Die SPD will die so genannte sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen, die langfristige Lebensplanung unmöglich machen. Doch gerade der Staat ist hier ein schlechtes Vorbild. Dabei gibt es durchaus sinnvolle Lösungsvorschläge.

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Zunächst hatte der SPD-Parteitag die Beendigung der sachlichen Befristung von Arbeitsverhältnissen gefordert, obwohl davon nichts in den Sondierungspapieren für die Große Koalition steht.

Von Gewerkschaftsseite würde eine Abschaffung begrüßt werden. 4,8 Millionen Arbeitnehmer seien derzeit in befristeten Jobs beschäftigt, sagt Norbert Reuter, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

Jeder achte Arbeitsvertrag sei mittlerweile befristet, jede zweite Neueinstellung erfolge nur mit zeitlicher Begrenzung. Was früher einmal als vorübergehende Erscheinung abgetan worden sei "hat sich jetzt dauerhaft etabliert."

Die Arbeitgeber bestreiten diesen Zustand nicht, wenngleich sie betonen, dass bei den derzeit 4,8 Millionen Befristungen auch 1,2 Millionen Ausbildungsverträge mitgezählt werden, die naturgemäß nicht unbefristet sein können.

Doch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) weist auf einen anderen Mitschuldigen hin: "Der größte 'Befrister' ist der öffentlichen Dienst mit fast elf Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer."

Grund ist die sogenannte Haushaltsbefristung: Die staatlichen Arbeitgeber verfügen oft nur über zeitlich begrenzte Etats, können Beschäftigte nur so lange einstellen, bis die Mittel verbraucht sind.

Im öffentlichen Dienst und an den Universitäten (wo sehr oft projektbezogen und im Rahmen eng bemessener Forschungsetats eingestellt wird) ist der Anteil befristet Beschäftigter deutlich höher als in der Privatwirtschaft: Mehr als die Hälfte aller Bewerber wurde dort im Jahr 2016 (neuere Zahlen liegen nicht vor) nur befristet eingestellt.

Das Hauptproblem sind Befristungen mit Sachgrund

Trotzdem und gerade in der Privatwirtschaft, so der BDA, seien befristete Beschäftigungen der "Einstiegsmotor in Arbeit".

Sie ermöglichten es den Unternehmen, "auch dann Arbeitsplätze zu schaffen, wenn die Beschäftigungserwartungen noch ungeklärt sind, zum Beispiel bei unsicherer Auftragslage".

Probleme im Falle einer Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sehen auch Wissenschaftler vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IBA) in Nürnberg.

Die Arbeitnehmer, meint Dr. Christian Hohendanner, würden bei einem Wegfall auf andere Alternativen umschwenken, würden beispielsweise mehr Werkverträge abschließen, mehr freie Mitarbeiter beschäftigen oder Arbeiten per Überstunden auf das vorhandene Personal abwälzen, um Neueinstellungen zu vermeiden.

Außerdem gibt es neben den sachgrundlosen Befristungen auch eine große Bandbreite anderer befristeter Verträge - nämlich solche mit Sachgrund. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz vom Dezember 2000 definiert in § 14 acht "sachliche Gründe" für befristete Arbeitsverträge, deren genaue Auslegung immer wieder von Gerichten definiert werden muss. Diese Befristungen aber, so Hohendanner, seien das größere Problem für die Arbeitnehmer.

Denn während sachgrundlose Befristungen nur für die Dauer von maximal zwei Jahren erlaubt sind, können solche mit Sachgrund relativ problemlos verlängert werden. "Man kann sie nahtlos aneinander reihen", sagt Hohendanner, es seien "wilde Kombinationsmöglichkeiten aus Dauer und Häufigkeit solcher Verträge" möglich, die Arbeitgeber seien da "sehr kreativ".

Das Bundesarbeitsgericht hat zudem entschieden, dass zwölf Verlängerungen im Verlauf von acht Jahren oder sogar 15 Verlängerungen in zehn Jahren erlaubt sind.

Solche so genannten Kettenbefristungen seien "das eigentliche Problem", sagt der Experte vom IBA, "und Kettenbefristungen sind immer solche mit Sachgrund".

"So ist keine Zukunftsplanung möglich"

Da wird dann beispielsweise ein Mitarbeiter zunächst als Schwangerschaftsvertretung eingestellt, springt anschließend auf einen Job, der nur bis zur Beendigung eines Projektes dauert und zweimal verlängert wird, und danach ist dann wieder eine Elternvertretung frei.

Auf die Frage an den Chef, wie es in einem halben Jahr weitergehen soll, lautet die Antwort: "Da wird sich hoffentlich was finden."

Die Kritik des Gewerkschafters Norbert Reuter ist klar: "Unter solchen Bedingungen ist für den Arbeitnehmer keine Zukunftsplanung möglich."

Sein Lösungsvorschlag: Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung könne "nur ein erster Schritt sein". Anschließend müsse der Gesetzgeber die übrigen Befristungsmöglichkeiten zeitlich begrenzen, zum Beispiel auf vier Jahre.

Die Wissenschaftler von der IBA haben sich eine andere Methode ausgedacht. Die Arbeitgeber, sagt Christian Hohendanner, profitierten von der Flexibilität mittels befristeter Verträge - also sollten sie dafür auch bezahlen.

Da befristet Beschäftigte ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko trügen, sollten die Arbeitnehmer für diese einen höheren Beitrag zur Arbeitslosenversicherung übernehmen.

Der Beitrag für unbefristet Beschäftigte könnte so gesenkt werden. Im Ergebnis würde sich befristete Beschäftigung für den Arbeitgeber verteuern, unbefristete Beschäftigung käme billiger.

Steuerung über variable Beitragssätze

"Die Zahl befristeter Arbeitsverträge über variable Beitragssätze zu steuern wäre flexibler, moderater und risikoärmer, als sachgrundlose Befristungen abzuschaffen", schrieben Hohedanner und seine Kollege Karl Heinz Hausner von IBS in einem Beitrag für die "Wirtschaftswoche" (Ausgabe 47/2017).

Ihr Vorschlag ermögliche zudem "dynamische Anpassungen der Beitragssätze an die konjunkturelle Entwicklung und die Lage am Arbeitsmarkt".

Trotz solcher alternativen Vorschläge gilt es nicht als ausgeschlossen, dass sich die SPD in den Koalitionsverhandlungen mit der Forderung nach Abschaffung der sachgrundlosen Befristung durchsetzt - mittlerweile gibt es auch vom Arbeitnehmerflügel der Union Zustimmung.

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