Sein Debüt sorgte in der Filmwelt für Aufsehen. Doch dann wurde es sieben Jahre lang still um Regisseur Jan-Ole Gerster. Im Interview spricht er über die Gründe für seine lange Auszeit und warum er sich gerade für seinem neuen Film "Lara" als Stoff für sein Comeback entschieden hat.
Jan-Ole Gerster, Ihrer letzter Film "Oh Boy" liegt ganze sieben Jahre zurück. Warum die lange Pause?
Können Sie das näher erläutern?
"Oh Boy" war ein merkwürdiger Ritt. Ein kleiner Studentenfilm, bei dem man zu Beginn nicht wusste, wie man die Miete bezahlen soll, und am Ende riefen Hollywood Agenten an, um mir Stoffe anzubieten. Ich wollte mir aber erstmal darüber klar werden, was ich als Filmemacher will und wohin es für mich gehen soll. Deswegen hab ich mir die Zeit genommen, dass herauszufinden und an ein paar Ideen zu arbeiten.
Wie sind Sie von diesem Findungsprozess zu "Lara" gelangt?
Im Laufe meiner Orientierung habe ich Blaž Kutin kennengelernt, der das Drehbuch zu "Lara" geschrieben hat. Davon wusste ich aber zunächst nichts, weil er mit der Arbeit an dem Script schon einige Jahre zuvor begonnen hatte. Blaž hat mir dann immer wieder von diesem Drehbuch erzählt, das zwar Preise gewonnen hätte, aber nie verfilmt worden sei. Das hat mich neugierig auf diese Lara gemacht.
Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon viele andere Projekte angeboten bekommen und auch gelesen. Aber keines davon hat mich so berührt und auf eine positive Art verstört wie "Lara". Zudem gab es auch mehrere Indizien dafür, dass mir die Geschichte liegen könnte.
Welche zum Beispiel?
Was die Tonalität und die Sicht auf die Figuren anging, war das Drehbuch zu "Lara" eines, das ich gerne selbst geschrieben hätte.
Dazu kam eine Hauptfigur, die mir eigentlich ferner nicht sein könnte und bei der ich aber trotzdem den Eindruck hatte, dass mich irgendetwas mit ihr verbindet. Ich fand es spannend herauszufinden, was das sein könnte.
Ist Ihnen das gelungen?
Ja. Im Grunde greift der Film viele Motive auf, die Menschen wie mich betreffen. Als Leute, die eine große Leidenschaft für etwas hegen, gleichzeitig aber an krankhaften Zweifeln und der permanenten Angst, nicht gut genug dafür zu sein, leiden.
Diese Erfahrung hab ich auch mal als Filmstudent gemacht. Es gab da einen Punkt, wo ich dachte ich werfe alles hin. So eine Filmhochschule kann ja mitunter ein Haifischbecken verschiedener Egos sein, in der man sich ständig mit Kommilitonen, Dozenten und Professoren vergleicht.
Irgendwann dachte ich vor lauter Ehrfurcht und Liebe zum Kino, dass ich besser den Weg für die Könner freimachen und meine Leidenschaft nicht mit meiner Mittelmäßigkeit besudeln sollte. Aber ich hab' diese Gedanken bezwungen und "Oh Boy" gedreht. Lara hingegen hat diesen Schritt hinter ihre Zweifel nie gewagt. Darin liegt ihre große Tragik, mit der ich viel anfangen konnte.
Ist dieses Unvermögen, die eigenen Zweifel zu besiegen, auch der Grund dafür, dass Lara fast daran zerbricht, als ihr alter Musikprofessor ihr das Talent für etwas Großes bescheinigt?
"Lara" hat ja damals wegen einer beiläufigen abschätzigen Aussage ihres Professors aufgehört zu spielen. In der angesprochenen Szene sagt dieser ja noch dazu: "Talent oder nicht Talent. Viele Leute haben Talent, was hat das mit mir zu tun?"
Das wirft die Frage auf, ob "Lara" tatsächlich zu wenig Talent für ihren Traum hatte, oder der Kommentar nur ein Vorwand für sie war, um aufzugeben. Was davon nun stimmt, bleibt offen. Aber als der Professor ihr diesen Gedanken vor Augen führt, ist das für "Lara" ein schwerer Schlag.
Salopp gesprochen ist "Lara" ein sozialer Totalausfall. Aber obwohl man sich als Zuschauer nicht mit ihr identifizieren kann, wird es nicht langweilig sie zu beobachten. Wie schafft man es, dem Publikum einen so unsympathische Charakter ans Herz wachsen zu lassen?
Indem man den unbedingten Willen hat, zu ihrem Kern vorzudringen. Man muss hinter die komplizierte Schale einer Figur blicken und zeigen, dass dort etwas liegt, was ihr Verhalten erklärt.
Oder es zumindest nachvollziehbar macht. Wenn einem das gelingt, weckt man damit Mitgefühl, Sympathie und Verständnis für den Charakter.
"Lara" wirkt zudem sehr widersprüchlich. So bremst sie Viktor bewusst in seinem Erfolg, obwohl sie ihm alles beigebracht hat und für sein musikalisches Können mitverantwortlich ist. Was steckt dahinter?
Ja sie ist definitiv widersprüchlich. In erster Linie will sie wohl die Kontrolle über ihren Sohn und die Beziehung der beiden bewahren. Viktor ist ja inzwischen die Verlängerung ihrer selbst. Ihm muss jetzt alles gelingen, was "Lara" selbst nie geschafft hat. Das ist eine sehr spezielle symbiotische Beziehung zwischen den beiden.
Natürlich ist Viktor, wer er ist, wegen seiner Mutter. Daraus speist sich auch die Widersprüchlichkeit von Lara. Sie will zwar an seinem Erfolg teilhaben, hat aber auch Angst davor, durch diesen obsolet zu werden.
Eigentlich ist "Lara" ein doch ziemlich bitteres Drama. Dennoch taucht in dem Film immer wieder unterschwellig schwarzer Humor auf. War das beabsichtigt?
Der Humor schleicht sich einfach ein, wenn ich inszeniere. Es ist ein Teil meiner Persönlichkeit, das ich sehr ambivalent auf die Dinge blicke, auch wenn sie sehr dramatisch sind. Manchmal ist Humor natürlich komplett fehl am Platz. Aber ich finde es interessant, das Absurde und das Komische in vermeintlich tragischen Dingen zu entdecken.
Darüber hinaus hat
Wie sind Sie auf Harfouch für die Rolle der Lara gekommen?
Auf die Idee mit ihr zusammenzuarbeiten bin ich durch ihr Theaterspiel gekommen. Über die Jahre bin ich schlicht Fan von Corinna geworden, aber was sie auf der Bühne macht, hat bei mir den Wunsch entfacht, etwas mit ihr zu drehen. Das war noch lange bevor ich das Drehbuch zu "Lara" kannte.
Das Script hab ich ab der zweiten Seite mit Corinna im Hinterkopf zu Ende gelesen. Tatsächlich habe ich es auch von ihrer Zusage abhängig gemacht, ob ich den Film überhaupt umsetze. Nachdem wir uns getroffen und unterhalten haben, war auch schnell klar, dass sie die Rolle spielen wollte.
Wie auch bei "Oh Boy" begleiten wir bei "Lara" eine Figur bei einer Odyssee durch Berlin. War diese Parallele von Ihnen beabsichtigt?
Wir mussten den Film natürlich irgendwo verorten, aber ich habe nicht darauf bestanden, dass er in Berlin spielt. Darüber hinaus spielt die Stadt hier nur eine untergeordnete Rolle, während sie in "Oh Boy" so etwas wie eine zweite Hauptfigur war. "Oh Boy" bewegte sich zudem viel im hippen Teil von Berlin, während "Lara" im gediegenen und gutbürgerlichen Charlottenburg spielt.
Das ist ein Bezirk, der in der Zeit ein bisschen stehen geblieben ist. Viele Orte dort, wie Kaffees und eben der ganze Kulturbetrieb, haben sich in den letzten 30 oder 40 Jahren nicht verändert. Ich fand, das passte ganz gut zur Geschichte. Und eben auch zu Lara, die auch einen gewissen altmodischen Begriff von Dingen hat. Beispielsweise bei ihrer Sicht auf das Leben und die Kunst.
Sie haben für den Film Fördermittel von Arte, dem Rundfunk Berlin Brandenburg, dem Bayerischen Rundfunk, von der Filmförderanstalt, vom deutschen Filmförderfond, der mitteldeutschen Medienförderung und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien bekommen. Klingt nach recht viel Aufwand, oder?
Ja das tut es. Das ist aber eine Sache, bei der ich nur bis zu einem gewissen Grad involviert bin. Für mich ist letztendlich die Höhe des Budgets wichtig, weil sie mir meine gestalterischen Möglichkeiten aufzeigt. Also ob ich meinen Film nun auf dem Handy drehen muss, oder doch eine richtige Kamera verwenden kann.
Wie sich das Budget aber im einzelnen zusammensetzt, dass überlasse ich dann meist den Produzenten. Mittlerweile ist es aber auch nicht ungewöhnlich, dass viele Fernsehstationen und Förderer ein Projekt unterstützen.
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