In den Sozialen Medien nennt sie sich die "einarmige Prinzessin", weil ihr nach einem Unfall ein Arm amputiert werden musste. Ihren Humor hat Gina Rühl dadurch aber nicht verloren.
"Ich versuche, meine Behinderung mit einer Schippe Humor und mit einem offenen Umgang zu normalisieren." Das sagt Gina Rühl, die Influencerin, die bei einem Motorradunfall einen Arm verlor. Mit ihren Videos räumt sie mit Klischees über Menschen mit Behinderung auf und setzt sich für mehr Inklusion ein.
Warum ihr der Humor so wichtig ist, wie man mit einem Arm Auto fährt und ob sie schon mal über die Paralympics nachgedacht hat, verrät die 25-Jährige im Interview.
Gina, vor ein paar Jahren musste Dein linker Arm amputiert werden, weil Du als Beifahrerin einen schweren Motorradunfall hattest. Wirst Du oft danach gefragt, was passiert ist?
Gina Rühl: Ja, im Netz ständig. Auf der Straße starren mich die Leute eher an, anstatt mich direkt anzusprechen. Die Blicke nehme ich mittlerweile schon gar nicht mehr richtig wahr. Wenn mich mal jemand anspricht, dann eher Menschen aus dem Ausland. Die sind offener und erzählen mir, dass sie das mit der Prothese von Freunden oder Verwandten her kennen. Das finde ich cool. Was ich überhaupt nicht mag, ist Mitleid. Sowas wie "Oh Gott, die arme Frau" will ich nicht hören. Das Gleiche gilt für blöde Sprüche wie: "Du hast ja ein hübsches Gesicht, da ist das nicht so schlimm." Ich weiß, dass es für viele krass ist, dass ich nur einen Arm habe, aber mir geht es gut (lacht).
Drei Monate nach dem Unfall hast Du das erste Bild mit einem Arm auf Instagram gepostet. Hat Dich das viel Überwindung gekostet?
Das Bild von mir im Rollstuhl war damals nur für meine Freunde als Update gedacht, weil ich wusste, dass nicht jeder das von meinem Unfall mitbekommen hat. So richtig angefangen mit Instagram habe ich erst ein paar Monate später, nachdem eine Freundin meinte, ich würde so bestimmt Menschen finden, denen Ähnliches passiert ist und mit denen ich mich austauschen kann. Das war wie eine Therapie für mich, es hat sich gut angefühlt, über das zu sprechen, was mir passiert ist.
Als "einarmige Prinzessin" hast Du auf Instagram, Tiktok und Youtube inzwischen über zwei Millionen Follower. Was möchtest Du mit Social Media erreichen?
Ich versuche, meine Behinderung mit einer Schippe Humor und mit einem offenen Umgang zu normalisieren. Denn ich bin immer noch die gleiche Gina wie vorher. Mir fehlt zwar ein Arm, aber das ändert nichts an meiner Persönlichkeit. Schon vor meinem Unfall habe ich andere gerne zum Lachen gebracht. Meinen Followern will ich zeigen, dass das Leben immer weitergeht. Es hört sich vielleicht plakativ an, aber das Leben ist das, was du daraus machst!
Du kriegst viele nette Nachrichten, aber nicht nur. Nimmt der Hass in den Sozialen Netzwerken zu?
Gefühlt wird es immer krasser. Ich merke, dass es die Leute extrem triggert, dass ich gut mit meiner Behinderung klarkomme. Die meisten, die mich haten, sind tatsächlich Männer, von Frauen kriege ich eher selten böse Kommentare. Es geht vor allem um mein Aussehen und dass ich gerne große Autos fahre. Behindert, blond und Auto-Mädchen – das geht denen einfach nicht in den Kopf! Aber wie habe ich als behinderter Mensch denn auszusehen? Das ist auch eine Message, die ich übermitteln will: Behinderung hat kein bestimmtes Aussehen.
"Wir reden immer davon, dass Inklusion so toll funktioniert, dabei stimmt das nicht."
Wie reagierst Du auf solche Kommentare?
Ich spiele gerne mit der Provokation: Dann mach' ich mir die Haare halt noch blonder, schminke mich noch mehr und ziehe mir noch schickere Klamotten an. Ich muss nicht in irgendein Bild passen, nur weil ich behindert bin. Und wer sagt, dass man mit Behinderung keinen SUV fahren darf?
Du liebst Autos – wie funktioniert Autofahren mit nur einem Arm?
Am Lenkrad ist ein spezieller Knauf angebracht, über den ich mit meiner rechten Hand Blinker und Licht steuern kann. Nach meinem Unfall musste ich die praktische Führerscheinprüfung wiederholen, damit ich auch mit meiner Behinderung Auto fahren darf. Das Straßenverkehrsamt hat es mir aber verdammt schwer gemacht.
Inwiefern?
Die hatten erst gar keinen Plan, wie in so einem Fall vorzugehen ist. Es hat alles ewig gedauert und ich hatte den Eindruck, dass sie mir gar nicht helfen wollten. Dabei ist es so wichtig, dass du nach so einem Unfall zu deinen alten Aktivitäten zurückkehrst, damit du nicht in ein Loch fällst. Durch Social Media habe ich festgestellt, dass es nicht nur in vielen Bereichen so geht, sondern ganz vielen behinderten Menschen. Das zeigt, wie dringend sich was ändern muss. Wir reden immer davon, dass Inklusion so toll funktioniert, dabei stimmt das nicht.
In einem Deiner Videos kritisierst Du, dass Du keinen Parkausweis bekommst, um auf Behindertenparkplätzen parken zu dürfen. Wie sehr schränkt Dich das ein?
Ich weiß, dass ein Mensch im Rollstuhl eher einen Parkausweis braucht als ich. Aber für mich wäre es auch eine enorme Erleichterung. Mit einem Handgelenk lässt sich ein voller Einkaufswagen nur schwer lenken, das ist ja manchmal sogar mit zwei Armen schwierig, wenn die Rollen nicht richtig funktionieren oder der Boden uneben ist. Zu Stoßzeiten gehe ich schon gar nicht mehr einkaufen, weil ich dann im hintersten Eck parken muss. Dann kriege ich zu hören: Geh doch nicht alleine einkaufen, sondern lass dir helfen. Aber genau darum geht es ja: Dass man auch mit Behinderung gerne selbstständig bleibt und Dinge alleine schaffen will. Weil es mir zeigt, dass ich es kann – auch mit einem Arm.
"Was mir auch richtig gefallen würde, wäre Eiskunstlauf."
Ob Schuhe binden, Haare glätten oder X-Box spielen – auf Instagram zeigst Du, wie es mit einem Arm geht. Gibt es etwas, was Du nicht kannst?
Es gibt bestimmt ein paar Sachen, aber mir fällt jetzt nichts konkret ein, was mich so in meinem Alltag beeinflusst, dass ich es nicht machen kann. Einen schnellen Zopf auf dem Kopf zu binden, war anfangs etwas schwierig, aber dafür habe ich jetzt ein Extra-Haargummi. Ich hab' sogar ein Bild aufgehängt und dafür einen Nagel in die Wand gehauen. Da frage ich mich jetzt immer, wenn ich dran vorbeilaufe: Wie habe ich das eigentlich gemacht?
Du bist sehr sportlich. In einer deiner Stories hast du mal den Hashtag Paralympics gepostet. Hast du tatsächlich schon mal daran gedacht?
Ja! Ich würde sehr gerne sowas in die Richtung machen – einfach auch für die Message. Das wäre jetzt das Tüpfelchen auf dem i. Was mir auch richtig gefallen würde, wäre Eiskunstlauf. Ich liebe das und habe mir schon oft überlegt, ob ich nicht ein paar Stunden nehme. Am liebsten würde ich mit jemandem üben, der das mit der Behinderung versteht. Eisläufer brauchen ja oft zwei Arme.
Du bist nicht nur als Influencerin aktiv, sondern arbeitest auch als Moderatorin. Für den MDR hast Du ein Magazin über Inklusion moderiert. Welches andere Format würde Dir gefallen?
Taff oder Galileo auf Pro Sieben – da hätte ich so richtig Bock drauf. Aber ich würde auch jedes andere Programm moderieren. Stellt mich vor die Kamera und ich mach' das! Wie cool wäre das bitte, wenn die Leute sagen: Die Moderatorin hat eine Prothese, sowas habe ich noch nie gesehen. Vor allem dann, wenn es im Programm nicht um die Prothese geht, sondern um was völlig anderes. Das könnte so viel verändern. Warum das nicht nutzen? Eigentlich verschenktes Potenzial!
Über die Gesprächspartnerin
- Gina Rühl ist Influencerin, Model, Moderatorin und Motivationsrednerin. 2019 musste ihr nach einem schweren Motorradunfall ein Arm amputiert werden. In den Sozialen Medien macht sich die 25-Jährige für Inklusion stark. Mit ihren Videos rüttelt sie an Klischees über Menschen mit Behinderung. Vor drei Jahren nahm sie an der Wahl zur Miss Germany teil und wurde neben anderen Kandidatinnen Vize-Miss-Germany.