Am Sonntag läuft die letzte Folge von "Die Lindenstraße". Moritz A. Sachs stand von der ersten bis zur letzten Drehminute als Klaus Beimer vor der Kamera und hat große Teile seiner Kindheit in der ARD-Serie verbracht. Im Interview spricht er über das Aufwachsen am Set, über seine Drogen-Phase und was zum Ende der "Lindenstraße" beigetragen hat.
Der Kölner Schauspieler
In ihren Anfangszeiten war die "Lindenstraße" ein wöchentliches Fernsehereignis mit zwölf Millionen Zuschauern. Fans bewarben sich um Mietwohnungen in der Straße, die Figuren bekamen Heiratsanträge und Morddrohungen.
Wir haben uns mit Moritz A. Sachs über ein Leben als Kinderstar, Drogen, den Kampf gegen das Übergewicht und die Probleme der "Lindenstraße" unterhalten.
Einerseits kommt es einem gerade ein bisschen komisch vor, ein Interview über das Ende der "Lindenstraße" zu führen …
Moritz A. Sachs: Sehr. Es gibt jetzt echt Wichtigeres. Ich hab ja Zivildienst in der Altenpflege gemacht und gerade lauter E-Mails abgeschickt, nach dem Motto "Ich hab Zeit, meine Auftritte sind abgesagt, ich sitz' zu Hause rum, ruft an, wenn ich etwas tun kann." Klar ist der Zivildienst länger her und ich bin kein Profi in dem Bereich, aber wenn ich in dieser Situation helfen kann ...
... andererseits haben viele von uns jetzt mehr Zeit, Fernsehen zu schauen.
Genau. Ich bin da zwiegespalten. Die Römer haben nicht ohne Grund von "Brot und Spielen" gesprochen. So ein Format wie die "Lindenstraße" gibt ja auch eine gewisse Stabilität in diesem Chaos. Die war für viele ja doch noch so etwas wie Familie – dass die jetzt wegfällt, ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Ich persönlich halte es für wichtig, jetzt für eine gewisse Routine zu sorgen, auch was den Fernsehkonsum angeht. Weitere Dauerserien jetzt einzustellen wäre sicher ungünstig.
Für Sie gilt die Beschreibung der "Lindenstraße" als Familie ja noch viel stärker. Sie haben 1985 im Alter von sieben Jahren angefangen und als die Dreharbeiten im Dezember zu Ende gingen, waren sie 41. Sie spielen in der ersten und der letzten Szene der "Lindenstraße" mit. In Ihrer jetzt erscheinenden Autobiografie "Ich war
Als ich meine erste Liebe kennengelernt habe, bin ich von der Schule zur Arbeit gefahren worden und hab's meiner Kinderbetreuerin am Set erzählt. Als ich meine erste Liebe verlassen habe, habe ich es meinem Regisseur erzählt. Als ich verlassen wurde, hab ich mich bei "Mutter Beimer" Marie-Luise Marjan ausgeweint. Ärger mit Freunden oder in der Schule habe ich mit Kollegen besprochen. Wenn ich mal nichts zu tun hatte und mich alleine fühlte, bin ich halt zum Studio nach Köln-Bocklemünd rausgefahren und hab mich in die Kantine zu den anderen gesetzt. Jeder, der lange in einem Betrieb ist und dort enge Beziehungen aufgebaut hat kann nachvollziehen, was ich damit meine. Für mich gilt das eben schon, seit ich sieben Jahre alt bin, ich erinnere mich nicht an eine Zeit ohne dieses Zuhause.
Moritz A. Sachs: "So wie ich jetzt bin, bin ich auch, weil ich Klaus Beimer war"
Klaus Beimer war radikaler Tierschützer, Neonazi, hat Geschwister verloren, wurde vergewaltigt und hat dreimal geheiratet. Was macht das mit einem, wenn man als Kind ein Kind spielt, das parallel zu einem selbst aufwächst? Im Buch schreiben Sie einmal "Klaus und ich, wir sind eins", und ein andermal "Er war für mich immer eine andere Person."
Das sind zwei verschiedene Ebenen. Klaus wäre ohne mich nicht denkbar – und andersrum. So wie ich jetzt bin, bin ich ja auch, weil ich Klaus war. Aber ich habe uns beide nie verwechselt. Wir sind in dem Sinne eins, wie ja auch Ehepartner "eins" sein können. Aber ich habe mich selbst schon das ganze Buch über gefragt, inwiefern wir "eins" sind.
Und keine Antwort gefunden?
Weil ich's nicht auseinandergedröselt bekomme. Ich habe ja keine Vergleichsmöglichkeit – ich weiß ja nicht, wie ich ohne Klaus wäre. Ich kann natürlich ganz klar sagen, dass ich Klaus geprägt habe – aber inwieweit Klaus mich geprägt hat, ist die Frage. Und die nächste wäre dann: War das Klaus als Rolle oder die Tätigkeit als Schauspieler? Das macht es so verwirrend – für andere, aber für mich selbst auch.
Hans Werner Geißendörfer schuf die Serie nach dem Vorbild der britischen "Coronation Street", die seit 1960 läuft. Die "Lindenstraße" gilt als die erste deutsche Seifenoper und wurde lange Zeit belächelt. Wegen des plakativen Sendungsbewusstseins oder der gestelzten Dialoge, in die immer furchtbar viel Informationen gepackt werden mussten. "Erklärbärtexte" nennen Sie das in Ihrem Buch, dem man überhaupt anmerkt, dass Sie sich bei aller Liebe ein ziemlich realistisches Bild von den Grenzen der Serie bewahrt haben.
Vor allem zu Beginn waren wir ja auch deshalb ein bisschen trashig, weil die Arbeitsweise niemand kannte. Wir hatten viereinhalb Tage für 24 Minuten. Ein "Tatort" hatte damals 30 Drehtage für eineinhalb Stunden. Das sah man natürlich. Weil es schnell gehen musste, arbeiteten wir zum Beispiel mit fest installiertem Licht von oben, und so hatten wir Schauspieler immer Schatten auf dem Gesicht und tote Augen. Wir sahen immer etwas krank aus.
Trotz Hänseleien: Mit "Lindenstraße" aufzuhören war keine Option
Trotzdem wurde die "Lindenstraße" bald ein Riesenerfolg und hatte bis zu zwölf Millionen Zuschauer. Und Sie wurden zum Superstar, der sich in der Öffentlichkeit kaum noch frei bewegen konnte. Eine Zirkusvorstellung, die Sie als Junge besuchten, wurde nach der Pause abgebrochen, weil Sie so viele Autogramme geben mussten. Von Hänseleien wie "Klausi Beimer ist im Eimer" und Handgreiflichkeiten auf dem Schulhof ganz zu schweigen. Da waren Sie keine elf Jahre alt - wurde nie ans Aufhören gedacht?
Wenn das dazu geführt hätte, dass meine Popularität schlagartig runtergeht und meine Probleme draußen aufhörten, hätten meine Eltern das vielleicht getan. Aber es war ja klar, dass das eben nicht von einem Tag auf den anderen weg gewesen wäre. Und mir dann gleichzeitig das wegzunehmen, was mir gerade am meisten Spaß machte, nämlich die Arbeit am Set, mit dem Team, das wäre schlimm gewesen.
Das, was die Probleme verursacht, wird zum Schutzraum? Klingt paradox.
Nein, denn die Probleme hören erst auf, wenn man sich körperlich so weit von der früheren Rolle entfernt hat, dass die Zuschauer einen nicht mehr sofort damit in Verbindung bringen. Ich war so bekannt, dass die Leute an Karneval, wenn ich eine Vollmaske auf hatte, sagten, "du hörst dich an wie Klaus Beimer". Aufhören wäre keine Lösung gewesen. Das sieht man ja auch ganz gut an Christian Kahrmann …
… Ihrem Filmbruder Benny, der regelmäßig in Kinofilmen und Vorabendkrimis zu sehen ist, seit er 1995 die "Lindenstraße" nach knapp acht Jahren verließ ...
…weil er nicht für immer Benny Beimer sein wollte, es aber trotzdem bis heute geblieben ist und irgendwann seinen Frieden damit machen musste. Und das Hänseln hörte auf, als ich und damit meine gleichaltrigen "Peiniger" älter wurden. Als die anderen anfingen, Zeitung auszutragen wurde ihnen klar, dass die "Lindenstraße" eben mein Nebenjob ist.
Moritz A. Sachs: "Ich bin ein ziemlicher Genuss- und Suchtmensch"
In den 1990er-Jahren hatten Sie ein paar wilde Jahre. War das eine Auflehnung gegen die Klausi-Figur?
Nein, eher ganz normale Teenageraufmüpfigkeit. Ich hab zwei Jahre lang im Grunde alles ausprobiert, was ich in die Finger bekommen habe, es dann aber auch sein lassen. Das Spielen hat mich eher von Intensiverem abgehalten. Ich wusste ja, ich muss drehen und kann mir nicht alles erlauben. Die harten Drogen gaben mir relativ wenig und verursachten eher Angst. Also blieb es nur beim Kiffen. Das aber auch seit zwanzig Jahren nicht mehr. Aber ich bin schon ein ziemlicher Genuss- und Suchtmensch, das zeigt ja auch mein Übergewicht.
Bei "Let's Dance" tanzten Sie 2011 mit Melissa Ortiz-Gomez - und mit 45 Kilo zu viel.
Ja, da war ich der Dicke, mit dem man sich identifizieren oder über den man lachen sollte. Aber mir hat es einen Riesenspaß gemacht. Da war ich nicht mehr Klausi, sondern Moritz! Mein Kollege Claus Vinçon, der in der "Lindenstraße" Käthe spielt, hat mal etwas Interessantes gesagt: "Dir ist schon klar, dass du dir den Klaus wegfrisst?" Er meinte, dass ich mich durch das Dickerwerden von dem Klaus, den alle kannten, entfernt habe. Vielleicht steckte da unterbewusst tatsächlich eine gewisse Rebellion gegen die Klausi-Zeit drin, dass ich mich so hab gehen lassen.
Und dann, schreiben Sie in ihrem Buch, gaben Ihnen wildfremde Menschen auf der Straße einen Klaps auf den Bauch und riefen "Hey Klausi, du bist aber fett geworden!" 2018 fingen Sie eine Therapie an.
Ich wollte herausfinden, woran es liegt. Aber wir haben dann festgestellt, dass es tatsächlich keinen pathologischen Grund gab. Es war einfach die Kombination aus wenig Schlaf, viel Arbeit und Catering – wenn ständig Essen zur Verfügung steht, geht's ratzfatz. Diesen Automatismus wieder loszuwerden, ist das Schwierige. Ich brauchte eher einen Ernährungsberater und die Austauschmöglichkeiten und Kontrollfunktion einer Abnehmgruppe.
Ging das? Als Klaus Beimer in so einer Gruppe zu sitzen?
Ja. Ich hab an der Kölner Uniklinik eine Pulverdiät gemacht. Sehr schnell, eher ungesund - aber besser als dick zu bleiben und ich hab' keine andere Lösung gesehen –, und war dann ein Jahr in der Gruppe. Denen hab ich am Anfang gesagt, liebe Leute, ich kann mich hier nur öffnen, wenn ich mich auf euch verlassen kann. Und das hat funktioniert. Ich hab ein gesundes Urvertrauen zu Menschen und finde das zum Glück auch immer wieder bestätigt.
Die "Lindenstraße" hat inzwischen rund zwei Millionen Zuschauer. Wie geht man damit um, dass man mal ein wöchentliches Fernsehereignis war und irgendwann eher zum Inventar gehört?
Ich habe es immer genossen, mal wieder unerkannt essen gehen zu können. Obwohl ich mich bis heute mit dem Rücken zum Restaurant hinsetze – das ist geblieben. Aber es ist wirklich ein zweischneidiges Schwert. Es gehört schließlich zu unserem Beruf als Schauspieler, bekannt zu sein. Daraus beziehen wir den Zuspruch. Und ich finde es toll, Leute zu treffen, ich liebe Autogrammstunden. Das hat ja nicht aufgehört. Es gab aber natürlich schon Momente, in denen ich dachte: Verdammt, du hast mit neun einen Bambi bekommen und mit dem damaligen Außenminister Genscher am Tisch gesessen. Der Karrierehöhepunkt ist jetzt 30 Jahre her. Das ist schon Käse …
Moritz A. Sachs: Das nahm der "Lindenstraße" ihre größten Stärken
Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für die mangelnde Relevanz der "Lindenstraße"?
Wir sind harmloser geworden. Wir haben ja extrem provoziert am Anfang. Inzwischen haben sich Rahmenbedingungen so geändert, dass vieles einfach nicht mehr geht. Die Provokationen wurden weniger, weil so vieles in den vielen Sendern erzählt wird, da werden Aufreger rar. Und es gibt ja heutzutage so gut wie keine Tabubrüche mehr. Auch die Werberegeln haben sich geändert und wir durften Politiker, Parteien und ähnliches nicht mehr beim Namen nennen …
Ihr Fernsehbruder Benny Beimer war bei der – realen – Umweltorganisation Robin Wood sehr aktiv, und als diese 1989 dem damaligen Umweltminister Klaus Töpfer aus Protest gegen Atomkraftwerke eine Ladung giftgrüner Tennisbälle in die Einfahrt seines Wohnhauses kippte, wusste die "Lindenstraße" davon im Vorfeld, drehte mit - und konnte die Szene in die Serie einbauen.
Das war ein Skandal, wegen dem der WDR uns mit der Absetzung drohte! Aber als Klaus 2011 gegen eine Sekte kämpfte, hieß der Verein Society statt Scientology. Das nahm uns eine unsere größten Stärken, nämlich dass wir so echt waren. Heute übernimmt das das Reality-TV auf eine ganz andere Art.
Ein Kuss unter Schwulen ist längst nichts Besonderes mehr, 1990 war es Thema in der "Bild" und Anlass für Drohbriefe an die Schauspieler. Ist die Zeit der "Lindenstraße" vielleicht wirklich vorbei?
Einerseits schon. Die "Lindenstraße" haben in den ersten Jahren so viele geguckt, weil sie gebraucht wurde. Es waren die Achtziger, es gab damals kein Format, das Randgruppen erzählt hat. Man hat vielleicht in der Talkshow um 23 Uhr darüber berichtet, aber im Zentrum der Fernsehlandschaft gab es nichts, was die gesamte Gesellschaft abgebildet hat. Andererseits ist es heute so, dass wir die "Lindenstraße" brauchen, weil sie etwas Vertrautes, Konstantes in dieser schnelllebigen Zeit ist.
Was Moritz A. Sachs für die Zukunft plant
Mit Klaus Beimer ist es jetzt also vorbei. Wie geht es mit Moritz A. Sachs weiter? Sie haben in den vergangenen Jahren immer mal wieder Aufgaben als Regieassistent übernommen, bei Fernsehfilmen oder Serien wie "Rettungsflieger" zum Beispiel.
Ich habe mit Anfang zwanzig angefangen, für zehn Jahre als Regieassistent zu arbeiten, aber neben der "Lindenstraße" ging das am Ende nur begrenzt. Jetzt ist natürlich die Gelegenheit da, sich wieder ernster in die Richtung zu bewegen. Moderationen stehen auch an. Ich bin es ja gewohnt, vor der Kamera zu stehen und gerade der direkte Kontakt mit Publikum, auf einer Bühne oder im Radio mit Gesprächen, das liegt mir.
Da sieht es zurzeit natürlich schlecht aus. Eigentlich sollten Sie demnächst drei Wochen lang eine Urlaubsvertretung als Regieassistent bei der RTL-Daily Soap "Unter uns" übernehmen ...
... und das wurde jetzt abgesagt. Gerade wird ja heftig diskutiert, ob die Sets nicht ganz dichtgemacht werden sollten. Im Moment ändert sich so viel, da bleibt mir nichts als abzuwarten.
Und die Arbeit als Schauspieler?
Klar, immer – wenn was kommt. Da gibt es ja zwei Möglichkeiten. Entweder, die sagen "den kennen wir so lange als Klaus, der muss erstmal Pause machen", oder "geil, der hat 34 Jahre Erfahrung, den kennen alle, den nehmen wir!"
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