Der Publikumskandidat hat es tatsächlich geschafft: Sänger Jay Oh gewinnt das Finale vom "Supertalent 2015". Der 29-jährige Sozialpsychologe, der seinerzeit eigentlich nur als Pausenfüller auftrat, brachte in einer leidlich unterhaltsamen Show die überzeugendste Leistung. Erinnern wird sich trotzdem bald niemand mehr an ihn.
Jay kann gut singen. Jay gewinnt mit seinem Gesang gestern Abend "Das Supertalent". Jay ist mit Sicherheit ein richtig netter Kerl. Damit wäre im Prinzip eigentlich auch schon alles über Jay gesagt. Denn, Hand aufs Herz lieber Leser, spätestens morgen werden Sie sich kaum noch an Jay erinnern können. Genauso wenig wie an Freddy Sahin-Scholl. Oder Jean-Michel Aweh. Oder Marcel Kaupp. Ja, auch die waren einmal "Das Supertalent".
Dass der singende Jay, wie die Sieger vor ihm, bald in Vergessenheit geraten wird, liegt nicht am mangelnden Talent. Auch nicht am Haifischbecken Fernsehen. Und erst recht nicht an
"Das Supertalent" - nichts für Leute mit eigenem Geschmack
Nun ist es ja nicht so, dass man im Fernsehen bedingungslose Ehrlichkeit erwartet. Dort gehört es dazu, dass man mal ein bisschen auf die Sahne klopft, sonst wäre das meiste, was man dort zu sehen bekommt, sterbenslangweilig. Klappern gehört zum Handwerk und zum Show-Handwerk allemal. Daher sei es verziehen, dass man "Das Supertalent" eben "Das Supertalent" genannt hat und nicht ehrlichkeitshalber "Samstagabendunterhaltungssendung, in der aus mittelprächtig bis ganz guten Darbietungen die beste Leistung prämiert wird."
Doch was sich da gestern Abend beim Finale der Show abspielte, hatte mit ein bisschen übertriebener Showunterhaltung nichts mehr zu tun, sondern glich einem emotionalisierten Superlativ-Tornado, in dessen Zentrum
"Das Supertalent" ist auch in der inzwischen neunten Staffel immer noch das gleiche durchchoreografierte Gefühle-Hopping wie all die Jahre davor. Jede Emotion ist arrangiert, ein Auftritt gleicht in seiner Machart dem anderen, jeder Zuschauer weiß, wann er wie reagieren muss: der Künstler singt – Klatschen; die Jury lobt – Klatschen; ein Juror geht selbst auf die Bühne – Klatschen. Offenbar traut RTL seinem eigenen Publikum nicht zu, dass es selbst entscheiden kann, wann es ergriffen ist und wann nicht.
Super, superer, am supersten
Und wenn ein Zuschauer immer noch nicht mitbekommen hat, dass er hier die unglaublichste Darbietung gesehen hat, die es auf der ganzen Welt überhaupt gibt, gegeben hat und für alle Zeiten geben wird, ja für diese Zuschauer singen Darnell und Bause gerne das Superlativ-Duett. Da ist dann für Darnell immer alles "Hammer", "brillant" und "wirklich toll" und die Bause wünscht in ihrer Begeisterung für alles jedem den Sieg.
Bestes Beispiel für diesen übertriebenen Superlativismus ist der Auftritt der 81-jährigen Paddy, die mit ihrem deutlich jüngeren Partner Salsa tanzt. Das ist rührend, bewundernswert in vielerlei Hinsicht und mit Sicherheit auch vorbildhaft. Talentiert ist es allerdings nicht. Trotzdem wird die Dame von der Jury in den Himmel gehoben, alleine, weil sie 81 ist. Dass alt sein kein Talent und erst recht kein Supertalent ist, ist Darnell und Bause aber offenbar egal.
Und Dieter Bohlen? Früher wurde er zu recht kritisiert, weil er Kandidaten, die nicht seinen Erwartungen entsprachen zynisch und wenig höflich zusammenfaltete. Gestern Abend freute man sich, wenn Bohlen als einziges Jury-Mitglied einen Auftritt einmal weniger gelungen fand. Wenn nämlich alles immer nur super, mega und der Hammer ist, verliert das, was tatsächlich diese Superlative verdient, an Bedeutung.
Und, wissen Sie noch, wer gestern Abend gewonnen hat?
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