sicherheit, interne Grabenkämpfe: Die Grünen suchen ein Dreivierteljahr vor der Bundestagswahl 2017 eine klare Linie. Finden sie sie nicht, droht eine empfindliche Wahlschlappe. Ein Zustandsbericht einer kriselnden Partei.

Bundestagwahl 2017: Aktuelle News und Kanzler-Kandidaten

Es wird mal wieder munter debattiert bei den debattierfreudigen Grünen. Bis Freitag hat die Parteibasis in einer Ur-Wahl über die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2017 abgestimmt, das Ergebnis wird kommende Woche verkündet. Gesucht wird ein Mann an der Seite von Katrin Göring-Eckhardt, die als Frau nach der internen Quotenregelung gesetzt ist.

Zur Wahl stehen Parteichef Cem Özdemir, Bundestags-Fraktionschef Anton Hofreiter und der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck. Wer das Rennen machen wird, ist schwer vorauszusagen. Die grüne Basis gilt als unberechenbar.

Abseits der Personalentscheidungen plagt sich die Öko-Partei derzeit mit ganz anderen Problemen herum. In der Debatte um innere Sicherheit, die nicht eben als ihre Kernkompetenz gilt, suchen die Verantwortlichen krampfhaft nach einer einheitlichen Linie.

Die mäßig beliebte Parteichefin Simone Peter machte sich jüngst durch kritische Äußerungen über den Einsatz der Kölner Polizei an Silvester weiter unbeliebt. Und der Ex-Vorsitzende Jürgen Trittin bringt sich schon als Minister einer möglichen rot-rot-grünen Regierung ins Spiel - und damit die aktuelle Führungsriege gegen sich auf.

Die Umfragewerte sind seit dem Sommer von 13 auf aktuell neun Prozent gesunken. Bekommen die Grünen noch mal die Kurve? Oder können sie das erneute Ticket für die Oppositionsbank jetzt schon buchen?


Krampfhaftes Konzentrieren auf den Begriff Sicherheit

Spätestens seit dem tödlichen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt dreht sich die öffentliche Debatte fast ausschließlich um innere Sicherheit, Terrorängste und Überwachung. Auch die Grünen versuchen, darauf zu reagieren.

Schon bei einer Debatte der vier Kandidaten für die Bundestagswahl in Berlin achteten die Bewerber krampfhaft darauf, auf das Thema "Sicherheit" einzugehen. Damit wollten sie beweisen: Auch wir Grüne nehmen die Bürgersorgen ernst.

Allerdings hat die Partei auf die Sicherheitsdebatte noch keine einheitliche Antwort gefunden. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der laut Umfragen beliebteste Grüne, drängt auf schärfere Asylgesetze und weniger "political correctness". Andere Spitzenkräfte und Teile der Basis sehen solche lauten Vorstöße kritisch.

Der Partei droht eine Zerreißprobe zwischen ihren eher linken Grundwerten und dem politischen Zeitgeist, der in Richtung mehr Sicherheit und Gesetzesverschärfungen tendiert.

Traditionelle Kernthemen wie Ökologie und soziale Gerechtigkeit spielen derzeit so gut wie keine Rolle. Das könnte den Grünen bei der Bundestagswahl im Herbst schaden. Die rechtspopulistische AfD profitiert dagegen von der aktuellen Stimmung im Land.

Parteichefin in der Kritik

Die fehlende Geschlossenheit der Grünen war in der Debatte um den Einsatz der Kölner Polizei an Silvester gut zu sehen. Parteichefin Simone Peter hinterfragte, ob die Polizeitaktik zur massenhaften Kontrolle von Nordafrikanern zum Teil auch rassistisch motiviert gewesen sein könnte.

Dies brachte ihr bundesweit scharfe Kritik ein. Von den Spitzenkräften der Partei sprang ihr zunächst niemand zur Verteidigung bei. Cem Özdemir sagte "Spiegel Online", er sei froh, dass die Einsatzkräfte "konsequent gehandelt und somit für Sicherheit gesorgt" hätten.

Zudem verzettelte man sich in einer Diskussion, ob die Polizei nun den Begriff "Nafri" - ein internes Kürzel für "nordafrikanische Intensivtäter" - benutzen durfte oder nicht.

Eine Debatte, die von manchen stellvertretend für die bisweilen als verkopft und rechthaberisch wirkende Grünen-Politik wahrgenommen wurde.

"Ich finde, es gibt schon viele Grüne und viele grüne Unterstützerinnen und Unterstützer, die das Modell der liberalen, toleranten, weltoffenen Gesellschaft mit einer gewissen Intoleranz verteidigen. Und dieser Widerspruch, der macht die Menschen teilweise wütend", meinte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer im "Deutschlandfunk." Diese Wut werde dann mitunter an der Wahlurne rausgelassen.


Trittin, der Schatten-Vorsitzende

Die sinkenden Umfragewerte machen eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl zunehmend unwahrscheinlich. Für eine rot-grüne Koalition wie 1998 gibt es aufgrund der schwächelnden SPD schon seit Jahren keine Mehrheit mehr - und selbst für ein rot-rot-grünes Experiment fehlen derzeit die Stimmen.

Für Letzteres wirbt der Ex-Parteichef Jürgen Trittin mit viel Leidenschaft. Der Bundestagsabgeordnete, nach wie vor ein gern gesehener Gast in Talkshows, gefällt sich in der Rolle als Wegbereiter von RRG. Und das, obwohl sich der linke und der rechte Flügel seiner Partei verständigt hatten, neutral in den Wahlkampf zu ziehen.

Ohne Hinweis, ob eine Koalition mit der CDU/CSU oder ein Bündnis mit SPD und Linken bevorzugt wird. Dem "Spiegel" sagte Trittin: "Ich bin bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Ich werde machen, was man mir anträgt. Und ich glaube, dass ich das nicht schlecht mache."

Ein Selbst- und Sendungsbewusstsein, das bei der aktuellen Grünen-Spitze schon länger auf Unverständnis stößt. Auf die jüngste Provokation des Ex-Ministers und "Schatten-Vorsitzenden" hat bislang öffentlich keiner reagiert.

Klar ist: Wenn die Partei nicht endlich geschlossen auftritt und eine gemeinsame Antwort auf die Sicherheitsdebatte findet, dürfte sie es bei den Wahlen schwer haben. Es bleibt spannend bei den Grünen.

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