Regisseur Andreas Prochaska ist es mit der Erfolgsserie "Das Boot" gelungen, sich an Wolfgang Petersens Originalfilm aus den 1980er-Jahren zu orientieren und dennoch sein "Ding zu machen", wie er gegenüber unserer Redaktion erklärt. An diesem Samstag zeigt die ARD um 20.15 Uhr einen neuen Prochaska-Film mit dem Titel "Die Flut – Tod am Deich", der auf dem Roman "Hauke Haiens Tod" von Andrea Paluch und Robert Habeck basiert.

Ein Interview

Der Österreicher verrät im Interview, warum die Personenschützer des deutschen Vizekanzlers bei einer Kinoführung zwischendurch "schallend gelacht" haben, wie es ihm als Wahl-Wiener am Wattenmeer gefallen hat und was ihn an der Abendunterhaltung im deutschen TV mitunter stört.

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Herr Prochaska, der Film "Die Flut – Tod am Deich" klingt nach einem Krimi, ist in Wirklichkeit aber ein sehr vielschichtiger Stoff. Sie sind der Regisseur. Wie passen Theodor Storms "Der Schimmelreiter", der Roman "Hauke Haiens Tod" und das Thema "Klimakatastrophen" zusammen?

Andreas Prochaska: Die Basis für meine Entscheidung, diesen Film machen zu wollen, war das Drehbuch von Daniela Baumgärtl und Constantin Lieb. Die beiden Autoren haben die Geschichte aus dem Roman von Andrea Paluch und Robert Habeck herausdestilliert. Für mich war es zunächst einmal wichtig, die Gegend kennenzulernen, um den Stoff überhaupt verstehen zu können.

Sie sprechen vom schleswig-holsteinischen Wattenmeer – die Geschichte spielt in dem fiktiven Küstendorf Stegebüll.

Genau. Für mich als Österreicher sind schon die Begrifflichkeiten wie "Priel" oder "Deichgraf" (Storms Novelle handelt von dem fiktiven Deichgrafen Hauke Haien; Anm. d. Red.) eine Herausforderung. Oder anders ausgedrückt: Zum Teil hatte ich anfangs keine Ahnung, worüber dort geschrieben wird. Natürlich habe ich dann auch den Storm gelesen, um das gesamte Bild zu bekommen. Und auch diese Vorlage habe ich erst begriffen, als ich persönlich vor Ort war. Um auf Ihre Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Klimathematik ist ein Teil des Ganzen und schwingt in dem Film immer mit. Aber in erster Linie ging es mir um die Geschichte der zwei Figuren, die sich auf diese sehr besondere und emotionale Reise begeben.

Ein Wahl-Wiener am Wattenmeer: "Als hätte ich einen anderen Planeten betreten"

Hat Ihnen das Wattenmeer als Wiener denn gefallen?

Eigentlich bin ich ja kein richtiger Wiener, da ich in Bad Ischl aufgewachsen bin. Aber ja, es war ein ganz besonderes Erlebnis. Zunächst einmal sieht man das Meer nicht, wenn man dort ankommt – weil es hinter einem Deich verborgen ist. Wenn man dann aber zur richtigen Zeit über den Deich schaut und das Meer erblickt, dann ist es unglaublich. Für mich hat es sich teilweise so angefühlt, als hätte ich einen anderen Planeten betreten. Dieser Anblick, das Licht und die Leute: Das alles war sehr inspirierend. Es gibt Orte, an die man gerne wieder zurückkehrt: Diese Gegend gehört für mich jetzt dazu.

Verstehen Sie mittlerweile die Menschen, die an der Nordsee leben?

Auf jeden Fall ist es besser geworden. Ich musste mir die Menschen ein Stück weit erarbeiten. Am Anfang habe ich zum Beispiel nicht verstanden, warum die Leute nicht nur am Morgen, sondern auch am Abend "Moin" sagen.

An welche Drehorte kehren Sie darüber hinaus immer wieder gerne zurück?

Da fällt mir auf Anhieb das Schnalstal in Südtirol ein. Dort habe ich den Film "Das finstere Tal" (mit Sam Riley in der Hauptrolle; Anm. d. Red.) gedreht. Mit diesem Ort verbinde ich ebenfalls ganz besondere Erinnerungen und Gefühle. Genauso, wie ich dorthin immer wieder gerne zurückgekehrt bin, werde ich mit Sicherheit auch nicht das letzte Mal an der Nordsee gewesen sein.

Die Hausaufgaben eines Regisseurs

Nicht jeder Filmemacher reist bereits im Vorfeld zu den Drehorten, um sich ein umfassendes Bild zu machen. Warum ist Ihnen das offenbar so wichtig?

Bezogen auf "Die Flut – Tod am Deich" ist die Landschaft quasi ein eigener Charakter in dem Film. Grundsätzlich finde ich es zudem total herablassend, wenn man sich nicht mit der Gegend und den Menschen auseinandersetzt, über die man eine Geschichte erzählt. Es gehört einfach zu den ersten Hausaufgaben, dass man versucht, in diese Welten einzutauchen – ohne dabei jedoch den Blick von Außen zu verlieren. Schließlich nimmt man als Außenstehender manchmal andere Dinge war als jemand, der – um bei diesem Film zu bleiben – jeden Tag auf die Nordsee blickt.

"Die Flut – Tod am Deich" läuft unter dem Genre "Mystery-Drama". Was macht dieses Drama denn eigentlich so mystisch?

Das wird tatsächlich schon in der ersten Szene deutlich, in der die kleine Wienke (gespielt von Philine Schmölzer; Anm. d. Red.) als eine Erscheinung den "Schimmelreiter" am Horizont sieht. Dieses Motiv zieht sich durch den gesamten Film und ist für mich ein Symbol für die ungreifbaren Dinge, die in dieser Landschaft passieren können. Das hat aus meiner Sicht einen hohen emotionalen Wert.

Was ist den Autoren der Romanvorlage, Andrea Paluch und Robert Habeck, in Ihren Augen besonders gut gelungen? Letzterer ist kein Geringerer als der Bundeswirtschaftsminister und deutsche Vizekanzler …

Der große Kniff von Andrea Paluch und Robert Habeck war, dass sie aus der Novelle von Theodor Storm zwei Nebenfiguren herausgenommen und in die Gegenwart versetzt haben. Storm bezeichnete Wienke aus seiner historischen Perspektive damals als "verblödet". Wenn man den "Schimmelreiter" heute liest, dann stolpert man da sicherlich drüber. Die Entscheidung, Wienke im Drehbuch als Autistin oder als Menschen im Spektrum zu schildern, empfand ich als besonders interessant. Philine Schmölzer und ich haben uns vor den Dreharbeiten mit zwei Frauen getroffen, die im Spektrum sind. Wir haben versucht, so sensibel wie möglich damit umzugehen …

… was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste. Die Realität in der Filmbranche ist aber manchmal eine andere, oder?

Ja, es gibt – ohne bestimmte Filmtitel nennen zu wollen – vor allem einige Hollywoodfilme, in denen es die Schauspieler und Schauspielerinnen in der Darstellung von Behinderungen übertreiben. Unser Ansatz war ein anderer. Nämlich, es aus der Figur heraus so authentisch wie möglich zu erzählen. Es ist einfach ein sensibles Thema, mit dem man respektvoll umgehen muss.

Wie Robert Habeck auf die Prochaska-Verfilmung reagiert hat

Hatten Sie die Gelegenheit, sich persönlich mit Robert Habeck über Ihr Filmprojekt auszutauschen?

Leider konnten wir uns mit den beiden Autoren der literarischen Vorlage im Vorfeld nicht persönlich treffen. Aufgrund von Terminkollisionen war das nicht möglich. Als klar war, dass ich den Film machen werde, habe ich aber E-Mails von den beiden bekommen, aus denen hervorgegangen ist, dass sie sich sehr darüber freuen. Wir haben es dann zumindest geschafft, den fertigen Film in Berlin vorzuführen. Ich war ziemlich nervös, weil es mir unglaublich wichtig war, dass Andrea Paluch und Robert Habeck mit dem Ergebnis einverstanden sind.

Und waren sie einverstanden?

Das müssten Sie die beiden letztendlich selber fragen. Aber mein Eindruck war schon, dass sie den Film sehr mochten. Beim Filmfest in Hamburg im vergangenen Jahr haben sie sich den Film dann noch einmal angeschaut – und mochten ihn danach sogar noch ein bisschen mehr (lacht).

"Bei einer Vorführung waren zwei Personenschützer von Robert Habeck dabei – und die haben schallend gelacht."

Andreas Prochaska, Regisseur

Was reizt Sie als Regisseur an diesen besonderen Stoffen?

Für mich ist es toll, wenn ich in einem Drehbuch beim Lesen immer wieder neue Geschichten freilegen kann. Das war bei "Die Flut – Tod am Deich" der Fall. Unabhängig von der Story und dem Genre brauche ich eine starke emotionale Verbindung zu den Hauptfiguren. Wenn die vorhanden ist, dann ist es interessant, sich zwischen Mystery, Drama und Komödie zu bewegen. Der Film ist nämlich zum Teil auch wirklich lustig. Bei einer Vorführung waren zwei Personenschützer von Robert Habeck dabei – und die haben schallend gelacht. Ich habe diese Reaktion als sehr belohnend empfunden. Mich reizt es, wenn man bei einem ernsten Stoff die Möglichkeit hat, auch heitere, naive und zärtliche Szenen einzubauen, um im nächsten Moment wieder in das große Drama zu gehen. Mir geht es insbesondere darum, das gesamte Spektrum an menschlichen Gefühlen zu transportieren.

Mord und Totschlag als Abendunterhaltung

Wie viel Mut braucht es, um als Regisseur etwas andere Ideen umzusetzen?

Man kann so etwas immer nur machen, wenn man ich in einem Umfeld bewegt, das solche Dinge auch zulässt. In diesem Fall habe ich von vornherein darauf hingewiesen, dass es sich nicht um einen klassischen Event-Film handelt. Dies war allen bewusst – und man hat mir die nötigen Freiheiten gelassen. Ich persönlich verstehe nicht, warum im deutschen Fernsehen immer Mord und Totschlag die Abendunterhaltung sein muss. Insofern war ich glücklich, dass es in diesem Film keinen Mord gibt – obwohl "Tod am Deich" darauf hätte hinweisen können. Vielleicht braucht es ja solche Titel, um das Publikum letztendlich abzuholen (lacht).

Bei der Serie "Das Boot", die unter anderem auf dem gleichnamigen Kult-Film von Wolfgang Petersen aus den 1980er-Jahren basiert, reichten zwei Worte, um das Publikum abzuholen. Wie groß waren die Fußstapfen, in die Sie treten durften?

In erster Linie war für mich entscheidend, mich von diesem Mythos freizumachen. Wenn man sich in so eine Welt begibt, wird man natürlich ständig verglichen. Ich habe einen unheimlich großen Respekt vor dem, was Wolfgang Petersen – Gott hab' ihn selig – auf die Beine gestellt hat. Sicherlich haben wir uns in vielen Bereichen an seiner Arbeit orientiert. Und dennoch musste ich mein Ding machen.

Sie bringen einige Voraussetzungen mit, um in Hollywood Filmgeschichte zu schreiben. Wären sie bereit dafür?

Wenn es passiert, dann sehr gerne. Und wenn es nicht passieren sollte, dann sterbe ich auch nicht unglücklich.

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