Die Amerikaner nennen es "Crunch Time". Die spannende Schlussphase eines Sportereignisses. Auch der Wahlkampf in den USA geht nun in die entscheidenden Momente. Trump oder Harris? Nur eine oder einer kann sich am 5. November als Gewinner feiern lassen.

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Der US-Präsidentschaftswahlkampf geht in die Schlussphase - und in den verbleibenden knapp zehn Wochen bis zum 5. November werden die Kontrahenten Kamala Harris und Donald Trump ihren Fokus noch stärker als bislang auf die "Swing States" richten. Dies ist die relativ kleine Gruppe von US-Bundesstaaten, bei denen der Ausgang auf der Kippe steht und in denen sich letztlich die Wahl entscheidet.

Das Harris-Momentum

Der Rückzug von Präsident Joe Biden im Juli und der Aufstieg seiner Stellvertreterin Harris zur neuen Präsidentschaftskandidatin der Demokraten haben die Dynamik des Rennens völlig verändert.

Kamala Harris will als erste Frau US-Präsidentin werden. (Archivbild) © picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Kent Nishimura

Nicht nur, dass Harris in kurzer Zeit Bidens Rückstand gegenüber Trump in den Umfragen aufgeholt und in den meisten der jüngsten landesweiten Befragungen sogar knapp vor dem Republikaner liegt. Da die Wahl nicht durch das landesweite Ergebnis, sondern die Resultate in den einzelnen Bundesstaaten entschieden wird, ist noch viel wichtiger, dass sich mit Harris die Ausgangslage für die Demokraten in den sogenannten Swing States deutlich verbessert hat.

In mehreren Staaten, in denen es während Bidens Kandidatur noch relativ klare Tendenzen zugunsten Trumps gab, ist das Rennen nun laut Umfragen wieder völlig offen - die Zahl der zu den Swing States gezählten Staaten hat sich mit Harris' Kandidatur also vergrößert.

Zur Favoritin ist Harris damit aber nicht avanciert. Die von der Website "RealClearPolling" errechneten Durchschnittswerte der Umfragen zeigen minimale Vorsprünge für entweder Harris oder Trump in sieben Swing States. Im Kampf um die Schlüsselstaaten hat also aktuell keiner von ihnen klare Vorteile.

Das indirekte Wahlsystem

Der Präsident oder die Präsidentin wird nicht direkt vom Wähler bestimmt, sondern von einem Kollegium, in das die 50 Bundesstaaten sowie die Hauptstadt Washington ihre Repräsentanten entsenden. Wie viele Vertreter ein Staat in dem aus 538 Mitgliedern bestehenden "Electoral College" hat, hängt von seiner Bevölkerungsstärke ab. Für den Wahlsieg werden 270 Wahlleute benötigt.

Von eminenter Bedeutung ist dabei die Regel, dass in den allermeisten Staaten der dortige Wahlsieger sämtliche Wahlmänner und -frauen zugeteilt bekommt. Ausnahmen von der "Der Gewinner bekommt alles"-Regel machen nur Maine und Nebraska.

Die Partei-Bastionen und die Kipp-Staaten

Viele Bundesstaaten sind Hochburgen entweder der Demokraten oder der Republikaner, wo die Präsidentschaftskandidaten der jeweils anderen Partei keine oder nur geringe Chancen haben.

Bastionen der Demokraten sind die liberal geprägte Westküste mit Kalifornien, Oregon und Washington und der Nordosten mit Bundesstaaten wie New York und Massachusetts. Die Republikaner haben ihre Hochburgen im konservativ geprägten Süden, etwa in Texas und Alabama, in weiten Teilen der Rocky Mountains und Prärie-Staaten wie North und South Dakota.

Auf die von ihnen als sicher verbuchten Bundesstaaten verwenden die Präsidentschaftskandidaten deutlich weniger Zeit und Ressourcen als auf die Swing States, die als Hauptschauplätze des Wahlkampfs auch "Battleground States" ("Schlachtfeld-Staaten") genannt werden.

Die Wahl-Arithmetik und die Routen zum Sieg

Aktuell zählen die US-Medien sieben Staaten zum engeren Kreis der Swing States. Laut dem Sender CNN hat es Harris geschafft, in vier Staaten das Rennen wieder völlig offen zu gestalten, die während Bidens Kandidatur noch eine klare Trump-Tendenz hatten: Georgia, Michigan, Nevada and North Carolina. Weitere Swing States sind Arizona, Pennsylvania und Wisconsin.

CNN geht derzeit davon aus, dass Harris 225 der 270 benötigten Stimmen im Electoral College mehr oder weniger sicher sind, Trump 219. Dabei werden die Stimmen jener Staaten zusammengezählt, in denen der Rückhalt für den jeweiligen Kandidaten "solide" ist oder in denen es zumindest eine klare Tendenz für ihn gibt.

Donald Trump lässt sich von seinen Anhängern feiern. (Archivbild) © picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Evan Vucci

Die Rechenspiele der US-Medien zeigen unterschiedliche Wege auf, auf denen Harris oder Trump die ihnen fehlenden Wahlleute gewinnen könnten. Eine hervorgehobene Bedeutung haben dabei die drei Staaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, die schon bei den vergangenen beiden Präsidentschaftswahlen zentrale Rollen gespielt hatten.

Die drei Staaten zählen zur nach der Parteifarbe der Demokraten benannten "Blue Wall" ("Blauen Wand") - also den Staaten, in denen in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend die Demokraten dominierten. Allerdings hatte Trump 2016 in den drei Staaten gewonnen, vier Jahre später wurden sie dann von Biden zurückerobert. Die drei Staaten haben zusammen 44 Wahlleute.

Für Trump könnte es von wesentlicher Bedeutung sein, mindestens einen dieser drei Staaten zurückzuerobern, während für Harris eine Verteidigung aller dieser drei Staaten ein entscheidender Faktor für den Gesamtsieg werden könnte. Eine zentrale Rolle könnten auch wieder Arizona (11 Wahlleute) und Georgia (16) spielen, wo Biden 2020 mit hauchdünnen Vorsprüngen die jahrzehntelange Dominanz der Republikaner gebrochen hatte.

Kennedy zieht sich zurück aber eventuell zu spät

In der vergangenen Woche hatte der parteilose Robert F. Kennedy Jr. angekündigt, sich in den Swing States aus dem Rennen ums Weiße Haus zurückzuziehen. Er wolle dadurch Trump unterstützen, da dieser so Stimmen eigentlicher Kennedy-Wähler erhalten und die Wahl gewinnen könnte.

Kennedy teilte mit, seinen Namen in den besonders umkämpften Staaten vom Wahlzettel streichen lassen zu wollen. Das könnte allerdings schwierig werden, denn so kurzfristig dürfte das nicht mehr überall möglich sein: Fristen für einen Rückzug aus dem Wahlkampf sind teilweise schon verstrichen und der Druck der Wahlzettel hat in einigen Staaten bereits begonnen. Wie der US-Sender NPR berichtet, handelt es sich dabei um Michigan, Nevada, North Carolina und Wisconsin. Es ist also möglich, dass Kennedy Trump entscheidende Stimmen kosten wird, obwohl er in diesen Staaten eigentlich gar nicht mehr zur Wahl steht.

Verwendete Quellen:

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