Seelenstriptease, Tränen und Schuldzuweisungen: RTL2 zelebriert in "Sarah & Pietro - Die ganze Wahrheit" genüsslich die Demontierung seines ehemaligen Traumpaares - denn das ist jetzt erst recht ein Quotengarant.

Ein Kommentar

Es ist spät in der Nacht, Sarah Lombardi steht an einem Brunnen und wartet auf ihren Mann Pietro. Sie hat ihm ein Lied geschrieben. Schon nach den ersten Zeilen beginnt er zu weinen. Sie singt weiter und heult ebenfalls - woraufhin Pietro noch mehr schluchzt.

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Gefühle, größer als das Leben. Das ist es, was das C-Promi-Paar zu Fernsehstars gemacht hat. Ein ganz intimer Moment - wenn da nicht die Scheinwerfer wären, die ihre Gesichter taghell erleuchten. Und die Kamera, die sich zwischen ihre Münder bohrt, als wolle sie mitknutschen.

Kurz zur Erklärung, falls Sie Sarah und Pietro Lombardi nicht kennen: Das Paar lernte sich 2011 bei der achten Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" kennen, heiratete, nahm gemeinsam Alben auf und ließ sich von RTL2 bei der Eheschließung, beim Hausbau, im Urlaub und beim Kinderkriegen filmen.

Ein Leben in der totalen Öffentlichkeit. Liebe als Geschäftsmodell ...

75 Minuten altes Material in neuer Verpackung

... bis vor einigen Wochen intime Bilder von Sarah mit ihrem Exfreund auftauchten - und das ehemalige Traumpaar merkte, dass es nicht immer angenehm ist, im Mittelpunkt zu stehen.

Spötter witzelten schon damals, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis RTL2 auch die Trennung tränenreich verfilmen werde. Sie mussten nicht lange warten. Unter dem Titel "Sarah & Pietro - Die ganze Wahrheit" fleddert der Sender den noch warmen Kadaver seines erfolgreichsten Fernsehpaares.

Wobei der Titel leicht irreführend ist. "Sarah & Pietro - der ganze alte Mist aus den vergangenen Doku-Soaps" wäre treffender. "Die ganze Wahrheit" beschränkt sich darauf, dass es wohl viel zu verlockend war, die zehn Minuten neues Interview-Material, die dem Sender zur Verfügung standen, nicht auf Spielfilmlänge zu strecken.

Geschlagene 75 Minuten fasst der Sender zusammen, was das Archiv hergibt. Sarah und Pietro beim Bettenkauf. Sarah und Pietro mit den Eltern im Wohnmobil. Sarah und Pietro schreiben ihrem ungeborenen Sohn ein Lied. Spannungskurven aus dem Folterkeller des Privatfernsehens.

Als Zuschauer fragt man sich die ganze Zeit über, ob es auch Momente gibt, in denen die beiden sich nicht filmen ließen. Die Antwort: Nein. Selbst kurz vor der Geburt ihres Sohnes Alessio sagt Pietro in die Kamera: "Der Muttermund ist gerade bei vier Zentimetern."

Lombardis von der Presse verfolgt - und vom eigenen Sender

Bis die Sendung zu ihrem eigentlichen Thema vorstößt, ist es spät am Mittwochabend. Untermalt von dramatischer Musik sind die Fremdgeh-Selfies aus der "Bild"-Zeitung zu sehen.

"Sie werden von der Presse verfolgt", klagt der Sprecher an - was eine bizarre Feststellung ist wenn man bedenkt, dass der Sender die letzten 75 Minuten damit verbracht hat, fünf Jahre Beziehung mit viel Pathos auf genau diesen Moment hin zurechtzubiegen.

Pietro Lombardis erste Worte zur Gesamtsituation: "Sie hat mit einer Aktion alles aufs Spiel gesetzt." Sarah spart sich einen Kommentar und heult gleich los.

Der Seelenstriptease, den der Zuschauer die ganze Zeit erwartet hat, beginnt. Die Rollen sind klar verteilt.

Pietro betont 45 Minuten lang, dass er zwar Fehler gemacht habe, im Prinzip aber alles in Ordnung gewesen sei. Sarah fühlte sich unbeachtet und rechtfertigt sich tränenreich. Pietro erklärt, dass Sarah für ihn die ewige Liebe war. Sogar ein gemeinsames Tattoo ließen sie sich stechen - bekanntermaßen ein untrügliches Zeichen dafür, dass man sich nie, aber auch wirklich nie, trennen wird.

Sarah sagt, dass sie nicht vorhatte, ihre Familie zu zerstören. Pietro hat sich bei alldem nichts gedacht - selbst dann nicht, als sie ihn samt Sohn zu ihrem Exfreund schleppen wollte.

Perfekt choreografierte Trash-TV-Tragödie

Die Tragödie der beiden ist letztlich altbekannt. Mann und Frau werden Eltern. Mann und Frau haben Probleme damit, wie sich ihre Beziehung verändert. Frau fühlt sich vernachlässigt. Mann findet, dass weiterhin alles dufte ist. Frau geht zum Nächstbesten, der ihr Aufmerksamkeit schenkt - dem Exfreund. Ein Drehbuch wie aus "Berlin Tag & Nacht". Nur eben im "echten" Leben - sofern diese Trash-TV-Schmonzette nicht einfach ein perfekt choreografierter Coup von RTL2 und "Bild" ist.

"Es bleibt zu hoffen, dass die Familie einen gemeinsamen Weg findet", heuchelt der Sprecher nach fast zwei Stunden. Er meint eigentlich: Es gibt noch so viele Doku-Soaps zu drehen.

Zum Beispiel den zweiten Teil dieser nicht enden wollenden Trennung. Kurz vor der Ausstrahlung von "Sarah & Pietro - Die ganze Wahrheit" wurde er bestätigt - damit der Schrecken nie ein Ende nimmt.

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