Es war ein sensationeller Höhenflug, auf den ein jäher Absturz folgte: Monatelang feierte die Piratenpartei Wahlerfolg auf Wahlerfolg, zog in vier Landtage ein – dann kam der Knick. Die Umfragewerte auf Bundesebene sind von bis zu 13 Prozent vor einem Jahr auf magere zwei bis vier Prozent eingebrochen, in Niedersachsen scheiterten die Partei im Januar klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Zuletzt fielen die Piraten nur noch durch Dauerzoff und Selbstzerfleischung auf. Auf dem Bundesparteitag im bayerischen Neumarkt soll am Wochenende der Befreiungsschlag gelingen. Doch lässt sich der Absturz noch stoppen?
Vor einem Jahr war die Piratenwelt rosig wie nie zuvor: Nachdem die Partei im September 2011 mit 8,9 Prozent der Stimmen den Sprung ins Berliner Abgeordnetenhaus geschafft hatte, baute sie diesen Triumph im Frühjahr 2012 zu einer richtigen Erfolgsserie aus: Innerhalb weniger Wochen zogen die Freibeuter in die Landesparlamente des Saarlands, Schleswig-Holsteins und Nordrhein-Westfalens. Auch bundesweit ging es in Umfragen steil nach oben.
Mittelfinger für den Parteichef
Heute ist bei den Piraten kaum etwas übrig vom Glanz jener Tage. Auf dem Parteitag, der von Freitag bis Sonntag dauert, soll zwar auch das Programm für die Bundestagswahl beschlossen werden. Dies ist aber durch die jüngsten Personalquerelen völlig in den Hintergrund geraten. In erster Linie gilt es in Neumarkt in der Oberpfalz, einen Schlussstrich unter den Zoff der vergangenen Wochen und Monate zu ziehen. "Ich denke, dass es uns schon geschadet hat, dass wir Leute in den Bundesvorstand gewählt haben, die sich hinterher als wenig kompetent dargestellt haben", sagt der Landeschef der bayerischen Piraten, Stefan Körner.
Im Sinn hat er dabei den politischen Bundesgeschäftsführer Johannes Ponader, der mit seinen Alleingängen große Teile der Partei gegen sich aufgebracht hat. "Leider haben wir keine Möglichkeit, so jemanden zum Rückzug zu drängen. In anderen Parteien ist das kein Problem", bedauert Körner. Ponader geht nun freiwillig. Sein Nachfolger soll in Neumarkt gewählt werden.
Ob das reicht, damit endlich Ruhe einkehrt, scheint allerdings fraglich. Just in den vergangenen Tagen sorgte parteiinterne Hetze gegen den Bundesvorsitzenden Bernd Schlömer für Unruhe. Der Parteichef hatte einem Zeitungsbericht zufolge beklagt, den Piraten fehle die Kraft und Motivation für den Wahlkampf. Damit verärgerte er viele an der Basis – und bekam prompt die Quittung: Via Kurznachrichtendienst Twitter verbreitete ein hessischer Parteifunktionär ein Foto, auf dem mehr als ein Dutzend Piraten ihrem Bundeschef den Mittelfinger entgegenstrecken. Schlömer reagierte – ebenfalls auf Twitter – verschnupft: "So beginnt eine Treibjagd gegen Menschen."
Der bayerische Piratenchef Körner bezeichnet das Stinkefinger-Foto als einer sehr misslungene Aktion. "Das war eher dämlich als hilfreich", schimpft er. Dem Ansehen der Partei schaden solche Querelen jedenfalls nachhaltig. Nach außen würden die Piraten derzeit vor allem als "streitender Haufen" wahrgenommen, bedauert Körner. "Aber das trifft es nicht."
Profil der Piraten bleibt unklar
Fest steht: Bei ihrem Spitzenpersonal haben die Piraten zuletzt kein gutes Händchen bewiesen. Die Lücke, die die telegene Ex-Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband vor einem Jahr durch ihren Rückzug hinterlassen hat, konnte die Partei bisher nicht füllen. "Sie hat uns sehr geholfen, weil sie eine sehr kompetente Persönlichkeit war und auch die Kameras angezogen hat", sagt Körner. "So jemand ist für eine Partei schon ein Glücksgriff." Aber eine Partei dürfe sich nicht von solchen Persönlichkeiten abhängig machen, um ihre Inhalte zu transportieren.
"Die Themen, für die die Piraten stehen, sind nach wie vor aktuell ", betont der oberste bayerische Pirat. Doch gerade das ist ein fundamentales Problem der Partei: Noch immer weiß die Mehrheit der Wähler nicht, wofür genau die Piraten eigentlich stehen. Klar, sie kämpfen für Bürgerbeteiligung und Transparenz, für Bürgerrechte im Internet und Datenschutz. Aber wie stehen sie zum Euro oder zur Terrorismusbekämpfung? Welche Ziele verfolgen sie in der Wirtschafts- oder der Bildungspolitik? Auf manche Sachfrage hat die Partei selbst noch keine Antwort.
Nur jeder Sechste zahlt Beiträge
Wie schwierig die Lage ist, belegt das Beispiel Bayern, wo am 15. September die nächste wichtige Wahl ansteht. Der bayerische Landesverband der Piraten ist zwar immer noch einer der größten bundesweit. Seit Jahresbeginn haben ihm aber 500 der 7000 Mitglieder den Rücken gekehrt, das sind mehr als sieben Prozent. Und die Zahlungsmoral derer, die geblieben sind, ist katastrophal: Gerade einmal jeder Sechste hat bisher den Mitgliedsbeitrag beglichen, wie Körner einräumt. "Es ist tatsächlich ein Problem."
Das Umfragetief der Partei zeigt: Viele Protest- und Frustwähler haben sich wieder abgewandt von den Piraten – ein Teil davon könnte zur eurokritischen Partei "Alternative für Deutschland" weiterwandern. Dennoch gibt sich Körner optimistisch. Die Pleite bei der Landtagswahl in Niedersachsen dürfe man nicht überbewerten: Dort seien im Wahlkampf viele Fehler gemacht worden. Er habe "sehr berechtigte Hoffnung", es mit den Piraten am 15. September in den bayerischen Landtag zu schaffen. "Und wenn wir in Bayern in den Landtag einziehen, wird das dafür sorgen, dass wir bundesweit in aller Munde sind. Und dann sieht es eine Woche später bundesweit wieder sehr gut aus."
Der Parteitag soll nach dem Willen des Bundesvorsitzenden Schlömer eine Trendwende einleiten: "Davon kann ein Aufbruchsignal ausgehen", sagte er dem "Tagesspiegel". Allerdings wissen die Ober-Piraten nur zu gut, wie explosiv die Stimmung in Neumarkt werden kann. Es "wäre naiv" auf einen total harmonischen Parteitag zu hoffen, räumt Körner ein. "Wir werden mit Sicherheit auch wieder hitzige Diskussionen führen und werden erleben, wie Einzelne Machtspiele spielen."
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