- Serien wie "Squid Game" oder "Breaking Bad" sind weltweite Hits.
- Was macht Serien erfolgreich? Was will das Publikum sehen?
- Eine Serienexpertin erklärt im Interview, wann Formate gelingen und welche deutsche Serie sie für einen Meilenstein hält.
Millionen Menschen haben die Serien "Squid Game", "Breaking Bad" oder "Bridgerton" gesehen. Diese Formate sind zweifellos Riesenhits. Streamingportale wie Netflix und nicht zuletzt die Corona-Pandemie verändern die Sehgewohnheiten des Publikums. Serien, die gerade durch die Decke gehen, hätten vor einigen Jahren womöglich keine Erfolgschance gehabt. Umgekehrt würden sich heutzutage Formate wie "Breaking Bad" wohl deutlich schwerer tun, aufzufallen.
Doch wieso erfahren manche Serien einen so großen Erfolg? Welche Faktoren spielen eine Rolle und wie schlagen sich deutsche Produktionen im Vergleich zur internationalen Konkurrenz? Darüber haben wir mit Katrin Merkel, Dramaturgin, Autorin und Dozentin gesprochen.
Frau Merkel, dass Serien ein Hit werden, ist oft eine Überraschung, so wie bei "Squid Game" aktuell. Was denken Sie: Warum geht die Serie so durch die Decke?
Katrin Merkel: Auch ich bin vom Erfolg von "Squid Game" überrascht. Denn weder die Machart, noch wie es erzählt ist oder die bildgestalterische Qualität finde ich so überragend, dass sich mir der Hype sofort erschließen würde. Es gibt viele andere Formate, die wesentlich besser und dichter erzählt sind. Ich denke, "Squid Game" bedient viele bereits bekannte Dinge. Die Überlebensspiele an sich sind eine Mischung aus Zitaten, man denke nur mal an die "Tribute von Panem" oder "The Game". Da es in der Serie um Spiele geht, kann man damit eine große Fangemeinde an Gamern gewinnen. Außerdem ist die Serie von der asiatischen Manga-Tradition inspiriert, auch das erschließt ein riesiges Publikum.
Vielleicht ist der Zeitpunkt entscheidend?
Ganz offensichtlich passt das Timing der Serie nach eineinhalb Pandemiejahren gerade sehr gut. Bei "Squid Game" sind viele Dinge zusammengekommen, die einen Nerv getroffen haben.
Nach all den Jahren der US-Dominanz – könnte "Squid Game" einen Asien-Hype auslösen und asiatische Serien insgesamt beliebter machen?
Das US-amerikanische Fernsehen hat uns in der Tat lange geprägt, aber in den letzten Jahren hat sich die Stimmung gedreht. Im deutschen TV haben zum Beispiel die nordischen Thriller-Formate schon lange eine starke Tradition. Generell liegt in Deutschland und in Europa die Aufmerksamkeit mittlerweile viel mehr auf nationalen Produktionen. Denken Sie beispielsweise an die deutsche Netflix-Serie "Dark". Das war ein ziemlicher Schritt. Solch eine Dystopie wäre vielleicht im Spielfilmbereich früher möglich gewesen, aber das Ganze als Serie umzusetzen, war schon ein Meilenstein. Die jahrzehntelange Dominanz von US-Ware ist also gebrochen und deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass auch asiatische Formate mehr Aufmerksamkeit bekommen können. Das gilt dank der Streamingdienste aber auch für italienische, spanische, deutsche oder israelische Produktionen.
Schulden, Kinderspiele, Tod: Wird "Squid Game" zur erfolgreichsten Netflix-Serie der Welt?
Wir haben über Deutschland und Amerika als Märkte gesprochen. Was sind die größten Unterschiede zwischen deutschen und amerikanischen Serien?
Wenn wir von der klassischen deutschen Serie ausgehen, wie sie vom Fernsehen in den letzten Jahrzehnten entwickelt wurde, dann liegen im Vergleich zu einer US-amerikanischen Serie Welten. Es handelt sich um ganz unterschiedliche Herangehensweisen und Erzählweisen. Bei den Amerikanern ist die Storyteller-Tradition stark ausgeprägt: Was erzählt wird und wie es erzählt wird, hat immer stark das Publikum im Blick. Die deutsche TV-Tradition ist geprägt vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen und dem damit verbundenen Bildungsauftrag. Auch wertschätzt man in Deutschland viel mehr einen künstlerischen Ansatz, der aus dem Kino kommt, als beim amerikanischen Fernseh-Storytelling. Das sind ganz unterschiedliche kulturhistorische Erzählansätze.
Was braucht eine Serie, um erfolgreich zu sein?
Sie braucht tolle Figuren und einen spannenden Konflikt, der eine serielle Erzählung trägt. Im Unterschied zu einem Spielfilm soll eine Serie eine unendliche Geschichte erzählen können. Insofern braucht es einen starken erzählerischen Motor, über den wir Dramaturginnen und Dramaturgen uns viele Gedanken machen. Dann braucht es eine interessante Machart und ein tolles Setting. Aber, man darf nicht vergessen, es gibt unterschiedliche Bedürfnisse: Manches Publikum will überrascht werden und Neues erfahren, ein breites Publikum wiederum will normalerweise eher Bekanntes sehen. Das sind aber keine qualitativen Kriterien wie "besser" oder "schlechter", sondern diese Bedürfnisse zu bedienen, das sind marktstrategische Überlegungen.
Da wir gerade über das Publikum sprechen: Wie haben sich die Ansprüche der Zuseherinnen und Zuseher verändert? Nehmen wir zum Beispiel "Breaking Bad": Wäre das auch heute noch so ein Erfolg, wenn es jetzt erst an den Start gehen würde?
Es wird immer schwerer, einen richtigen Hit zu landen, weil wir alle schon so viel gesehen haben. Die Anzahl der Produktionen explodiert und "Breaking Bad" war zu seiner Zeit, also 2008, etwas total Neues. Wie es erzählt wurde und was erzählt wurde, war damals besonders, aber es würde heute nicht mehr reichen. Trotz allem ist es brillant erzählt und gespielt, sodass es auch heute bestimmt noch erfolgreich wäre, aber ob es auch heute so ein Knaller werden würde? Ich denke nicht. Auch "Bridgerton", ein anderer Netflix-Erfolg, sieht zwar perfekt aus, aber wahnsinnig tiefgründig ist die Serie nicht. Also gute Unterhaltung und eine gute Machart scheinen einem breiten Publikum wichtig, da geht Wirkung vor Inhalt. "James Bond" ist ja auch nicht so erfolgreich, weil es so wahnsinnig tiefgehend ist.
Wenn es um Ansprüche und Sehgewohnheiten geht – welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie?
Da wir alle dazu verdammt waren, zu Hause zu sitzen und fernzusehen, hat die Pandemie bestimmt einen großen Einfluss darauf, was und wie wir schauen. Gerade die Streaming-Portale und Mediatheken haben einen Schub erfahren. Insofern wurde eine Entwicklung, die schon im Gange war, beschleunigt. Es gibt einen großen Druck und Bedarf, dem Publikum neue Inhalte anzubieten und das merkt man.
Wenn wir auf die Entwicklung von Serien schauen: Was ist bei heutigen Serien anders und gab es früher nicht?
Was sich klar verändert hat, auch durch die neuere Generation von amerikanischen Formaten, sind die multiperspektivische Erzählweise und die gebrochenen Charaktere. Außerdem wird vielmehr auf Diversität geachtet. Es wird schneller und komplexer erzählt und heute bekommen Formate eine Chance, die früher keine bekommen hätten.
An welche Formate denken Sie dabei?
Auch, wenn es jetzt nicht ganz neu ist, ist "4 Blocks" ein gutes Beispiel, eine sehr düstere Gangster-Ballade. Oder "Chernobyl", also politische Themen, aber auch "Barbaren", historische Geschichten, die aber ganz klar auf Unterhaltung gebügelt sind. Sowas wäre vor fünf oder zehn Jahren nicht möglich gewesen im deutschen Fernsehen.
Schauen wir in die Zukunft: Was sind die Trends bei neuen Serien?
In Deutschland werden sich noch mehr Genres auffächern. Spitzere Formate, die sich an spezielle Zielgruppen wenden, werden immer beliebter. Auch das Thema Diversität tritt in den Vordergrund. Es gibt Serien eigens für die LGBTQ Gemeinde oder für Homosexuelle. Und danach wird dann vermutlich die gezielte Ansprache älterer Zielgruppen kommen. Bei uns in Deutschland wird das ältere Publikum vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen gut abgedeckt, aber auch da gibt es noch viele Themen und viel Luft für Entwicklung. Amerikanische Formate wie "Big Little Lies" oder "Little Fires Everywhere" sprechen beispielsweise schon gezielt ältere Frauen an.
Netflix treibt wie besprochen das Thema Diversität stark voran. Wieso dauert die Entwicklung da in Deutschland länger?
Ja, definitiv dauert die Entwicklung bei uns länger. Über das "Warum?" kann ich nur spekulieren. Natürlich hat das viel mit Strukturen zu tun, sowohl in den Sendeanstalten, als auch in den Produktionsfirmen. Vergleichsweise junge Unternehmen können sich da natürlich von Anfang an ganz anders aufstellen.
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