Arbeitsteilung im Kieler "Tatort": Boomer und Millennial ermitteln unter Freizügigen, Sexsüchtigen, Liebeswütigen und Liebeswütenden.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Für den aufmerksamen Nachbarn der Toten ist die Sache klar: Andrea Gonzor war eine Prostituierte. Gestern Abend hat Herr Döring (Martin Umbach) wieder mitgezählt: Sechs Männer haben an ihrer Tür geklingelt!

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Aber Andrea Gonzor (Anna König) war nur eine Versicherungsangestellte mit einem Problem, das sie einfach nicht in den Griff bekam. Sie litt unter Sexsucht. Sie war Mitglied einer Selbsthilfegruppe und veranstaltete regelmäßig Sexpartys. Am Vorabend hatte sie zu einem Gang-Bang eingeladen.

Ein Mord im Umfeld der Sexsucht

Doch jetzt liegt Andrea Gonzor erschossen im Bett ihrer Mietwohnung. Keine Einbruchspuren, kein Kampf, aber eindeutig Fremdeinwirkung. Und Spermaspuren überall, Alkohol und Betäubungsmittel im Blut. Was war das für ein Leben, was ist das für ein Tod?

Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und Kommissarin Mila Sahin (Almila Bagriacik) ermitteln in "Borowski und das hungrige Herz" im Umfeld der Freizügigen, Sexsüchtigen, Liebeswütigen und Liebeswütenden. Der Titel – nach dem Hit der Popsängerin Mia, der im Film natürlich gespielt wird – ist gut gewählt. Es geht in diesem "Tatort" vor allem um Sex für hungrige Herzen, als Ersatz oder als Betäubungsmittel, wenn die Sehnsucht nach Liebe unerträglich wird.

Andreas Freundin Nele (Laura Balzer), die die Tote gefunden hat, ist auch so eine Verzweifelte. Eine unendlich einsame junge Frau, die sich nach Andreas Tod an ihren Kinderwagen klammert, als finde sie nur noch in der Rolle als allein erziehende Mutter Halt und Selbstbestätigung. Der Fund der Leiche hat sie schwer getroffen, und eigentlich will Klaus Borowski sie nur beruhigen. Doch als Nele bewundernd ihr mädchenhaftes Gesicht mit den großen, feuchten Augen zu ihm hebt, ahnt man schon, dass er sich da ein Problem an den Hals gelächelt hat. Ein Problem, das gefährlich werden könnte.

Aber Klaus Borowski ist natürlich wie gewohnt der verständnisvolle und einfühlsame Retter einsamer Herzen. Bald schon hat er sich in das Thema Sexsucht eingelesen und teilt seine Erkenntnisse beim Eintopf mit dem Fernsehpublikum und Freund und Chef Roland Schladitz (Thomas Kügel): "Wenn die Vernunft stärker wäre als die Lust, dann gäbe es keine Menschheit mehr." Oder: "Ein Süchtiger benutzt die Lust, um ein Loch in seiner Seele zu stopfen."

Boomer und Millennial bei der Sex-Ermittlungsarbeit

Die Aufgabenverteilung zwischen Boomer und Millennial bei der Sex-Ermittlungsarbeit ist also ziemlich eindeutig und durchaus amüsant. Mila Sahin fällt derweil nämlich die Aufgabe zu, inkognito auf einem Swingertreff zu ermitteln. Praktischerweise bekommt sie überraschend Besuch von einer verflossenen Liebe. Der Ex-Kollege Juri (Robert Finster) muss zur Vervollständigung des Covers kurzerhand mit auf den verregneten Parkplatz, auf dem sich Paare gegenseitig in ihren Autos besuchen und vergnügen.

Ein Vergnügen ist es auch, einmal eine atemberaubend elegant herausgeputzte Mila Sahin zu erleben. Und dabei zuzusehen, wie sie mit Charme und süffisanter Ironie sowohl den glotzenden Parkplatzbetreiber als auch ihren hoffnungsvollen Ex-Lover instrumentalisiert. Eine schöne Gelegenheit für Almila Bagriacik, etwas spielerischer mit ihrer Rolle als "Borowskis junge Kollegin" umgehen zu können.

Wie von einem Kieler "Tatort" zu erwarten, ist in Katrin Bühligs Drehbuch und unter Maria Solruns Regie kein Platz für Schlüpfrigkeit oder Voyeurismus. "Borowski und das hungrige Herz" nähert sich seinem Thema mit Respekt und Neugierde, ohne verkrampft so zu tun, als seien Gang-Bang-Partys oder wackelnde Kombis im Regen das Normalste der Welt.

Kieler "Tatort" unerwartet langweilig

Allerdings ist dieser Kieler "Tatort" trotzdem unerwartet langweilig. Dabei geht es doch um den Zusammenhang zwischen Liebe und Lust, um die fließende Grenze zwischen Körper und Seele. Um Sex als Ausdruck von Lebensfreude, aber auch als Form der Selbstverletzung.

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"Borowski und das hungrige Herz" aber lotet keine Grenzen aus und geht kein Risiko ein. Der Kommissar ermittelt sich behutsam und sensibel durch den Plot. Die Sexsüchtigen sind entweder tot oder in ihrem Alltag betont normal. Natürlich ist da Nele. Aber so überzeugend Darstellerin Laura Balzer Neles dicht unter der Oberfläche lauernde Psychose auch spielt – wirklich gefährlich wirkt diese kranke Kindsfrau nie, sodass man sich weder um sie noch um Borowski große Sorgen macht. Nele ist einfach nervtötend kindisch, so wie auch die Arglosigkeit des eigentlich doch erfahrenen Irrsinnsdetektors Borowski irgendwann irritiert.

Das Aufregendste an diesem "Tatort" aus Kiel bleibt der Einblick in die unbekannte, private Seite von Mila Sahin: Auch da geht es um Sex, Schmerz und Liebe. Um ein hungriges Herz, über das man gerne mehr erfahren würde.

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