Immer wieder fällt die Kita aus, wegen Personalmangel oder Krankheitsfällen. Für Eltern bedeutet das Stress – aber nicht nur Familien leiden darunter. Damit ist auch ein enormes wirtschaftliches Risiko verbunden.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Rebecca Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Durch regelmäßige Kita-Ausfälle aufgrund von Personalmangel und hohen Krankenständen sind Eltern immer wieder gezwungen, mit ihren Kindern ungeplant daheim zu bleiben – externe Betreuung nicht möglich. Und das ist ein Problem für die gesamte Volkswirtschaft. "Die Beschäftigten geraten unter Druck", sagt Bettina Kohlrausch, die Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, auf Anfrage unserer Redaktion.

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Dazu haben die Forscherinnen und Forscher auch eine Studie veröffentlicht. Das Ergebnis: Ein Großteil der Eltern könne nicht auf eine zuverlässige Betreuung der Kinder vertrauen. Gut 57 Prozent von ihnen seien mit Kürzungen der Betreuungszeiten oder sogar zeitweiligen Schließungen der Einrichtung aufgrund von Personalmangel konfrontiert gewesen, erklärt Kohlrausch und verweist auf die Studie des WSI.

Eine weitere Erkenntnis der Studie: Knapp die Hälfte der betroffenen Eltern mussten deshalb Urlaub nehmen oder Überstunden abbauen. "Knapp 30 Prozent mussten zeitweilig ihre Arbeitszeit reduzieren." Ein großer Teil der Eltern (67 Prozent) empfindet die Situation als belastend, 30 Prozent sogar als "sehr belastend". Das könne sich langfristig auf die Beschäftigung auswirken, erklärt Kohlrausch. Durch die Kita-Krise verstärke sich aus Sicht der Expertin der Fachkräftemangel.

In der Politik ist das Problem bekannt. Die SPD-Abgeordnete Leni Breymaier nennt verlässliche Kinderbetreuung den "Flaschenhals der Wirtschaft". Breymaier ist familienpolitische Sprecherin ihrer Partei. Sie sagt unserer Redaktion: Die Bundesländer müssen in ihren Haushalten entsprechende Prioritäten setzen. Der Bund ist dafür nicht zuständig, da Kinderbetreuung – ebenso wie Bildung – Sache der Länder ist.

Aus ökonomischer Sicht ist klar: Fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder sind teuer. Der volkswirtschaftliche Schaden in Deutschland liegt bei bis zu 1,2 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr – weil Eltern in Teilzeit arbeiten müssen. Umgerechnet bedeuten das etwa 22,7 Milliarden Euro, die nicht verdient werden. Oder 0,55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 2023. Das ist das Ergebnis einer Erhebung von Stepstone, über die das "Handelsblatt" berichtet.

Wirtschaftsexperte fordert moderne und starke Familienpolitik

Das Problem der fehlenden Kinderbetreuung ist nicht neu. In Westdeutschland ist es seit Jahrzehnten ein Thema – anders als in der DDR, wo es genügend Krippenplätze gab. Nach der Wende passierte zunächst wenig. Erst seit 2005 wurden Krippenplätze massiv ausgebaut, sagt Helmut Rainer, Leiter des Ifo-Zentrums für Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsökonomik, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Seit 2013 gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz – eine Entwicklung, die sich besonders auf die Erwerbstätigkeit von Frauen ausgewirkt habe. "In Regionen, die schnell ausgebaut haben, konnte man sogar beobachten, dass die Geburtenraten angestiegen sind", sagt Forscher Rainer.

"Der Aufbau der Krippeninfrastruktur kam auf halber Strecke nach 2013 zum Erliegen", führt der Experte aus. Bis heute sei das Angebot im Westen zu gering. Was es brauche, sei eine "schlauere Familienpolitik". Dafür reiche es nicht, in regelmäßigen Abständen das Kindergeld zu erhöhen. "Dabei wird Geld mit der Gießkanne verteilt, familienpolitische Ziele werden aber kaum erreicht", sagt Rainer.

Was er damit meint? Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Förderung von Kindern oder die Stabilisierung der Geburtenrate würden auf diese Weise nicht erreicht. Das Kindergeld sei dafür nicht geeignet. Es fahre eher Erwerbstätigkeit herunter.

Mehr Geld für die Kitas, die es brauchen: Das ist auch aus Sicht der Grünen eine gute Idee. Ihre familienpolitische Sprecherin Franziska Krumwiede-Steiner will das Geld da hinstecken, wo es am dringendsten gebraucht wird. So könnten Kitas, die in Stadtteilen mit hohem Bedarf an Sprachförderung stehen, mehr Geld bekommen. Was es aber auch brauche, seien mehr Fachkräfte im System, sagt Krumwiede-Steiner.

Beim Ampel-Koalitionspartner FDP sieht man es ähnlich. Familienexperte Matthias Seestern-Pauly sieht in der Personalgewinnung einen Schlüssel – auch, um überhaupt einen stärkeren Fokus auf Sprachförderung und eine verlässliche Betreuung zu legen.

Zwei Erzieherinnen passen im Kindergarten auf vier Kinder auf.

In Deutschland sind 125.000 Stellen in Kitas unbesetzt

In deutschen Kindertagesstätten fehlen Fachkräfte. Die Lage war noch nie so angespannt wie jetzt. Das geht aus einem Bericht des Paritätischen Gesamtverbandes hervor.

Frühkindliche Investitionen können sich langfristig rechnen

Ifo-Forscher Helmut Rainer findet es richtig, hier anzusetzen. Von gut ausgebauten Kitas profitieren gerade auch Kinder aus einkommensschwachen Haushalten in ihrer Entwicklung, sagt der Experte. In Berlin gibt es bereits kostenfreie Kitaplätze. Das sei zielführend, erklärt der Experte. "Gerade frühkindliche Investitionen wirken sich langfristig auf die schulische Entwicklung und später auch auf das Berufsleben aus."

Doch es bleibt eine Frage: Wer soll das bezahlen – nur die Länder? Die Chefin der Linken-Gruppen im Bundestag, Heidi Reichinnek, sagt: So geht’s nicht. Auch der Bund muss mehr zahlen. Reichinnek sagt unserer Redaktion: "Seit Jahren steigen die Kosten des Systems um jährlich rund drei Milliarden Euro – der Bund gibt aber seit Jahren nicht mehr als zwei Milliarden dazu und lässt Länder und Kommunen somit im Stich." Die Linke fordert daher einen Kita-Gipfel, um über Lösungen zu diskutieren. Aus Reichinneks Sicht ergeben sowohl der vereinfachte Quereinstieg als auch Rückholaktionen für Erziehende, die den Job gewechselt haben, Sinn.

Fakt ist: Nach wie vor hängt der Bildungserfolg in Deutschland mit der Herkunft zusammen. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Nationale Bildungsbericht. Darin wird aktives Gegensteuern gefordert, um gleiche Lebenschancen zu schaffen. Dazu gehört auch die Verlässlichkeit der Kinderbetreuung.

"Wir können dem Personalmangel in Kitas nur begegnen, wenn wir flexibel und bürokratiearm handeln und die Lösung dieser Probleme als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen", sagt CDU-Familien-Politikerin Silvia Breher unserer Redaktion. In der aktuellen Situation brauche es vor allem einen erleichterten Zugang für Quereinsteiger.

Aktuell versuchen die Länder händeringend, die löchrige Personaldecke zu stopfen – vor allem mit eben diesen Quereinsteigern. Laut einem kürzlich veröffentlichten Kita-Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands könnte es im gesamten Bereich der Kinderbetreuung bis 2030 125.000 Fachkräfte zu wenig geben.

Die familienpolitische Sprecherin des BSW, Zaklin Nastic, fordert daher eine groß angelegte Ausbildungsoffensive von Bund und Ländern. Was es außerdem brauche: Mehr Wertschätzung für Berufe im pädagogischen Bereich. Das heißt für Nastic: mehr Geld, bessere Arbeitsbedingungen und eine angemessene Ausstattung der Kitas.

Klar ist in jedem Fall: Es muss sich etwas ändern. Der Bund will nun dafür sorgen, dass die Länder die Kita-Förderung vorrangig ins Personal stecken – statt damit Eltern von den Kita-Gebühren zu entlasten. Die Länder währenddessen suchen nach geeigneten Quereinsteigern oder verkürzen die Ausbildung. Ob dieses Vorgehen die Personallücke schließen kann, bleibt abzuwarten. Für Eltern, Kinder und das Kita-Personal ist eine zeitnahe Entlastung in jedem Fall nötig.

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