Thomas Gottschalk hat ein Buch geschrieben. Sein letztes. "Ungefiltert" heißt es, steht seit diesem Mittwoch in den Regalen und soll "eine Flucht nach vorne" sein. Denn Gottschalk will sich erklären, will Verständnis dafür, warum er sagt, was er sagt – oder warum er Angst hat, es zu sagen. Dieses Verständnis dürfte er nach der Lektüre bekommen – auch wenn man nicht alles verstehen muss.

Christian Vock
Eine Kritik
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"Ich habe im Fernsehen immer das gesagt, was ich zuhause auch gesagt habe. Inzwischen red' ich zuhause anders wie im Fernsehen – und das ist auch keine dolle Entwicklung. Und bevor hier irgendein verzweifelter Aufnahmeleiter hin und her rennt und sagt: Du hast wieder einen Shitstorm her gelabert, dann sag' ich lieber gar nichts mehr", erklärte Thomas Gottschalk im November vergangenen Jahres in seiner letzten "Wetten, dass..?"-Ausgabe, warum er nun endgültig die Moderation der Show niederlegt.

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Das klang schon damals nicht nach einem freiwilligen Abschied, sondern nach Verbitterung, aber Gottschalk hat seitdem Wort gehalten. Gesagt hat er im Fernsehen tatsächlich nichts mehr – oder vielmehr etwas weniger. Stattdessen hat er es aufgeschrieben. Seit diesem Mittwoch steht mit "Ungefiltert" sein nunmehr drittes Buch in den Regalen der Buchhandlungen. Es geht um all das, was er nur noch zuhause und nicht mehr im Fernsehen sagen möchte und Gottschalk beginnt sein neues Buch mit einer Ankündigung.

Nämlich, dass es sein letztes sein werde. Mit "Ungefiltert" habe er sein Werk als Autor nach "Herbstblond" und "Herbstbunt" vollendet, mehr gibt’s von ihm nicht. Allerdings schreibt Gottschalk nur kurz zuvor, dass er den Konrad Adenauer zugeschriebenen Satz "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern" verinnerlicht habe. Mit anderen Worten: Vielleicht ist "Ungefiltert" Gottschalks letztes Buch, vielleicht auch nicht.

"Erfahrungen und Gedanken" statt Wissenschaft

Etwas klarer ist Gottschalk dann in dem, was sein vielleicht letztes Buch nicht ist: "Eine Arbeit, die wissenschaftliche Intellektualität für sich reklamiert." Stattdessen speise sich "Ungefiltert" aus "Erfahrungen und Gedanken über die Zeit, in der wir leben und die sich, wie es für Zeiten üblich ist, gegenüber früher verändert hat und zwar, je länger man lebt, umso deutlicher spürbar".

Dass Gottschalks Buch keinen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, sondern "die Ansichten eines Clowns" sind, wie Gottschalk es in Anlehnung an Heinrich Böll, selbst formuliert, hätte er, der TV- und Radio-Unterhalter, der jahrzehntelang "bunte Seifenblasen produziert" hat, natürlich nicht erwähnen müssen. Dass er es aber dennoch macht, kann sein Publikum als Bescheidenheit interpretieren, vor allem aber sollte es sich diesen Umstand beim Lesen beständig im Hinterkopf behalten.

Denn Gottschalk wird in "Ungefiltert" Aussagen treffen, die gefühlte Wahrheiten sind. Die wir vielleicht alle einmal beim Smalltalk getroffen haben, die sich aber eben nur wie die Wahrheit anfühlen. Zum Beispiel, wenn er über die Generation Z spricht. Während er nach dem Grundsatz "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" gelebt habe, sei für die Gen Z "eine ausgewogene Work-Life-Balance wichtiger als die Karriere". Die jüngste Shell-Jugendstudie zeichnet da doch ein wesentlich differenzierteres Bild.

Thomas Gottschalk: "Vergeben Sie mir meine Ansichten"

Dass Gottschalk mit solchen Sätzen trotzdem ein zustimmendes Kopfnicken bei seiner Leserschaft hervorrufen wird, führt zu der Frage: Für wen schreibt Gottschalk überhaupt dieses Buch? Seine Antwort: Eher die Menschen seiner und umliegender Generationen. "Wenn Sie sehr viel jünger sind als ich, und ich wage zu bezweifeln, dass Sie in einem solchen Fall dieses Buch in Händen halten, dann werden Sie möglicherweise zum 'Hater' und werden mich beschimpfen, aber ich bitte Sie jetzt schon: Vergeben Sie mir meine Ansichten, die nicht die Ihren sein können und sollten."

Was sind das für Ansichten, für die Gottschalk bereits im Voraus um Vergebung bittet? Solche, die sich eben aus seinen Erfahrungen, seiner Blase, seiner Lebenswirklichkeit speisen. Die er durch allerlei Anekdoten aus seinem privaten wie beruflichen Leben transportiert und die ihn inzwischen ratlos zurücklassen. Er will sich erklären und warum das, was und wie er denkt, bisweilen, aneckt. Und so hakt Gottschalk Kapitel für Kapitel ab, wo es denn hakt zwischen seiner Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft: Idole und Influencer, der Samstagabend, die Politik, die Generation Z, das Alter, das Altern, Stars und Sternchen und Hass und Hetze.

Gottschalk will das aber nicht im Sinne von "Früher war alles besser" verstanden wissen, denn so einer will Gottschalk, das betont er immer wieder, nicht sein. Stattdessen geht es ihm um Neugier und obwohl die "Früher war alles besser"-Sichtweise doch ab und an durchscheint, nimmt man ihm diese Neugier, die Lust, zu verstehen, ab. Zumindest über weite Strecken. "Ohne auf irgendjemanden, mich selbst inklusive, Rücksicht zu nehmen, formuliere ich in diesem Buch meine Gedanken und versuche zu erklären, wie ich dazu gekommen bin, so zu denken", schreibt Gottschalk. Dabei erwartet Gottschalk nicht, verstanden zu werden, erhofft sich wohl aber Verständnis.

"Ungefiltert": Wer entscheidet, wer verletzt ist?

In manchen Punkten gelingt ihm das auch, etwa, wenn er über das Dasein von Influencern und Realitystars schreibt. Wenn er etwa über Wendler-Partnerin Laura Müller als "Figuren", wie er es nennt, schreibt, "die nur dafür bekannt sind, dass sie bekannt sind". Oder wenn er die Faszination für Pietro Lombardi ebenso wenig nachvollziehen kann wie die für Kim Kardashian. Das kann man bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, selbst wenn man einpreist, dass zu Gottschalks Jugendzeiten auch nicht alles Gold war, was da so glänzte. Aber die Botschaft ist klar: Leistung sollte vor Jubel kommen.

Deutlich schwieriger, Verständnis für Gottschalk aufzubringen, wird es, wenn er über das schreibt, was man nicht mehr sagen darf oder sagen sollte. Er denke immer häufiger, ob er sich selbst schade, wenn er das ausspreche, was er denke. Eine verständliche Perspektive, nachdem er zuvor erklärt hatte, warum er mit "Liebe Leser" und nicht mit "Liebe Lesenden" oder mit einem Frauenbild aus "James Bond"-Filmen großgeworden ist. Aber es ist eben auch eine sehr egozentrische Perspektive. Denn statt zu fragen, ob er sich mit dem Gesagten selbst schadet, könnte er ja auch fragen: Schade ich damit den anderen? Es war nie die Frage, ob man noch etwas sagen darf, sondern, ob man es sagen will. Mit anderen Worten: Will ich mit dem, was ich sage, den anderen verletzen?

Aber diese Einsicht fehlt bei Gottschalk. Es geht ihm nicht um die Perspektive der anderen, sondern um seine. Um Verständnis dafür, dass es Gründe hat, warum er so denkt und spricht, wie er es macht, nicht um Verständnis für diejenigen, die er damit eventuell verletzt. "Dass ich niemandem zu nahe treten wollte, wird als Schutzbehauptung abgetan. Nicht, ob man jemanden offensichtlich beleidigt hat, ist die Frage, entscheidend ist vielmehr, ob sich jemand auf den Schlips getreten fühlt." Natürlich glaubt man Gottschalk, wenn er erklärt, dass er mit Äußerungen niemandem verletzen will und wollte. Allerdings muss man da genauer hinsehen.

Was fehlt, ist die Sicht der anderen

Auch wenn Gottschalk dieses ständige Verletztsein als Symptom der Gegenwart ausmacht: Dass über ein Verletztsein diejenigen entscheiden, die sich verletzt fühlen und nicht der Verletzende, war schon immer so – oder hätte es sein sollen. Denn der Verletzende war in der Regel immer in der besseren Position als der Verletzte, zum Beispiel einfach, weil er ein Mann war. Aber Gottschalk fehlt dieser Perspektivwechsel, seine Erkenntnis lautet stattdessen: "Ich mache mir nur Ärger, wenn ich das jetzt sage – also sag ich halt was anderes." Ein Verstehenwollen, wie er es für sich reklamiert, sieht irgendwie anders aus.

Thomas Gottschalk, "Ungefiltert", Buch, Wetten, dass...
Thomas Gottschalk reflektiert in seinem neuen Buch "Ungefiltert" über persönliche Erfahrungen und gesellschaftliche Entwicklungen. © Penguin Random House Verlagsgruppe

Um es noch einmal zu betonen: Gottschalk versichert glaubhaft, dass er niemanden verletzen will, wenn er sagt, was er denkt und wie er es gelernt hat. Aber an manchen Stellen mag man doch daran zweifeln, etwa, wenn er als Rechtfertigung seines "War nicht so gemeint, wie es ankam"-Arguments das "Zigeunerschnitzel" mit "Königsberger Klopsen" vergleicht. Da fragt man sich, wie ernst er es denn wirklich meint mit der Diskussion. Was fehlt, ist die Einsicht, die Perspektive zu wechseln und die Konsequenz zu ziehen. Zu verstehen, warum sich jemand verletzt fühlt, und dementsprechend anders zu handeln. Wie schwer kann es sein, die Gründe für eine Verletzung nachzuvollziehen, ohne darin eine generelle Verweichlichung der Welt zu sehen?

Es ist ja nun auch nicht so, dass man das Sagbare mit jedem Satz neu austesten muss. Sprache entwickelt sich, und sie entwickelt sich langsam und es gibt eine Reihe von Wörtern, die auch Gottschalk, anders als seine Eltern und Großeltern, heute nicht mehr sagt. Und wenn man doch mal daneben liegt, ja dann reflektiert man, entschuldigt sich gegebenenfalls oder diskutiert und versucht es erneut. Da läuft es mit der Sprache nicht anders als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Das Soziale wandelt sich, hat es immer. Gottschalk wirft ja auch niemandem mehr den Fehde-Handschuh vor die Füße.

Schwierig, wenn's pauschal wird

Richtig schwierig wird es aber immer dann, wenn Gottschalk nicht über Aussagen schreibt, die er nicht so gemeint hat, sondern wenn er genau meint, was er schreibt. Dann holt er bisweilen den Holzhammer raus und drischt auf Generationen und Berufsgruppen ein. "Die Jüngeren werden ihn vermutlich nicht kennen. Er hieß: Heinrich Böll", schreibt Gottschalk, als er Bölls "Ansichten eines Clowns" erwähnt und lässt das ganze Buch über andere Pauschalurteile folgen: "Und heute ist er überall, dieser woke Mainstream", "Auch bei uns in Deutschland ist das Interesse von Jugendlichen an der Politik inzwischen stark unterentwickelt", behauptet Gottschalk und an anderer Stelle schreibt er über Journalisten "Die liegen sowieso oft total daneben" – weil einmal ein "Finanzblogger" sein Vermögen übertrieben hoch eingeschätzt habe.

So ist es bei "Ungefiltert" ein ständiges Schwanken zwischen einem Mann, der die Welt zumindest in Teilen nicht mehr versteht, aber immer noch verstehen will. Einer, der die Jugend Jugend sein lassen kann, aber gerne noch mit ihr im Gespräch bleiben möchte. Der sie kritisieren will, wo sie seiner Meinung nach falsch liegt, und das auch sollte, dem aber bisweilen der Blick durch die Augen der anderen fehlt. Und auch, wenn er sich bisweilen wie einer verhält: Gottschalk ist kein alter weißer Mann. Ein alter weiser Mann ist er aber auch nicht.

Thomas Gottschalk: "Ungefiltert. Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann". Heyne Verlag, 319 Seiten.

Verwendete Quelle

Seltene Aufnahme: Thomas Gottschalk zeigt sich mit jüngerer Schwester

Große Ähnlichkeit: Thomas Gottschalk zeigt sich mit seiner Schwester

Thomas Gottschalk hat auf Instagram einen seltenen Schnappschuss gepostet. Auf diesem zeigt er sich mit seiner Ehefrau Karina Mroß und seiner Schwester Raphaela Ackermann.
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