BookTok und Bookstagram sind nur was für junge Leute, die Bücher mit Farbschnitt in die Kamera halten? Wer sich mit der Szene beschäftigt, weiß: Das ist Unsinn, die Community ist unglaublich vielfältig. Und sie liebt ganz unterschiedliche Genres von Literatur und verschiedene Formen, wie sie online präsentiert wird.

Ein Interview

Das beste Beispiel ist Klaus Willbrand. Der 1941 geborene Antiquar aus Köln hat innerhalb von nur zwei Monaten über 23.000 Followerinnen und Follower auf TikTok und sogar über 63.000 auf Instagram gesammelt, was ihn zu einem der größten Bookstagrammer im deutschsprachigen Raum macht.

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Sein Erfolgsrezept? Er spricht leidenschaftlich über Bücher, und seine Geschäftspartnerin Daria Razumovych (32) stellt diese Videos ansprechend online und kommuniziert mit der Community.

Herr Willbrand, Ihre Accounts gibt es erst seit Karfreitag. Hätten Sie mit diesem riesigen Erfolg gerechnet?

Klaus Willbrand: Nein, habe ich natürlich nicht. Meine Partnerin Frau Razumovych schon eher, weil sie Medienfachfrau ist und das aus anderen Arbeiten bereits kannte. Aber natürlich nicht in dieser Form, es hat uns doch sehr überrascht. Und es geht immer weiter, jeden Tag kommen mindestens 500 Leute dazu.

Was glauben Sie, woran das liegt?

Das hat zwei Gründe. Zum einen, und das steht auch in den Kommentaren, die wir bekommen, arbeiten wir auf einem hohen Niveau, und es gibt viele Leute, die sich eher dafür interessieren als für den Larifari-Quatsch, der sonst so hochgejubelt wird. Und dann, das sagt man mir zumindest, hat es auch mit meiner Person zu tun und der Art, wie ich Dinge präsentiere: direkt, ohne Manuskript. Meine Partnerin stellt mir Fragen und die beantworte ich. Das ist authentisch. Dazu kommt, dass Frau Razumovych sehr professionell filmt. Es ist ein Zusammenspiel von zwei Menschen, die altersmäßig exakt 50 Jahre auseinander liegen, und das macht es interessant. Außerdem sind wir als Antiquariat natürlich auch ein Unikat.

Sie haben gerade gesagt, dass Sie ohne Manuskript arbeiten. Sprechen Sie vorher die Fragen grob ab oder geschieht alles spontan?

Beides. Es gibt spontane Fragen, die sich aus Anmerkungen im Internet ergeben, das ist nicht vorbereitet. Wenn ich aber zum Beispiel amerikanische Autorinnen erwähne, reden wir vorher darüber. Alles im Kopf zu haben ist unmöglich, also suche ich ein paar Fakten raus, aber die erzähle ich dann frei. Bei TikTok handelt es sich um kleine Sentenzen von einer Minute, bei Instagram sind es drei, dreieinhalb Minuten und bei YouTube auch ein bisschen länger. Da sind wir aber noch nicht so stark vertreten, das wird kommen.

Wie kam es dazu, dass Sie Ihre Social-Media-Accounts eingerichtet haben?

Frau Razumovych und ich haben uns vor zweieinhalb Jahren kennengelernt, und sie hat das schon kurz darauf vorgeschlagen, aber ich habe damals abgelehnt. Ich bin 82, und TikTok ist etwas für junge Leute. Sie war aber der Meinung, dass wir einfach unsere Sache durchziehen sollen. Dazu kam ein gewisser Zwang. Antiquariate haben keine besondere Zukunft, es war Pandemie, der Umsatz ging zurück und ich hatte nur zwei Alternativen: den Laden dichtmachen – oder eben doch TikTok, wofür wir uns entschieden haben.

"Die Studenten lesen einfach nicht mehr viel, und die möchten wir aufklären."

Klaus Willbrand

Ist Ihr Anliegen eher, Menschen in das Antiquariat zu holen, oder über Literatur aufzuklären?

Beides. Antiquar ist kein Beruf im üblichen Sinne, man kann Privatleben und Beruf überhaupt nicht voneinander trennen. Ich wollte den Laden auffangen, aber nur mit Qualität, weil ich das vor Ort auch so mache. Ich habe keine Klientel, die sich für Unterhaltungsliteratur interessiert, sondern für echte Literatur, für Philosophie und andere Wissensgebiete. Wir sind ganz in der Nähe von der Universitätsbibliothek Köln, aber die Studenten lesen einfach nicht mehr viel, und die möchten wir aufklären. Frau Razumovych und ich sind gleichberechtigt, sie ist Digitalberaterin und literarisch gebildet, deswegen können wir auf einer Stufe reden. Das Ganze würde nicht funktionieren, wenn einer von uns ausfällt. Wir sind ein eingeschworenes Team und verstehen uns persönlich auch sehr gut, einfach eine ideale Kombination.

Was haben Sie in den vergangenen zwei Monaten festgestellt, wie ist die Online-Community?

Ich war am Anfang skeptisch, was die Leute betrifft, die sich in diesen Kanälen bewegen. Aber wenn es anspruchsvolle Themen gibt, kommen auch anspruchsvolle Kommentare von Leuten, die nicht einfach nur ihre Zeit am Handy totschlagen. Ungeheuer viele Menschen schreiben, wie schön es ist, dass wir jetzt da sind, einer hat sich sogar dazu verstiegen zu sagen, wir hätten die Kanäle revolutioniert. [lacht] Es ist schon so, dass wir eine Ausnahme bilden. Man muss die Dinge gar nicht schönreden, sie sind schön. Wenn wir persönliche Sachen vermitteln, um das Ganze menschlicher zu machen, wenn Frau Razumovych Fotos von uns postet, von der Zeit, als wir uns kennengelernt haben, gibt es rührende Kommentare, das ist wirklich erstaunlich. Auf der anderen Seite – wenn ich über echte Literatur, über Kunst spreche, kommen 450 Kommentare, von denen die Hälfte nicht einverstanden ist, weil sie glauben, große Literatur beginne dann, wenn es langweilig wird. Ich lass' mich doch auch nicht gerne langweilen. Große Literatur ist keine Unterhaltung, aber unterhaltsam. Gleichzeitig wird man gefordert, und so bleiben Dinge haften. Mit solcher Literatur wollen wir etwas zu tun haben, und das wollen wir vermitteln.

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Haben Sie durch BookTok und Instagram auch eine Veränderung in Ihrem Antiquariat festgestellt?

Ja, sicher, extrem! Es vergeht kein Tag, an dem nicht mehrere Leute in den Laden kommen, die uns dadurch kennen. Auf der Straße werde ich auch angesprochen. Neulich gab es eine rührende Szene: Zwei Schulmädchen, vielleicht 12 oder 14 Jahre alt, haben ein Taschenbuch bei mir gekauft. Sie haben dann ein wenig rumgedruckst. Als ich sie ansprach, baten sie um ein Foto von mir, ein Selfie, wie man das nennt. Es gibt auch Leute, die hochpreisige Buchbestellungen über 240 oder 350 Euro machen. Und ich habe gerade ein Taschenbuch verpackt – Hermann Hesses "Siddhartha" –, bei dem mich die Frau, die das bestellt hat, um eine Widmung gebeten hat. Normalerweise mache ich das nicht, aber ich habe ihr dann doch den Gefallen getan.

Wie gehen Sie mit dem neuen Ruhm um?

Ach wissen Sie, in meinem Alter ist man da nicht mehr so aufgeregt. Die Leute sind freundlich, ich bin dann auch freundlich, aber ich will gar nicht berühmt werden. Mir geht es darum, Dinge zu vermitteln. So habe ich meinen Beruf immer geführt, nicht, um damit Geld zu verdienen, sondern weil ich ihn ernst nehme, weil ich eine Aufgabe darin sehe und es mir Spaß macht, gute Literatur zu vermitteln.

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