In "Babygirl" unterwirft sich Nicole Kidman als CEO einer Tech-Firma einem Praktikanten. Das freizügige Drama ist mehr als nur ein "Skandalfilm" im Stil von "Fifty Shades of Grey".
Zuerst hört man nur eine Frau stöhnen, laut, sinnlich-perfekt, die Leinwand bleibt schwarz. Dann ist das Gesicht zu sehen: Romy (
Romy ist eine in jedem Bereich ihres Lebens erfolgreiche Frau. Sie ist CEO einer Tech-Firma, ist mit einem erfolgreichen Theaterregisseur verheiratet und hat zwei Töchter. Nach außen hin ist sie stets makellos. Die gezwirbelten Haarsträhnen liegen wie gemalt auf den Wangen, sie schreitet wie eine klassische Statue durch ihr Büro. Ihren Töchtern macht sie selbst das Pausenbrot und legt ihnen kleine Zettel dazu. Sie ist eine in jeder Hinsicht emanzipierte Frau. Nur wenn es um ihre sexuellen Fantasien geht, kann sie nicht mit ihrem Mann darüber reden. Als sie es versucht, schämt sie sich so sehr, dass sie sich unter der Bettdecke versteckt. Doch der hat kein Verständnis.
Als ein neuer Praktikant in ihrer Firma anfängt, fühlt Romy sofort eine starke Anziehung. Sie ist rein sexuell, Samuel (Harris Dickinson) spricht genau diesen Teil von ihr an, den sie bisher nicht ausleben konnte. Die beiden beginnen eine Affäre, in der es um Macht geht: Der Praktikant ist der dominante Part, die ältere Chefin gehorcht.
Einfach mal "ein sexy Film mit heißen Leuten"
Das klingt erst mal nach einem dieser Filme, die das Thema von "Fifty Shades of Grey" aufleben lassen, nur mit vertauschten Rollen. Die Presse vor dem Filmstart tat das Übrige. Das Schlagwort "Skandalfilm" fiel, es wurde von Zuschauern berichtet, die das Kino verließen, Nicole Kidman erklärte, von den vielen expliziten Szenen sei sie am Ende sensorisch überfordert gewesen. Auch Regisseurin Halina Reijn trug ihren Teil dazu bei, indem sie in Interviews sagte, ihr Film solle vor allem "saftig" sein und sie wolle eben "manchmal einfach einen heißen, sexy Film mit heißen Leuten sehen, der mich ein bisschen anmacht".
Um das gleich aus dem Weg zu räumen: Das gelingt ihr. So freizügig hat sich Nicole Kidman wohl seit ihrer Rolle in "Eyes Wide Shut" (1999) nicht mehr gezeigt. Dieser Film ist vor allem ihre Show, bei den Festspielen von Venedig wurde sie dafür mit dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet. "Babygirl" ist aber auch ein Film, der auf sehr viel mehr Ebenen wirkt als nur der erotischen. Er zeigt den Beginn dieser sexuellen Affäre sehr viel differenzierter als andere Filme aus diesem Genre. Die Rollen von Romy und Samuel sind nicht von Beginn an festgelegt. Die beiden finden erst heraus, wie sie diese Beziehung führen wollen.
Erfolgreich im Job, perfekt als Mutter, begehrenswert für den Partner
Gleichzeitig zeigt "Babygirl", unter welchem Druck moderne Frauen stehen, alles gleichzeitig sein zu müssen. Erfolgreich im Job, perfekt als Mutter, begehrenswert und jung für den Partner. Es ist umso mutiger von Nicole Kidman, dass sie zulässt, dass ihre Rolle und ihr Bild in der Öffentlichkeit ineinander übergehen. Die mittlerweile 57-jährige Schauspielerin, die in mehr als 100 Filmen mitgespielt hat, ist in den letzten Jahren wegen ihrer Schönheitseingriffe ständig Kritik ausgesetzt.
Ihre Mimik sei vollkommen erstarrt und deshalb spiele sie nur noch reiche Frauen, so der Vorwurf. "Babygirl" thematisiert genau das. Als Romy verschwindet sie in der vermeintlich verjüngenden Kältekammer, sie lässt sich Botox in die Wangen spritzen und die blauen Flecken von ihrer Kollegin wegschminken. Als sie das erste Mal nackt vor ihrem Liebhaber steht, schämt sie sich, weil sie schon alt sei und nicht mehr schön.
In "Babygirl" demontiert Regisseurin Halina Reijn all das. Im Verlauf der Affäre weicht die Perfektion einer nie gekannten Freiheit. Die gezwirbelten Haarsträhnen liegen nicht mehr wie vom Coiffeur drapiert, die Kleidung wird nachlässiger, der Orgasmus klingt weniger perfekt, dafür natürlicher. Romy, die, obwohl sie der unterwürfige Part ist, zunächst irgendwie doch immer die Kontrolle behält, verliert sie zunehmend. Bis es auf einmal vorbei ist.
Das ist wahrscheinlich der schwächste Part von "Babygirl". Dort, wo sich in anderen Filmen dieser Art die Spirale immer weiter nach unten dreht, wählt Reijn ein allzu braves Ende. Der Qualität von "Babygirl" tut das keinen Abbruch. Es ist Nicole Kidmans überzeugendste Performance seit langem – und vielleicht der beste Erotikthriller seit "Basic Instinct".
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