- Regisseur Ruben Östlund hat dieses Jahr mit seinem Film "Triangle of Sadness" zum zweiten Mal die Goldene Palme in Cannes gewonnen.
- Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt er, warum ihm die Corona-Pandemie bei der Umsetzung des Films sogar geholfen hat.
- Außerdem verrät er, warum er gerne mit seinen Filmen für Gesprächsstoff sorgt und was das europäische Kino von Hollywood unterscheidet.
Herr Östlund, zuallererst möchte ich Ihnen mein Beileid aussprechen. Ich habe Charlbi Dean Kriek zum ersten Mal in Ihrem Film "Triangle of Sadness" gesehen und fand ihre Performance hervorragend. Leider ist sie im August diesen Jahres mit nur 32 Jahren verstorben.
Ruben Östlund: Vielen Dank.
Sie haben mit "Triangle of Sadness" zum zweiten Mal hintereinander die Goldene Palme in Cannes gewonnen. Wenn Sie solche Awards gewinnen, erhöht das den Druck auf Sie und Ihr nächstes Filmprojekt?
Ja schon, ein bisschen. Ich würde sagen, 90 Prozent meiner Arbeit machen mir Spaß und die restlichen 10 Prozent sind der Druck, den ich empfinde. Der Vorteil an solchen Awards ist aber die Tatsache, dass mehr Menschen auf deinen Film aufmerksam werden. Das ist der Grund, warum das Festival in Cannes so toll ist. Es ist ein großes Privileg, die Goldene Palme zu gewinnen. Ich bin einfach nur glücklich darüber.
Ist es wahr, dass Ihre Ehefrau, die als Modefotografin arbeitet, Sie zu diesem Film inspiriert hat?
Das ist korrekt. Wir haben uns vor acht Jahren getroffen und ich wollte alles über ihren Beruf wissen, weil ich das alles so interessant fand. Sie hat mir über die Strategien der verschiedenen Marken erzählt und wie sie sich nach außen präsentieren. Besonders interessant fand ich, dass die männlichen Models deutlich weniger verdienen als die Frauen. Ich habe mir gedacht, dass das eine Möglichkeit für mich darstellt, quasi ein Spiegelbild unserer Gesellschaft zu erschaffen, in dem die Hierarchie komplett auf den Kopf gestellt ist. Das hat mich neugierig gemacht und so entstand die Idee.
Ich habe gelesen, dass die Dreharbeiten mehrmals verschoben wurden, auch aus finanziellen Gründen. Wie anspruchsvoll war die Produktion des Films?
Ich glaube, für die Produzenten war das ziemlich schwierig. Zunächst war es keine einfache Aufgabe, die finanziellen Mittel für die Produktion zu bekommen. Wir wollten zunächst mit amerikanischen Geldern den Film produzieren und mussten uns dann auf europäische Partner konzentrieren. Dann mussten wir aufgrund der Pandemie zweimal die Dreharbeiten abbrechen und pausieren. Das war ein Logistik- und Termin-Albtraum. Ich hatte immer Angst, dass jemand erkrankt und Corona bekommt, denn dann hätten wir wieder pausieren müssen. Aber wir hatten Glück. Durch die Umstände haben wir sogar noch besser zusammengearbeitet.
Charlbi Dean Kriek hat in einem Interview verraten, dass sich das Skript im Laufe der Dreharbeiten ständig änderte. Was für Änderungen haben Sie vorgenommen?
Ich hatte eine Vorstellung davon, wie der ganze Film aussehen sollte. Was die Charaktere durchmachen sollten und natürlich das Ende. Aber ich habe einige Szenen, die sich auf der Insel abspielen, verändert. Darüber hinaus habe ich die Dialoge etwas umgeschrieben. Das Schreiben eines Drehbuchs dauert mehrere Jahre. Im Laufe dieser Jahre hast du neue Ideen, die du einbauen möchtest. Ich will ein Drehbuch ständig verbessern.
Man könnte also sagen, die Pandemie hat Ihnen sogar geholfen, da Sie in den Pausen die Chance hatten, das Drehbuch umzuschreiben und diese neuen Ideen einzufügen.
Ja, das stimmt. In den Pausen habe ich auch angefangen, den Film zu schneiden. Ich hatte auch Zeit, darüber nachzudenken, wie der restliche Film aussehen soll. Zunächst hatte ich etwas Angst, denn bis ich das Drehbuch fertiggeschrieben hatte, vergingen fünf Jahre. Ich dachte, ich würde am Ende keine Energie mehr haben, weiterhin am Skript zu werkeln und es weiter zu verbessern. Aber das war zum Glück nicht der Fall.
Der Film ist in drei Akte aufgeteilt: Der erste Akt ist eine Satire über die Modeindustrie, der zweite Teil spielt sich auf der Yacht ab, Handlungsort des dritten Aktes ist die Insel. War diese Struktur stets Ihr Plan?
Ja. Ich wollte die Schönheit als Währung betrachten. Als Erstes in der Modewelt, weil es dort natürlich Sinn ergibt. Aber auch auf der Luxus-Yacht, im Leben der Crème de la Crème. Dann wollte ich im dritten Akt die Hierarchie komplett auf den Kopf stellen und mich auf die Grundbedürfnisse der Menschen konzentrieren. Hier ergab sich die Gelegenheit, die Pyramide der Gesellschaft umzudrehen. Für mich war es wichtig, die Exzesse, die es in der Modewelt gibt, im dritten Akt wegzunehmen, sodass die Menschen in den Überlebensmodus schalten müssen.
Sie wollen Ihr Publikum unterhalten, aber auch zum Nachdenken anregen. Wie gehen Sie an Ihre Filme heran?
Wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin, recherchiere ich und versuche mich zu äußern. Es ist mir wichtig, etwas mitzuteilen, von dem ich weiß, dass es zu Kontroversen führen könnte. Das ist wie ein gutes Gespräch. Wenn man an einem Tisch sitzt und nur Dinge sagt, von denen man weiß, dass die anderen einem zustimmen werden, dann passiert nichts. Aber was passiert, wenn ich etwas von mir gebe, von dem ich weiß, dass nicht alle damit einverstanden sein werden?
Apropos gutes Gespräch: Im Film gibt es einen amüsanten Schlagabtausch zwischen dem Kapitän und dem russischen Oligarchen, bei dem sie sich gegenseitig marxistische und kapitalistische Zitate an den Kopf werfen. Wie hat Ihre Familie diese Szene beeinflusst? Denn Ihre Mutter sieht sich als Kommunistin, während Ihr Bruder eher konservativ ist.
Ich bin in den 80er- und 90er-Jahren aufgewachsen und in meiner Familie gab es ständig Diskussionen über Politik. Ich fand es amüsant, etwa auf Zitate von Reagan oder Marx und Lenin zurückzublicken. Ich habe damit also eine nostalgische Kindheitserinnerung in den Film eingebaut. Aber nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine habe ich das Gefühl, dass dieses Thema wieder hochaktuell ist.
Im Film gibt es eine sehr explizite Kotz-Szene, die Reaktionen darauf waren extrem. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Ich brauchte etwas, um das Ende der westlichen Zivilisation darzustellen. Eine Art Metapher.
Was sollen die Zuschauer aus "Triangle of Sadness" mitnehmen?
Wir konzentrieren uns heutzutage stets auf die Perspektive des Einzelnen. Wir haben also einen guten und einen bösen Menschen. Nicht nur in Filmen, sondern auch in den Medien, den Nachrichten. Das brauchen wir immer, um in den Medien eine Dramaturgie aufzubauen. Dabei wird aber oft der Kontext vergessen. Ich wollte mit diesem Film zeigen, dass unser Verhalten sehr stark von materialistischen Dingen abhängt, von der Stellung, die wir in der Gesellschaft haben.
Würden Sie auch einen Hollywood-Film drehen, mit amerikanischer Besetzung?
Ich mag es, mit meiner eigenen Produktionsfirma zu arbeiten. Mein bester Freund ist Produzent des Films. Je länger du mit gewissen Leuten zusammenarbeitest, desto besser wird die Partnerschaft. Ich bevorzuge es, langfristige Beziehungen zu den Leuten aufzubauen, mit denen ich zusammenarbeite. Ich war nie von der Idee angezogen, in Hollywood zu arbeiten. Ich möchte meine Kontrolle über die Filme, an denen ich arbeite, nicht aufgeben. Hollywood ist dominiert von Produzenten und nicht von den Filmemachern. Der wirtschaftliche Druck in Hollywood ist enorm. Daher gehen sie dort nicht so viele Risiken ein, wie wir in Europa. Ich bevorzuge es daher, amerikanische Schauspieler nach Europa zu locken.
Gibt es amerikanische Schauspieler, mit denen Sie unbedingt zusammenarbeiten möchten?
Ja, einige. Aber das kann ich nicht verraten. Eins muss man Hollywood lassen, die Schauspieler sind unglaublich gut. Die Konkurrenz ist so groß, daher geben Sie sich extra viel Mühe, um den Durchbruch zu schaffen.
Die Besetzung von "Triangle of Sadness" ist auch hervorragend, für mich war aber Woody Harrelson das schauspielerische Highlight. War er Ihre erste Wahl für die Rolle?
Ja, definitiv. Ich war glücklich, als er zugesagt hat.
Würden Sie wieder mit ihm arbeiten?
Natürlich, wieso auch nicht? Ich habe bisher nie so richtig mit einem Schauspieler mehrmals zusammengearbeitet. Ich fände es interessant, die Zusammenarbeit mit Woody fortzusetzen.
Sie haben fünf Jahre lang an "Triangle of Sadness" gearbeitet. Fühlen Sie sich schon fit für einen neuen Film?
Ich habe mit der Arbeit an meinem nächsten Film schon begonnen. Er hat den Titel "The Entertainment System is Down" und spielt auf einem langen Flug, etwa 15 Stunden. Die Passagiere bekommen die Nachricht, dass sie nicht mehr mit ihren Smartphones und Tablets spielen können. Also müssen sie sich mit ihren eigenen Gedanken beschäftigen. Das ist die Ausgangssituation des Films.
Vielen Dank für das Gespräch!
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