- In hautengen Spandex-Höschen feuern die Männer der Fearleaders Vienna die toughen Sportlerinnen des Vienna Roller Derby an. Doch ihr Engagement geht über den Sport hinaus.
- Mit Pompons und Akrobatik kämpfen sie gegen Geschlechterklischees, Homophobie und toxische Männlichkeit.
- Im Interview spricht einer der Leiter der Gruppe über Sexismus im Sport und einen Polizeieinsatz beim Videodreh.
Im Sport gelten Männer oft noch als das "starke Geschlecht": Während sie ihre Kräfte auf dem Spielfeld messen, sind die Frauen das schmückende Beiwerk am Rande. Schwule Fußballer? Gibt es nicht, zumindest nicht offiziell. Im Vergleich dazu wirkt Roller Derby in Wien wie eine "verkehrte" Welt: Frauen steigen auf Rollschuhen in die Arena und tackeln sich den Weg frei, während die Männer in den Pausen mit bunten Pompons wackeln. Den männlichen Cheerleadern der Fearleaders Vienna geht es dabei nicht nur um Spaß: Sie wollen Geschlechterklischees, Homophobie und toxische Männlichkeit das Fürchten lehren. Daher auch der Name: fear, Angst.
Mit Humor und Ironie gegen Geschlechterklischees
Als männliches Cheerleading-Team positioniert ihr euch aktiv für Feminismus, Diversität und gegen Homophobie im Sport und in der Gesellschaft. Die WM in Katar ist praktisch ein Gegenentwurf zu euren Positionen. Habt ihr die WM boykottiert?
Andreas Fleck: Österreich als Ganzes hat die WM in Katar boykottiert! (lacht) Die Art und Weise, wie Katar zu dieser WM gekommen ist, war einfach Betrug und Korruption. Wenn man dem ganzen etwas Positives abgewinnen will, dann, dass Fußball zur politischen Bühne geworden ist und man mehr über die Umstände und Hintergründe spricht als über den Fußball selbst. Vorher hätte wahrscheinlich niemand über Rechte von Arbeiter*innen, Frauen und Homosexuellen in Katar gesprochen. Das ist wenigstens ein positiver Effekt der WM. Dass eine Regenbogen-Armbinde zu so einem Politikum werden kann, ist traurig - aber es ist auch entlarvend und zeigt, woran wir arbeiten müssen.
Die Fearleaders Vienna gibt es seit 2013, ihr feiert bald zehnjähriges Jubiläum. Wie ist die Gruppe entstanden? Wart ihr von Anfang an so politisch?
Ursprünglich war es ein reines Spaßprojekt von Bekannten und Freunden der Roller Derby-Spielerinnen, die den Sport unterstützen wollten. Roller Derby war damals ganz neu in Wien und hat für einen kleinen Hype gesorgt. Toughe Frauen, die auf einem Rollschuhtrack Vollkontaktsport betreiben, da war es naheliegend, dass die Männer als Kontrast dazu ein Cheerleading-Team gründen.
Schnell wurde deutlich, dass in dem Quatsch eine ernste Komponente und gesellschaftliche Relevanz steckt. In anderen Sportarten werden normalerweise die Männer von leicht bekleideten Frauen angefeuert. Der ganze Sexismus, das fragwürdige Frauenbild und die Hierarchien im Sport, all diese Fragen schwangen schon am Anfang mit und haben sich dann immer mehr herauskristallisiert.
Deshalb auch die superengen, knappen Outfits?
Bei Cheerleading, gerade im US-amerikanischen Kontext, wird nur das Nötigste bedeckt - das ist schon eine krasse Objektifizierung von Frauenkörpern. Daher war klar, dass diese übertriebene Zurschaustellung von "Fleisch" auch bei uns eine Rolle spielen muss. Ich finde es inzwischen auch fragwürdig, Leuten den Anblick von Männern in hautengen Shorts aufzuzwingen.
Es ist irritierend, aber das ist gerade das Spannende an unserem Projekt: Bei Frauenkörpern ist es ganz normal, sie auf diese sexualisierte Weise darzustellen und zu betrachten, bei Männerkörpern nicht. Die Irritation führt dazu, das zu hinterfragen.
Kann man mit Ironie strukturellen Sexismus bekämpfen?
Mit Humor und Ironie lassen sich Themen leichter transportieren, es erleichtert den Zugang. Bei Themen rund um Queerness stößt man auch heute noch an Grenzen der Akzeptanz. Mit den Fearleaders habe ich erlebt, dass sich Leute mit Humor leichter tun, über diese Dinge zu sprechen. So werden Berührungsängste abgebaut.
Uns geht es aber nicht darum, mit dem Zeigefinger auf andere zu zeigen, sondern auf uns selbst. Als Mann muss man sich fragen, welche Rolle man in diesem patriarchalen System spielt und welche Privilegien damit verbunden sind. Über Diskriminierung wird man sich schnell bewusst, wenn man sie selbst erlebt; über Privilegien nicht. Der Ausdruck "queering patriarchy" fasst das ganz gut zusammen. Es ist für mich der Versuch, die patriarchalen Strukturen von innen heraus auszuhebeln.
Fleck: "Was können wir schon wirklich über Diversität sagen?"
Der Diskurs über Themen wie Feminismus oder Diversität hat sich in den letzten zehn Jahren verändert …
Die Themen, die wir bedienen, sind immer noch aktuell. Aber die Form, wie wir sie behandeln, war vielleicht vor zehn Jahren aktueller. Man muss sich eingestehen, dass man vielleicht irgendwann von der Zeit überholt wird. Wir sind alle so um die Mitte 30, manche jünger, manche älter. Männer jüngerer Generationen haben heute eine ganz andere Herangehensweise an Themen wie Queerness oder Maskulinität. Von denen können eher wir noch etwas lernen, denn die sind ohnehin schon weiter als wir. Aber wir erreichen eine Generation, in der das noch nicht überall angekommen ist. Solange wir noch einen Beitrag zu mehr Offenheit für queere oder feministische Positionen leisten können, hat das Projekt weiter seine Berechtigung.
Ihr seid inzwischen deutlich bekannter als das Roller Derby Team, das ihr unterstützt. Nehmt ihr den Sportlerinnen nicht auch Aufmerksamkeit weg?
Das ist so und das ist ein Problem. Wenn sich Frauen in so einer Sportart behaupten, ist es mindestens so besonders, wie wenn Männer Cheerleading machen. Queerness ist im Sport generell total unterrepräsentiert. Und dann gibt es da eine Sportart wie Roller Derby, die genau das zum Thema macht, und am Ende kriegen die weißen Männer die Aufmerksamkeit, die am Spielfeldrand mit Pompons wedeln. Das sagt so viel über die patriarchalen Strukturen, die immer noch überall zu finden sind.
Als Mann muss man sich viel weniger rechtfertigen für das, was man tut. Und wenn man einmal aus der Klischeerolle ausbricht, wird es gefeiert. Bei Frauen läuft das leider nicht so. Zum Glück bewegt sich da inzwischen etwas, aber man darf nicht vergessen, wie viel historischen Ballast wir da noch mittragen. Wir hatten schon Anfragen von "Das Supertalent" und anderen Talentshows, aber das versuchen wir zu vermeiden. Da sind wir dann nur die lustigen Männer in Hotpants und können nicht transportieren, worum es uns geht.
Ihr betrachtet euch selbst als Feministen - sollten alle Männer Feministen sein?
Ich glaube, wenn sich mehr Männer mit den Themen beschäftigen würden, würden alle davon profitieren. An einer Gesellschaft können nur alle zusammen arbeiten. Wir merken, dass uns die Selbstbeobachtung guttut. Uns ist wichtig, Sexismus und stereotype Rollenklischees nicht nur zu kritisieren, sondern auch im eigenen Alltag abzubauen. Viele im Team haben mittlerweile Familien, da geht es dann zum Beispiel darum, sich die Karenzzeiten gleichberechtigt aufzuteilen.
Seit bald zehn Jahren gebt Ihr euren eigenen Pin-up-Kalender heraus, den Fearelli. Worum geht es dabei?
Wir versuchen damit einen Gegenentwurf zu den peinlichen und sexistischen Pin-up-Kalendern von Jungbäuerinnen, Feuerwehren und so weiter zu schaffen. Wir behandeln dabei immer andere Themen. Beim neuen Kalender für 2023 setzen wir uns zum Beispiel mit unserer eigenen Homogenität auseinander. Wir sind eine Gruppe von 15 bis 20 weißen Männern mit Vollbärten und Retro-Bikes. Zwar setzen wir uns schon immer für Diversität ein, aber was können wir schon wirklich über Diversität sagen? Wir sehen alle gleich aus! Wir wollen zeigen, dass selbst, wenn wir versuchen, anders zu handeln, wir trotzdem in erlernten Routinen verhaftet bleiben.
Der Kalender darf daher als Einladung verstanden werden, sich uns anzuschließen, damit die Fearleaders vielfältiger werden. Mit den Einnahmen aus dem Kalender kaufen wir neue Teile für unsere Outfits - die Verschleißerscheinungen sind enorm - und wir finanzieren damit die Reisen, wenn wir Vienna Roller Derby zu Auswärtsspielen begleiten.
Trolle wünschen Fearleaders den Tod
Wie reagieren die Leute auf euch? Gibt es nur Zustimmung oder stoßt ihr auch auf Ablehnung?
Gerade zu Beginn wurden uns ganz häufig Fragen zu unserer Sexualität gestellt. Es wurde angenommen, dass wir schwul sind, anders konnten sich viele offenbar nicht erklären, warum wir das machen. Daran erkennt man auch ganz deutlich, wie über Männlichkeit diskutiert wird. Dieses Denken in Stereotypen wollten wir immer schon herausfordern.
Generell überrascht mich aber immer wieder, wie viel positive Rückmeldungen wir bekommen. Klar gibt es auch Trolle, die uns in Instagram-Kommentaren den Tod wünschen. Das darf man nicht so nah an sich heranlassen. Aber grundsätzlich ist es erstaunlich, aus wie vielen unterschiedlichen Bereichen wir Zuspruch bekommen. In unserem direkten Umfeld wird das total gefeiert. Meine Mutter hat alle Kalender, die wir bislang herausgebracht haben, in der Wohnung hängen. Und Zuspruch kriegen wir nicht nur in der Stadt, sondern auch am Land.
Einmal waren wir im Zug auf dem Weg in ein Trainingslager und mussten in Amstetten umsteigen, für deutsche Verhältnisse ein Dorf. Bei einem von uns hing der Pompon aus dem Rucksack und auf einmal schreit jemand: "Die Fearleaders!" Die hat uns am Pompon erkannt und sich irrsinnig gefreut, uns zu sehen.
Was ist die kurioseste Geschichte, die Dir mit den Fearleaders passiert ist?
Einer der lustigsten Tage meines Fearleader-Lebens war bei einem Außendreh an einem Teich in Wien. Wir wussten nicht, dass das eine "Cruising Area" ist. Ein Angler fühlte sich von uns offenbar belästigt und hat die Polizei gerufen.
Es kamen zwei Beamte vorbei und wollten von uns wissen, ob wir hier einen Schwulen-Porno drehen, da mussten wir uns erst einmal erklären. Wir hätten gerne gedreht, wie uns die Polizei in Handschellen abführt, aber das durften sie natürlich nicht. Am Ende hatte das alles keine Konsequenzen, außer einer guten Story.
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