Früher musste man als Unternehmen teure Werbezeit im Fernsehen buchen. Heute wird die Firma einfach selbst zum Programm. Im RTL-Format "Undercover Boss" treffen Vorzeigechefs auf Vorzeigemitangestellte. Nur mit der wirklichen Arbeitswelt hat das nichts zu tun.
Ach, die Arbeitswelt könnte so einfach sein. Zum Beispiel, wenn der Chef sich einfach einen Schnurrbart rasiert, Brillengläser aufsetzt und getarnt als Praktikant bei seinen Mitarbeitern in die Lehre geht. So zu sehen in dem Pseudo-Doku-Format "Undercover Boss". Beziehungsweise der großen RTL-Märchenstunde. Mit der wirklichen Arbeitswelt hat die Sendung so viel zu tun wie "Deutschland sucht den Superstar" mit Musik.
Der Ablauf ist im Prinzip immer der gleiche. Ein Geschäftsführer stellt sein Unternehmen vor und spult ein paar Marketingsätze ab. Früher musste eine Firma dafür einen Werbeblock buchen, heute wird sie einfach selbst zur Show. Im Fall der Auftaktfolge der neuen Staffel von "Undercover Boss" ist das André Schwämmlein, einer der Gründer von MeinFernbus Flixbus. Er will einen ehrlichen Einblick in seine Firma erhalten und geht dazu erst mal zum Münchner Star-Friseur Lipperts. Nur der bekommt einen echten Arbeiterhaarschnitt hin.
Als Praktikant Marc Förster mischt er sich unter seine Mitarbeiter. Die erste von ihnen ist Fahrerin Edita, die er auf der Strecke Innsbruck – München begleitet. Er will ganz tief eintauchen in die Probleme seiner Angestellten. Wie Schwämmlein das schaffen will, wenn er und seine Mitarbeiter die ganze Zeit von einer Kamera begleitet werden, weiß wohl nur RTL.
Oder wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie wüssten, dass den Beitrag nachher ihr Chef sieht? Genau, vollkommen natürlich. Anders ist diese Szene auch nicht zu erklären: Edita und ihr Chef in Verkleidung lehnen am Busbahnhof an der Wand. Er fragt sie nach ihren Wünschen. "Einmal Formel 1 fahren", sagt sie. Verträumte Musik plätschert im Hintergund. Der Chef lächelt weggetreten, Edita auch. Hach.
Motivierte Mitarbeiter weit und breit
So geht dieser als Unterhaltungsformat getarnte Werbefilm für das durchaus umstrittene Fernbus-Unternehmen immer weiter. Von zu langen Arbeitszeiten bis zu zwölf Stunden, Überlastung (die Fahrer steuern nicht nur den Bus, sie verladen auch das Gepäck, kontrollieren die Tickets und verkaufen Getränke) und schlechter Bezahlung, die der Branche oft vorgeworfen werden, ist in dem Format nie die Rede.
Stattdessen nur zufriedene und motivierte Mitarbeiter weit und breit. Das größte Problem, das da auftauchen kann, ist ein Fahrer, dem keine der Standardwesten von MeinFernbus Flixbus passt. Kurzerhand ließ er sich auf eigene Kosten ein Exemplar schneidern. Schwämmlein ruft direkt seinen Kollegen aus der Geschäftsführung an. Zu kleine Westen – das ist Chefsache!
Den Höhepunkt dieser Farce bildet die große Enttarnung. Schwämmlein lädt seine Mitarbeiter vor, jetzt wieder im Anzug, ohne Brille. Er druckst ein bisschen herum, wartet bis er erkannt wird: Ha, ha, ha! Alle haben gute Laune! "Bischt a gude Schauspieler", sagt Edita und grinst. "Es fühlt sich richtig gut an, für seine Arbeit Anerkennung zu erfahren", ein anderer.
Vorzeigemitarbeiter trifft auf Vorzeigechef. Es ist ein wenig wie in einem Vorstellungsgespräch. Eine Floskel reiht sich an die nächste, während die Befindlichkeiten des anderen gepampert werden.
Aber RTL wäre nicht RTL, wenn sich das nicht noch steigern ließe. Zu guter Letzt erfüllt der Chef die Wünsche seiner Mitarbeiter. Reiner bekommt eine neue Weste, ein Wochenende in Stockholm und 25 Euro für den Schneider. Edita darf auf den Hockenheimring. Natürlich nicht, ohne vorher die Sätze: "Du bist ein super Chef. Bleib so", zu sagen. Da kann man sich als Zuschauer gar nicht so viel übergeben, wie man möchte. Doch dafür hat Schwämmerlin mit Sicherheit auch eine Lösung. Seine Fahrer müssen nach ihren Touren nämlich auch den Bus putzen.
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