Gut gegen böse. Ein Amerikaner gegen einen Putin-Anhänger. Ganz Amerika gegen Russland. Im Wrestling werden manchmal überaus makabre Geschichten rund um die Kämpfe erzählt, die hierzulande nur Kopfschütteln ernten. In den USA trifft die WWE mit patriotischen Storys aber oft einen Nerv und reißt die Zuschauer mit – so auch bei "Wrestlemania 31".

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Santa Clara, USA. Ein Panzer fährt in das Levi's Stadium ein. Russische Marsch-Musik ertönt, mehrere Artilleriekanonen feuern los. Ratatatat. Ratatatat. Rauch steigt auf. Auf dem Panzer steht ein Mann. Er schwenkt die russische Fahne. Schnell, inbrünstig. Er ballt beide Fäuste, reckt sie gen Himmel und schreit. Ist das russische Militär in den USA eingefallen? Nein. Das alles spielt sich bei einem Show-Event ab: "Wrestlemania", der größten Wrestling-Veranstaltung der Welt.

Wrestling und "Wrestlemania" sind etwas typisch amerikanisches. Es steht fast auf einer Stufe mit dem "Super Bowl" im American Football oder mit der "World Series" im Baseball – ebenfalls zwei der beliebtesten Sportarten in den USA. Wrestling ist zwar nur Show, die Kämpfe einstudiert, die Sieger vorbestimmt. In Deutschland hat es deswegen einen schweren Stand. In den USA aber sind die Wrestler der populärsten Liga WWE (World Wrestling Entertainment) Superstars.

Amerikaner lieben die Show und zelebrieren sie auch. Ausufernde Einmärsche mit Pyrotechnik, Feuerwerk und lauter Rockmusik gehören dazu. Knallen und krachen muss es. Je pompöser und lauter der Einmarsch, desto wichtiger der Wrestler. Die WWE erzählt rund um die Kämpfe Geschichten. Damit löst sie bei den Zuschauern Emotionen aus. Und viel emotionaler als eine Story, in der der böse Russe gegen den amerikanischen Helden antritt, geht in den USA kaum.

Rusev: Der Bulgare, der zum Russen umfunktioniert wurde

Genau diese Geschichte erzählt das Match Rusev gegen John Cena. Rusev ist ein breiter, massiger Kerl. Mit nacktem Oberkörper und nur mit einer kurzen Hose und Fußbandagen bekleidet steigt er in den Ring. Er wiegt rund 140 Kilo, ist überall am Körper behaart und kämpft barfuß. Er hat etwas animalisches an sich. Eine Bärenfamilie hätte ihn großziehen können. Er verkörpert im Ring den Bösen - einen Russen.

In Wirklichkeit heißt Rusev Miroslav Barnyashev und ist Bulgare. Russland, Bulgarien oder sonst ein Land in Osteuropa – alles dasselbe, das stört doch keinen, denkt man sich bei der WWE. Für die Show ist alles erlaubt. So wird aus einem Bulgaren, der seit 2000 in den USA lebt, schnell ein treuer Anhänger des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zu allem Übel ist dieser Rusev auch noch amtierender "United States Champion". Eine Schmach für die USA.

Doch das soll sich bei "Wrestlemania 31" ändern. Cena ist einer der größten Stars im Wrestling-Business. Eine Art "G.I. Joe", eine patriotische Heldenfigur. Cena sieht gut aus, ist kräftig und athletisch. Bilderbuch-amerikanisch. Auch er kämpft mit nacktem Oberkörper, seine Muskeln sind bis in die Details durchdefiniert. Bevor er in den Ring sprintet, salutiert er stets zu Ehren der US-amerikanischen Soldaten. Cena soll den Titel dorthin zurückholen, wo er hingehört: in die USA.

John Cena gegen Rusev, die USA gegen Russland

Der Gong ertönt. Ding, ding, ding. Rusev baut sich vor Cena auf. Er klopft sich mit den Fäusten auf die Brust und streckt sie gen Himmel. Er brüllt, ein Kampfschrei. Doch Cena stürmt auf ihn zu mit ausgestrecktem Arm, einem sogenannten Clothesline. Klatsch. Er trifft Rusev auf der Brust, der Riese fällt zu Boden. Die Fans feiern und skandieren: "U-S-A, U-S-A, U-S-A!"

Rund 77.000 Zuschauer sind im Stadion. Der Großteil feuert Cena an, obwohl dieser in den vergangenen Jahren nicht immer gut ankam. Deswegen mischen sich auch einige Buhrufe dazwischen. Doch bei "Wrestlemania 31" sind die meisten wieder auf seiner Seite. Cena soll Rusev besiegen. Die USA sollen Russland besiegen.

In unseren Augen klingt die Geschichte dieses Showkampfs ziemlich makaber. Russische Panzer und Artilleriefeuer. Der gute Amerikaner gegen den bösen Russen. Und das inmitten der schwierigen politischen Lage. Durch die Ukraine-Krise ist das Verhältnis der beiden Großnationen äußerst angespannt. Die WWE sieht das aber nicht als Problem an, sondern als Chance. Schließlich trifft diese Geschichte einen Nerv.

Wrestler als Sowjetrussen oder Volksverhetzer: Tabus gibt es fast keine

Zugunsten der Show gibt es im Wrestling nahezu keine Tabus. Es ist auch nicht das erste Mal, dass solche Storylines, wie man sie nennt, ausgepackt werden. In den Neunzigern verkörperte der Wrestler Nikolai Volkoff während des Kalten Krieges einen Sowjetrussen. Und zog somit den Hass der Amerikaner auf sich. Wenige Jahre nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 trat ein Wrestler namens Muhammad Hassan in der WWE auf. Er spielte einen arabischstämmigen Amerikaner, der gegen das amerikanische Volk hetzte.

Nach rund 15 Minuten erreicht die heutige Geschichte USA gegen Russland ihren Höhepunkt. John Cena schnappt sich Rusev und wirft den 140-Kilo-Mann auf seine Schultern. Sein Finishing Move, der "Attitude Adjustment", soll folgen. Die Fans springen von ihren Sitzen hoch. Wird er es schaffen? Er schafft es. Cena katapultiert Rusev von seinen Schultern, er kracht auf die Matte. Cena legt sich auf Rusev. Der Ringrichter rutscht auf die Knie, seine Hand haut auf die Ringmatte. One. Two. Three!

Cena hat das Match gewonnen. Die USA haben gewonnen, den Rivalen Russland besiegt. Cenas Musik ertönt, der Ringrichter übergibt ihm den "United States"-Gürtel. Der neue Champion reckt ihn in die Luft. Der Gürtel ist wieder da, wo er hingehört: zu Hause. Manche Fans skandieren wieder: "U-S-A, U-S-A, U-S-A!" Ob wirklich alle wissen, dass das nur Show ist?

Unser Redakteur Andreas Maciejewski ist in San José, Kalifornien vor Ort und berichtet alles rund um "Wrestlemania 31". Er begleitet seine Reise auch auf Twitter – hier können Sie ihm folgen.

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