Man muss schon wissen, dass es sich hier um eine politische Veranstaltung handelt, von einer Partei mit einem Programm, das manchen Leuten schmeckt und anderen weniger. Wer noch keine Ahnung hat, worum es Sebastian Kurz mit seiner neuen Volkspartei geht, wird es hier, am großen Platz vor der Landesregierung in St. Pölten kaum erfahren. "Es ist Zeit", steht auf Plakaten ringsum. Mehr nicht.
Zu sehen gibt es ein Meer aus Türkis: türkise Oldtimer-Laster, aus deren Bauch heraus Würstel, Schwammerlgulasch und Bier verteilt werden. Ein riesiges türkises Sonnendach, das leicht schräg über den Platz hängt. Kameraleute unter türkisen Schirmen, die die Menge filmen und Bewegtbilder davon auf große Leinwände werfen.
Die Videos zeigen türkise Luftballons und jubelnde Menschen mit türkisen Ansteckern. Eine blonde Mittvierzigerin im türkisen Kostüm. Ein kleines Mädchen in türkisem Jogginganzug. Hin und wieder zeigen die Leinwände einen jungen Politiker beim Bad in der Menge.
Diszipliniert schüttelt
Inoffizieller Wahlkampfauftakt
Am frühen Freitagabend gab es in St. Pölten eine Art inoffiziellen Auftakt für den Intensivwahlkampf des jungen ÖVP-Spitzenkandidaten.
Auftritte in Niederösterreich sind ein Heimspiel für Kurz. Das bevölkerungsreiche Bundesland ist ÖVP-Kerngebiet, hier gibt es für die Nationalratswahl die meisten Stimmen zu holen. Der frühere Landeshauptmann Erwin Pröll – die graue Eminenz der Volkspartei – war einer der stärksten Mentoren des heutigen Parteichefs.
Auch Prölls Nachfolgerin
Es ist 18.45 Uhr. Noch sieht man den Spitzenkandidaten der Volkspartei nur auf der Videowall. Laut Programm hätte er schon vor einer Viertelstunde hier sein sollen, aber das stört keinen. Aus den Lautsprechern trällert Katrina and the Waves, "I´m walking on sunshine". Männer im reiferen Alter mit Trachtensakkos klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, jüngere geben einander High-five.
Nach derzeitigem Stand der Dinge ist den Konservativen der Sieg bei der Wahl am 15. Oktober kaum zu nehmen. In allen Umfragen liegt die ÖVP weit vor der SPÖ, die mit Christian Kern den Kanzler stellt. Elf Jahre, nachdem Wolfgang Schüssel als Regierungschef abgewählt wurde, ist für die ÖVP die Rückkehr ins Kanzleramt in Reichweite.
Es müsste schon etwas Außergewöhnliches geschehen, damit Kurz in sechs Wochen nicht vorne liegt.
Diese Gewissheit des Sieges steht den ÖVP-Fans hier am Landhaus Boulevard ins Gesicht geschrieben. "Whatever you want, whaetever you need", rufen Status quo aus den basslastigen Lautsprechern.
Auf der Bühne streut Peter L. Eppinger, der frühere Ö3-Moderator, gekonnt kleine Aufmunterungen ins Publikum. Dann führt er ein Interview mit Harald Hochedlinger, dem früheren Obmann der niederösterreichischen Landjugend, ein blonder Endzwanziger rundem Gesicht, der beim Reden mit der rechte Hand in die Luft hackt. Was Hochedlinger zu Kurz einfällt? Der ÖVP-Funktionär spricht viel von Tradition und Werten, von dörflichem Zusammenhalt und Breitbandinternet. "Für mich widerspiegelt Sebastian Kurz einen Politiker, den wir im ländlichen Raum brauchen", sagt der junge Mann. Dann erwähnt er, dass auch er sich die neue "Sebastian Kurz"-App auf sein Handy geladen hat.
App ist neuester Schrei der Kampagne
Die App ist der neueste Schrei der Kurz-Kampagne, sie wird auf Foldern beworben. Wer sie installiert, muss sich per Facebook oder Mail-Adresse registrieren. Erst dann ist man Teil des Kurz-Universums, gefüttert mit Infos zu Wahlveranstaltungen und Sebastian-Kurz-Fotos.
Immer wieder kommt die Aufforderung, andere Mitbürger von Kurz zu überzeugen oder seine Stellungnahmen auf Facebook zu teilen. Solche Instrumente der Wählerbindung lassen die anderen politischen Mitbewerber alt aussehen.
Inzwischen ist die Liveband auf die Bühne gekommen, die "Wilden Kaiser", eine in der Region populäre Schlagerkombo aus dem Weinviertel. Der Frontmann der Band trägt eine blaue Fantasieuniform mit goldenen Wimpeln. Er wisse schon, sagt er, dass das Publikum diesmal nicht wegen der Musik, sondern wegen Kurz gekommen sei. Die Musik der wilden Kaiser heizt sie Stimmung trotzdem weiter an.
"Seit ich dich kenne ist mir sonnenklar, du bist mein Superstar", singen sie. Es riecht nach Würstel mit Kren, auf kleinen Stehtischen gibt es türkise Plastikbecher mit Bier zur freien Entnahme. Die Videowall zeigt erneut den Spitzenkandidaten beim Bad in der Menge. Dann ist er da, direkt vor der Bühne.
Im Nun bildete sich eine Traube von Menschen um ihn, Anhänger steigen auf Biertische, um mit dem Handy Bilder zu knipsen. Andere halten Ortstafeln aus Pappe mit den Namen niederösterreichischer Gemeinde in die Höhe: Mistelbach, Hollabrunn, Lilienfeld.
Sie hoffen auf ein Selfie mit dem Hoffnungsträger. "Du bist der Engel, der über mich wacht, die ganze Nacht", singen die wilden Kaiser. "Die Hände gehen nach oben", ruft der Sänger in der blauen Fantasieuniform. Dann singen sie den größten Hit von Nik P.: "Ein Stern, der deinen Namen trägt."
Ein paar Minuten später holt Moderator Eppinger Kurz auf die Bühne, für ein Interview. Woher der ÖVP-Spitzenkandidat die Energie für die vielen Auftritte nehme, möchte er wissen. Der deutet auf die Menge. "Bei so einem Stärkezeichen schießt nicht nur mir die Energie ein." Seine Stimme ist schon heiser. "Gebt Gas, wir brauchen noch viel", ruft Kurz.
Was nun geplant sei, will der Moderator wissen. Er freue sich darauf, noch viele Leute zu treffen und vielleicht ein Bier mit ihnen zu trinken, erzählt Kurz.
Dann setzt die Musik ein, die wilden Kaiser spielen ein Stück von Andreas Gabalier, der Spitzenkandidat mischt sich unter das Publikum. Als man ihm ein Bier reicht, hält die Kamera drauf und wirft das Bild auf die Videowall. Kurz prostet der Menge zu.
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