Lotto-Millionär Chico wurde nach Androhung von sexueller Gewalt bei "Promis unter Palmen" rausgeworfen. Der Medienpsychologe Jo Groebel erklärt im Interview, warum es im Reality-TV immer wieder zu solchen Vorfällen kommt.

Ein Interview

In der am Montagabend auf Sat.1 ausgestrahlten Folge von "Promis unter Palmen" kam es zu einem Eklat. Lotto-Millionär Kürsat "Chico" Yildirim drohte Mit-Kandidatin Lisha Savage sexuelle Gewalt an und wurde aus dem Reality-Format ausgeschlossen.

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Es ist nicht der erste Skandal bei "Promis unter Palmen". Im Interview mit unserer Redaktion ordnet der Medienpsychologe Professor Doktor Jo Groebel die Vorkommnisse ein.

Jo Groebel, vor fünf Jahren gab es in der ersten Staffel von "Promis unter Palmen" einen Mobbing-Skandal, in der zweiten Staffel homophobe Beleidigungen. Nun musste der Kandidat Chico wegen Androhung von sexueller Gewalt die Show verlassen. Werden aus Ihrer Sicht bei "Promis unter Palmen" die Grenzen der Fernsehunterhaltung überschritten?

Jo Groebel: Ganz ehrlich, ich bin da mittlerweile schon ziemlich zynisch und abgebrüht geworden. Der Skandal gehört einfach immer dazu. Das hängt schlicht und ergreifend damit zusammen, dass wir bei solchen Shows immer mehrere Kriterien haben, die zu solchen Situationen beitragen.

Welche Kriterien sind das?

Solche Shows bilden bestenfalls einen Durchschnitt der Gesamtbevölkerung ab, quer durch alle Bildungsschichten und zivilisatorischen Schichten. Es gibt aber Shows, bei denen das nicht der Fall ist. Da kommt ein bestimmter Typ Mensch häufiger vor. Das macht diese Menschen überhaupt nicht besser oder schlechter, sie haben einfach eine größere Bereitschaft, sich auffallend zu äußern. Sonst wären sie auch keine geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten. Introvertierte Menschen, die kein Interesse an der Öffentlichkeit haben, nehmen an solchen Formaten nicht teil. Es bleibt also ein gewisser Prozentsatz übrig, der bereit ist, sich auffallend zu äußern. Auch, um prominent zu werden oder zu bleiben. Innerhalb dessen gibt es dann eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass extreme und nicht mehr akzeptable Äußerungen dabei sind.

Werden die Kandidatinnen und Kandidaten so ausgewählt, dass ein Skandal wahrscheinlich ist?

Das ist der zweite Punkt. Der Skandal trägt zur Publicity bei und macht ein Format attraktiver für die Zuschauerinnen und Zuschauer. Ohne Skandale gibt es weniger Schlagzeilen, ohne Schlagzeilen schalten weniger Leute ein. Ein Skandal wird nicht bewusst herbeigeführt, aber billigend in Kauf genommen. Die Kandidatinnen und Kandidaten sind ja keine Unbekannten. Dass das auffallende oder auch verhaltensauffällige Persönlichkeiten sind, weiß man ja vorher. Wenn so eine Show nicht geskriptet ist und alles spontan abläuft, ist es eine Frage der Wahrscheinlichkeit, dass solche Sachen in einer gewissen Regelmäßigkeit passieren. Ich kenne einige der gesitteteren, aber auch einige der sich sehr spontan äußernden Kandidatinnen und Kandidaten persönlich. Und offen gesagt wundert es mich, dass es nicht noch häufiger der Fall ist (lacht). Es lässt sich nicht verhindern, es sei denn, man würde ganz brave Leute auswählen. Aber nein, das ist natürlich ein Kalkül. Es gibt aber auch einen positiven Aspekt.

Welchen?

Es zeigt sich, dass so etwas wie ein moralischer Kompass bei den Sendungsmachern und Sendern gegeben ist, wenn solche Geschichten eben nicht akzeptiert und die Leute dann rausgeschmissen werden. Der Skandal, der sicher nicht unwillkommen ist, gibt den Redaktionen und den Sendern zusätzlich die Möglichkeit, sich zu positionieren und zu zeigen, was moralisch nicht akzeptiert wird. Letztlich ist es also ein Gewinn für die Schlagzeile, aber auch für die Positionierung. Manche würden jetzt sagen, das ist Heuchelei. Erst werden die Leute entsprechend ausgesucht, dann gibt man ihnen einen drauf. So weit würde ich nicht gehen. Aber es gibt sicher auch keine tiefgreifende Empörung bei den Verantwortlichen.

Wo sind die Grenzen solcher Reality-Formate?

Ich kenne viele interne Diskussionen darüber, was man noch zulassen darf und wann man den Stecker ziehen muss. Da hat sich natürlich einiges geändert. Sexuelle Gewalt oder auch nur die Andeutung davon, rassistische Äußerungen oder Vorurteilsäußerungen gegen Minderheiten werden überhaupt nicht mehr akzeptiert, und das ist natürlich absolut richtig so. Das hat auch nichts mit Wokeness oder Cancel Culture zu tun, so etwas kann kein Sender tolerieren.

Sat.1 hatte 2022 mit dem "Club der guten Laune" ein Format ins Programm genommen, das wie eine entschärfte Version von "Promis unter Palmen" wirkte. Warum kehren die Sender immer wieder zu den Krawallformaten zurück?

Der Normalzustand interessiert uns alle nicht. Wenn ein Unfall passiert, dann schauen wir alle hin. Das sind ganz archaische, fast schon Überlebensreflexe. Alles, was in irgendeiner Weise negativ auffällt, bekommt von uns größere Aufmerksamkeit. Das ist ein rein physiologischer Vorgang. Warum? Weil es sein könnte, dass man sich auf eine mögliche existenzielle oder identitäre Bedrohung einstellen muss. Oder, dass man sich gegen etwas wehren muss, auch wenn es nur eine Beleidigung ist. Das sind normale Reflexe. Dazu kommt der angenehme Nervenkitzel, der Voyeurismus, dass man sich über andere erheben kann, dass man sich moralisch besser fühlt. Das Leben einer braven Klosterschülerin ist nicht interessant. Interessant ist es immer dann, wenn es eine Zuspitzung, Konflikte und Attacken gibt.

Die Einschaltquoten von "Promis unter Palmen" waren zuletzt nicht sonderlich gut. Denken Sie, die Zeit solcher Formate ist langsam vorbei?

Nein, das glaube ich nicht. Das liegt eher daran, dass es zu viele ähnliche Formate gibt. Mich persönlich langweilen die meisten dieser Sendungen. Man kennt das seit über 20 Jahren, es ist nicht sonderlich originell. Die Menschen sehen immer wieder die gleichen Kandidatinnen und Kandidaten. Sendungen wie "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" schaffen es aber, durch besonders teure Einkäufe herausragende Prominente zu verpflichten. Wie zuletzt Lilly Becker. Solche Sendungen ragen heraus, sind aber auch in der Produktion teurer als der 100. Aufguss von Sendungen mit Leuten, die dadurch prominent geworden sind, dass sie prominent geworden sind. Diese Formate sind keine totalen Flops, aber auch keine Supererfolge. Letztlich bleiben die herausragenden Formate übrig, dann gibt es vielleicht auch wieder eine Renaissance.

Reality-Formate wie "Promis unter Palmen" werden also nicht verschwinden?

Diese Art von Reality-Shows sind mittlerweile zum Allgemeingut der Populärkultur geworden. So wie Quiz-Shows oder Fußballspiele gehören sie zur normalen Fernsehkost dazu. Nur schaut, mit Ausnahme weniger Hardcore-Leute, niemand von morgens bis abends nur Sport oder Quiz-Shows an. Irgendwann ist ein Übersoll erfüllt, wenn man die immer gleichen Formate mit den immer gleichen Nasen sieht. Die erste Liga wird bleiben, weil sie zur allgemeinen Diskussion dazugehört. Alle wissen, was im "Dschungelcamp" passiert oder bei Heidi Klums "Germany‘s Next Topmodel". Alles, was dann rechts und links davon passiert, gehört nicht mehr zur ersten Liga.

Wohin könnte die Entwicklung der Reality-Formate gehen? Sind noch extremere Formate denkbar?

Nein. Es gab vor zehn oder 15 Jahren schon viel extremere Formate. Im Gegensatz zu Japan oder den USA gibt es in Deutschland eine sehr gut funktionierende Medienaufsicht, weshalb die extremsten Sachen nicht gemacht werden können. Die Selbstverantwortung der Sender verhindert so etwas aber meistens schon im Vorfeld. Das zeigt auch der aktuelle Vorfall bei "Promis unter Palmen". Die Schlagzeilen sind da, Sat.1 konnte demonstrieren, wie moralisch hochstehend man ist. Ich hoffe, dass sie aus Überzeugung so gehandelt haben und nicht nur aus Kalkül. Ich glaube aber, dass es eine Mischung aus beidem ist.

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Jo Groebel lehrte und forscht zu den Wirkungen von TV, Film und Internet auf Handeln, Denken und Fühlen. Er gilt als einer der Begründer der modernen Medienpsychologie, hat national und international 38 Bücher zum Thema veröffentlicht und ist regelmäßig selbst in den Medien vertreten.