Der "Tatort" macht gerade Sommerpause, in der ARD laufen stattdessen jeden Sonntag Wiederholungen. Diesmal wird in Münster ermittelt: Ein frischgebackener Burgherr will sein neues Zuhause mit einem großen Münsteraner Mittelalterspektakel feiern. Leider landet er im Burggraben – Kommissar Thiel und Professor Boerne müssen ermitteln

Eine Kritik
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Zustände wie im Mittelalter sind das: Eine Burg, auf der anstößige Festivitäten stattfinden. Eine schöne Stiefmutter, die ihren Stiefsohn "heiß" nennt. Ein Burgfräulein, das an schockierenden Sexorgien Gefallen findet. Und ein alter Burgherr, der nachts in voller Ritterrüstung um den Burggraben geistert.

Leider endet der Spaziergang am Graben im Graben, und damit kommen Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) und Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) ins Spiel.

"Tatort"-Wiederholung aus Münster: Ermittlungen auf einem Jahrmarkt in mittelalterlichem Gewand

Spiel ist genau die richtige Bezeichnung für diesen "Tatort", der selbst ein viel unterhaltsameres Jahrmarktsspektakel abgibt als jenes, um das es bei dem neuen Fall geht: Der ehemalige Kirmeskönig Manfred Radke hat sich eine alte Burg gekauft, die er mit seiner ebenso geschäftstüchtigen Tochter Claudia in einen Mittelalter-Freizeitpark verwandeln wollte.

Münsters Stadtgeschichte bietet gleich mehrere schaurig-schöne Kapitel - unter anderem die Terrorherrschaft durch die Wiedertäufer rund um den selbst ernannten Propheten Jan Matthys und seinen noch radikaleren, noch grausameren Nachfolger Jan van Leiden in der Renaissance. Daran soll ein fröhliches Köpfeabschlagen im Freilufttheater der Burg erinnern, mit den Radkes als Laiendarstellern.

Zur allgemeinen Verwunderung will Claudia Radke (Sandra Borgmann) an der groß angelegten Geburtstagsfeier zu Papas 70., die die Sponsoren überzeugen soll, unbedingt festhalten – nur dass sie jetzt eben als Gedenkfeier deklariert wird. Das scheint Thiel nicht geheuer, ebenso die seltsamen Blicke, die Claudias Bruder mit der ungefähr gleichaltrigen zweiten Frau seines Vaters wechselt. Tobias (Marek Harloff) ist ganz anders als seine Schwester, Mittelalter bedeutet für ihn eher, im weißen Wallehemd verträumt auf einer Gitarre zu klimpern.

Radkes Witwe dagegen (Violetta Schurawlow), die auf den schönen persischen Vornamen Farnaz ("Die Prachtvolle") hört, hat mit dem ganzen Gegaukel wenig am Hut und geht lieber joggen.

"Es lebe der König!" - Ein Fernsehen gewordener Groschenroman

Als Boerne dann im Selbstversuch herausfindet, dass der alte Radke die Rüstung unmöglich alleine hätte anziehen können, engt Thiel den Kreis der Verdächtigen auf die drei Hinterbliebenen ein – plus Clarissa von Lüdecke (Justine Hauer), die ehemalige Burgbesitzerin, der der zwielichtige Radke das Haus vor noch gar nicht so langer Zeit abgeluchst hat.

Sie war es, die den im See treibenden neuen Burgherrn entdeckt hat. Frau von Lüdecke pflegt im Morgengrauen nämlich um ihr altes Zuhause zu streifen und Vögel zu fotografieren. Ein anderes Hobby der Naturliebhaberin sind wilde Partys. Das weiß Boerne, der sich wie immer in Münsters besserer Gesellschaft bestens auskennt und von der Erinnerung an gemeinsame Nächte offenbar dermaßen peinlich berührt ist, dass er Clarissa von Lüdecke kaum in die Augen sehen kann.

Diese Namen, diese Karikaturen, diese Kostüme! "Es lebe der König!" ist Fernsehen gewordener Groschenroman – und als solcher der perfekte "Tatort" nach der schwergewichtigen Doppelfolge zum Jubiläum an den vergangenen beiden Sonntagen [im Jahr 2020, Anm. d. Red.]. Da ist ein Münsteraner Fall doch ganz anders. Ganz leicht, ganz vertraut, bewährt und sehr beliebt.

Dieser ist eine Krimiposse mit einer haarsträubenden, aber durchaus überraschenden und unterhaltsamen Wendung. (Das Drehbuch stammt von Benjamin Hessler, der für Münster den Doppelgänger-Klamauk "Spieglein, Spieglein" schrieb). Und mit einem neuen Assistenten, der sich so harmonisch und unangestrengt ins Ermittlerteam einfügt, als hätte Mirko Schrader (Björn Meyer) noch nie etwas anderes getan, als für sich und Thiel den perfekten Kaffee zu kochen und im Internet zentrale Indizien für den Fall zu finden.

Mit Buket Alakuş wurde die perfekte Regisseurin gefunden, von der wir hoffentlich noch mehr Münsteraner Folgen zu sehen bekommen. Komödien wie "Einmal Hans mit scharfer Soße" oder "Der Hodscha und die Piepenkötter" stammen von ihr, und in ihrem "Tatort"-Debüt findet sie genau den richtigen Ton, die richtigen Bilder für diese Krimikomödie. Intelligente Albernheit, gut dosierter Slapstick in kleinen Prisen, die Liefers und Prahl gewohnt gewandt umsetzen. Kein "Tatort"-Meilenstein, aber garantiert besser als so mancher Mittelalter-Mummenschanz, den Tourismusämter gerne aus dem Filzhut zaubern.

Diese Kritik wurde erstmals zur Erstausstrahlung des Falls aus Münster am 13. Dezember 2020 veröffentlicht.

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