Die erste Wahlrunde in Rumänien endet mit einer großen Überraschung: Der extrem rechte Tiktok-Wahlkämpfer Calin Georgescu holt mehr Stimmen als der amtierende Regierungschef. Erinnerungen an ein denkwürdiges Duell werden wach.
Der prorussische Rechtsextremist Calin Georgescu ist überraschend in die Stichwahl um das Amt des Staatsoberhaupts im Nato-Land Rumänien eingezogen. Nach der Auszählung von 98,6 Prozent der Stimmen lag Georgescu am Montag mit 22,59 Prozent der Stimmen unerwartet vor dem pro-europäischen Ministerpräsidenten Marcel Ciolacu von der sozialdemokratischen Partei, der auf 19,55 Prozent kam.
Der parteilose Populist war mit antiwestlichen Positionen und Kult für die rumänischen Faschisten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs aufgefallen. Von seinen Konkurrenten und den klassischen Medien wurde Georgescu weitgehend ignoriert, dafür ist er sehr erfolgreich auf der Online-Plattform Tiktok unterwegs.
Nachwahlbefragungen hatten zunächst einen komfortablen Vorsprung für Ciolacu vorausgesagt und die Mitte-Rechts-Kandidatin Elena Lasconi an zweiter Stelle gesehen. Sie lag am Montagmorgen auf dem dritten Platz vor dem Rechtspopulisten George Simion. Die Entscheidung zwischen Georgescu und Ciolacu fällt nun am 8. Dezember - eine Woche nach der Parlamentswahl.
Der östlichste EU-Mitgliedstaat Rumänien hat rund 19 Millionen Einwohner, gilt als eines der ärmsten Länder Europas und grenzt im Norden an die Ukraine, die sich seit bald drei Jahren einer russischen Invasion erwehrt.
Am Wahlabend sagte Georgescu auf einer via Facebook übertragenen Pressekonferenz, das rumänische Volk sei "zum Bewusstsein erwacht" und habe seinen Willen bekundet, "nicht weiter auf Knien, nicht weiter unter Invasion, nicht weiter erniedrigt" zu bleiben. Wirtschaftliche Unsicherheit habe zu diesem Votum geführt."Heute Abend hat das rumänische Volk nach Frieden geschrien. Und es hat sehr laut geschrien, sehr laut", erklärte Georgescu - wohl mit Blick auf Russlands Angriffskrieg auf die benachbarte Ukraine.
Im ersten Wahlgang erhielt der Extremist nach Angaben des Zentralen Wahlbüros rund 22 Prozent der Stimmen, Ciolacu holte nur etwa 20 Prozent. Nicht berücksichtigt sind dabei die separat ausgewiesenen Stimmen der im Ausland lebenden Rumänen, bei denen Georgescus Anteil sogar fast doppelt so hoch liegt.
Rechtsextremes Lager will Kräfte für Stichwahl bündeln
Der als Viertplatzierter mit 14 Prozent der Stimmen ausgeschiedene Bewerber George Simion von der rechtsextremen Parlamentspartei AUR kündigte an, Georgescu in der Stichwahl zu unterstützen. Zusammen kämen die Kandidaten der extremen Rechten auf rund ein Drittel der Stimmen - ein politisches Erdbeben in dem Nato- und EU-Mitgliedsland. "Die extreme Rechte ist bei weitem der große Gewinner dieser Wahl", sagte Politikwissenschaftler Cristian Pirvulescu der Nachrichtenagentur AFP.
Platz drei belegte mit knapp 19 Prozent die Kandidatin der konservativ-liberalen Reformpartei, Elena Lasconi. Sie hat sich bislang für keinen der übrig gebliebenen Kandidaten ausgesprochen.
Es gab bereits im Jahr 2000 ein denkwürdiges Duell
Bei der Präsidentenwahl im Jahr 2000 hatte es eine ähnliche Situation gegeben: Damals standen sich in der Stichwahl der Sozialdemokrat Ion Iliescu und der Rechtsextremist Corneliu Vadim Tudor gegenüber. Die demokratischen Parteien taten sich zusammen und konnten auch dank kräftiger Unterstützung durch europäische Verbündete einen Extremisten im höchsten Staatsamt verhindern.
In Rumänien bestimmt der Präsident die Außen- und Verteidigungspolitik und ist an der Kontrolle der Geheimdienste beteiligt. Er hat mehr Macht als der deutsche Bundespräsident und weniger als das Staatsoberhaupt in Frankreich. Das Abschneiden der Kandidaten in der ersten Runde der Präsidentenwahl dürfte auch die Parlamentswahl am 1. Dezember beeinflussen.
Georgescu ist ein Freund Russlands und der rumänischen Faschisten
Wegen des Vorwurfs der Verherrlichung faschistischer Kriegsverbrechen ermittelt die rumänische Staatsanwaltschaft gegen Georgescu, über den Fortschritt dieser Untersuchungen ist laut rumänischen Medien aber nichts bekannt.
Ebenso wie die als "Legionäre" bekannten rumänischen Faschisten rühmt Georgescu häufig die orthodoxe Kirche und benutzt Bibelzitate. Er war früher Mitglied der extrem rechten Parlamentspartei AUR, trat aber im Streit aus.
Der 62-jährige Agrarwissenschaftler und Tiermediziner hatte vor allem auf Social Media für sich geworben. In den letzten Tagen hatte er mit einer viralen TikTok-Kampagne von sich reden gemacht, in der er ein Ende der Hilfe für die Ukraine forderte. Außerdem äußerte er sich skeptisch über die Nato-Mitgliedschaft Rumäniens. Umfragen hatten ihm weniger als zehn Prozent der Stimmen vorhergesagt.
Kommentatoren in Bukarest meinten am Wahlabend, klassische Medien und etablierte Politiker müssten sich vorwerfen lassen, Georgescus politische Propaganda in sozialen Medien bisher nicht genügend beachtet zu haben. Auch Meinungsforscher hatten seinen Erfolg nicht kommen sehen, selbst Nachwahlbefragungen am Wahlabend ließen das Ergebnis nicht erahnen.
Insgesamt 13 Kandidaten bewarben sich um die Nachfolge des deutschstämmigen Präsidenten Klaus Iohannis, der seit 2014 Staatschef in dem Nachbarland der Ukraine ist. Regierungschef Ciolacu von der Sozialdemokratischen Partei, die in den vergangenen 30 Jahren die Politik in dem Land dominierte, hatte in den Umfragen auf dem ersten Platz gelegen.
Politische Stimmung in Rumänien ist angespannt
Die Sozialdemokraten sind die Nachfolgepartei der Kommunisten des langjährigen Diktators Nicolae Ceausescu. Die sozialdemokratischen Regierungsjahre ab den 1990ern wurden von mehreren Korruptionsskandalen überschattet. Derzeit regiert die Partei in einer Koalition mit der liberalen PNL. Ciolacu hat niedrige Beliebtheitswerte im Land, versuchte aber im Wahlkampf, sich als Garant für Stabilität und als demütiger, lernwilliger Politiker zu präsentieren.
Die politische Stimmung in Rumänien ist angespannt, insbesondere die Inflation in Rekordhöhe, die 2023 zehn Prozent erreicht hatte und 2024 immer noch 5,5 Prozent betrug, sorgt für Unmut.
Das Nato-Mitgliedsland hat insbesondere angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine große strategische Bedeutung: Rumänien teilt eine 650 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine, die rumänische Schwarzmeerküste reicht bis 150 Kilometer an die ukrainische Großstadt Odessa heran. 5.000 Nato-Soldaten sind in Rumänien stationiert, das Land spielt eine herausragende Rolle für den Export von ukrainischem Getreide. (dpa/bearbeitet von ank)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.