Harter Sex, kaltes Gold und viel Gefühl: Dominik Graf inszeniert den Münchner "Polizeiruf 110" als stimmungsvolle Ballade, der man sich schwer entziehen kann.
Es beginnt mit einer Therapiesitzung, bei der man sich am liebsten gleich dazusetzen möchte. Der Raum – Praxis scheint hier das falsche Wort – sieht aus wie eine von Instagram inspirierte Oase der minimalistischen Gemütlichkeit. Beige und Brauntöne bestimmen das Ambiente, Bücherregale und Kunstobjekte, Tee und Kekse. Es ist, als ob die Holzjalousien und luftigen weißen Gardinen vor den großen Fenstern nicht einfach vor Sonne und Blicken schützen, sondern auch gleich den Alltag filtern. Hier herrschen nur Ruhe, Licht und Wärme.
Auf der Couch sitzt die junge Mia, und man könnte ihr stundenlang zuhören, wie sie davon erzählt, was ihr im letzten Monat passiert ist. Lukas ist passiert. "Krasse, wilde, total verrückte vier Wochen". Mit "Lucky" empfindet Mia seit langem einmal wieder so etwas wie Glück. Die Dunkelheit, die sie sonst immer spüre, das Gefühl, dass die Welt immer enger werde – alles weg, erklärt sie ihrem Therapeuten, den Mia duzt und Michael nennt. Seit sie 14 ist, ist Mia in Behandlung, erst wegen Essstörungen, dann starb vor zwei Jahren auch noch ihre Mutter. Michael (Michael Roll) scheint eher ein verständnisvoller Onkel denn ein Therapeut.
Es gibt nur ein Problem: Mia ist aus gutem Hause
Mit Lucky (Florian Geißelmann) kann Mia wieder atmen. Weil Lucky sie sieht und spürt und erkannt hat, dass sie, nun ja, benutzt werden will. Vorsichtig tastet Mia sich an die Worte heran, weil sie dieses neue Gefühl erst noch erforschen muss – und weil sie Rücksicht auf ihr Gegenüber nehmen will. Denn Lucky ist nicht einfach nur ihr neuer Freund, Lucky dreht mit Mia Amateurpornos. Ziemlich harte Sachen, er ist der Dom, sie die Untergebene. Unscharfe Bilder zeigen Mias und Luckys Welt im alternativen Künstlerviertel Münchens. Den Sex im graffitiübersäten Wohnwagen, das liebevolle Herumgealbere abseits der Kamera. Man trinkt Bier auf Klappstühlen und feiert zwischen Bauzäunen die junge Liebe. "Crazy neu" sei das für sie gewesen, sagt Mia lächelnd und versucht, Michael von der Lust zu erzählen, vom Gefühl der Freiheit in der Unterordnung.
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Es gibt nur ein Problem: Zum einen kommt Mia aus gutem Hause. Aus einer Villa mit viel Parkett und Stuck und Kronleuchtern. Ihr Vater Ralph Horschalek (Martin Rapold) ist erfolgreicher Unternehmer mit Verbindungen in Münchens höchste Kreise. Seine "Munich Gold AG" handelt mit Edelmetallen und bietet den Kunden außerdem diskrete Tresorräume an – Internetpornos seiner Tochter sind so ziemlich das Letzte, was der Mann gebrauchen kann. Und jetzt ist Lucky ermordet worden. Sämtliche Hardware mit seinen Filmen wurde gestohlen.
Da geht rein theoretisch der Krimi los. Aber der Täter in "Jenseits des Rechts" ist dermaßen offensichtlich, dass man ihn vermutlich ohne Spoilerwarnung verraten könnte. Auch das im Titel angedeutete moralische Dilemma ist nicht wirklich der Rede wert: Der Film erzählt davon, dass DNA-Analysen auch Informationen ans Licht bringen können, die Ermittler von Rechts wegen nicht verwenden dürfen, zumindest nicht offiziell. Aber um die Sinnhaftigkeit des Gesetzes oder darüber, dass der Schutz von Persönlichkeitsrechten auch den Schutz von Verbrechern mit sich bringt, geht es hier nur am Rande.
Kommissarin Blohm: Versteckt auf Sweet-Sixteen-Party
Wichtiger ist in diesem Fall, dass die Münchner "Polizeiruf"-Kommissarin Cris Blohm (Johanna Wokalek) gewissermaßen privat von dem brisanten Ergebnis erfährt. Und daraufhin zu etwas lächerlichen, ziemlich unrealistischen Ermittlungsmethoden greifen muss, um den Täter zu entlarven. Der ahnungslose Kollege Dennis Eden (Stephan Zinner) bleibt in diesem Fall außen vor.
Dieser "Polizeiruf" erzählt weniger von der Suche nach dem Täter als vielmehr von suchenden Seelen. Lauter kantige, mal mehr, mal weniger einsame Menschen, an denen nichts glatt und eindeutig ist, selbst wenn es auf den ersten Blick so scheint: Cris Blohm ist eine Kommissarin, die ihre Karriere aufs Spiel setzt, indem sie sich mit ihrem DNA-Kit auf der Toilette einer Sweet-Sixteen-Party versteckt: Mias Schwester (Falka Klare) feiert ihren Geburtstag und ihren Erfolg in den sozialen Medien. Ob es eine Party mit Freunden oder Followern ist, lässt sich da schwer sagen. Hauptsache, die Bilder kommen gut. Schöne, betrunkene Menschen bei Nachtlicht, Neonlicht und Kerzenschein. Der Vater versteckt sich in seiner Firma oder seinem Schlafzimmer; ein Witwer, der sich an die Handfestigkeit des Goldes klammert, weil sonst ja nichts im Leben Bestand hat.
Emma Preisendanz überzeugt mit Intensität vor der Kamera
Und dann ist da natürlich Mia, die seit ihrer Kindheit als Fremdkörper durch die Welt torkelt und sich mit ihrer ersten großen Liebe in Sexfilmen endlich fallen lassen konnte, weil ausgerechnet hier mal nichts gestellt war, alles echt und nackt und körperlich, das Gegenteil von Parkettböden, Kronleuchtern und Diskretion. Emma Preisendanz spielt Mia mit einer Intensität, die volle Aufmerksamkeit erfordert und bedingungslose Sympathie bewirkt. Man möchte sie in den Arm nehmen, diese junge Frau, die so viel Verletzlichkeit und Nachdenklichkeit und gleichzeitig so viel Stärke ausstrahlt.
Es ist eine Ballade der Menschen und Milieus, die Regisseur
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