In der furchtbar lauten Sat.1-Show "United Voices" treten Stars gemeinsam mit Fans auf. Wer sich das eigentlich anschauen soll, ist aber auch nach der zweiten Folge nicht klar.
Die goldenen Zeiten sind für die meisten Musiker lange vorbei. Die Einnahmen für Alben- und Single-Verkäufe sind seit dem Erfolg von Streaming-Anbietern im Prinzip nicht mehr existent, die meisten verdienen ihren Lebensunterhalt mit ausgedehnten Touren und Merchandise-Verkäufen.
Doch selbst das reichte für viele vor der Corona-Pandemie nicht aus, um zu überleben. Neue Konzepte mussten her. Im Mittelpunkt dieser: der zahlungsfreudige Fan. Der konnte auf einmal gegen Aufpreis in einem speziellen Bereich vor der Bühne stehen, limitierten Merchandise kaufen, seinen Star vor dem Konzert treffen oder auf Portalen wie Patreon monatlich für exklusive Inhalte zahlen.
Sat.1 hat das erkannt und aus diesem Trend eine Show gemacht: "United Voices", bei der Fans auf Künstler treffen und mit ihm gemeinsam auftreten.
Die erste Folge des Formats lief bereits Mitte März und war mit seiner Fußballstadion-Atmosphäre inmitten der Ausgehbeschränkungen denkbar schlecht platziert. Die bescheidenen Quoten zeigten das deutlich, weshalb die nächste der insgesamt drei Shows ohne Angabe von Gründen aus dem Programm flog. Jetzt wo wieder etwas mehr Normalität eingekehrt ist, versucht es Sat.1 mit "United Voices" noch einmal. Von den Schwächen des Formats, das vor der Corona-Pandemie aufgezeichnet wurde, kann das nicht ablenken.
Kurz zum Prozedere: In mehreren Runden treffen in Folge zwei die Fans von Angelo Kelly und "The Boss Hoss" aufeinander. Sie haben Choreografien zu den Liedern ihrer Stars eingeübt, die diese zum ersten Mal im Studio sehen. Eine Jury aus 100 Nicht-Fans vergibt Punkte, welche Performance sie mehr überzeugt hat. Am Ende wird addiert und der Sieger gekürt.
"Angelo Kelly"? "Ahhhhhhhh!!!!!" "Boss Hoss"? "Ahhhhhhhhh!!!!!"
Bis es soweit ist, gilt es aber erst einmal fast zwei Stunden Geschrei zu überstehen. Sowohl vom Studiopublikum als auch den Moderatoren. Denn wie heute bei großen Shows üblich, gilt es erst einmal gegen den Saal anzubrüllen. Da wird aus einem schnöden "Guten Abend" von Jochen Schropp ein langgezogenes "Guuuuuuten Aaaaaabend!!!" mit so vielen Ausrufezeichen, wie es das Lungenvolumen hergibt.
Das Publikum reagiert entsprechend hysterisch. "
Das hat zur Folge, dass die Hälfte der Zuschauer von "United Voices" taub sein dürfte, bis endlich einer der Künstler singt. In Runde eins schmettern "The Boss Hoss" einen ihrer Hits zusammen mit den beiden Gewinnerinnen der letzten Staffel von "The Voice Kids", ihre Fans wedeln dazu mit den Armen. Angelo Kelly kontert mit "Angel", bereits nach wenigen Sekunden singt sein Block mehr oder weniger den gesamten Text mit. Doch in dieser Runde zählt nur, von wem mehr Fans im Studio erschienen sind.
Es ist wenig überraschend Angelo Kelly, der seit seiner Kindheit ein Popstar ist und in der Hochphase der Hysterie um die "Kelly Family" auch die Schattenseiten von zu viel Heldenverehrung kennenlernen musste. Dieses Spiel wiederholt sich noch zweimal. "The Boss Hoss" singen ihre Single "Don’t Gimme That", ihre Fans wedeln mit den Armen, schnippen, werfen die Hände in die Luft. Die Kelly-Anhänger klatschen derweil solidarisch zielsicher am Takt vorbei. In Runde drei wird mit Tüchern gewedelt, die Arme gehoben und Händchen gehalten.
Eine zweistündige Fan-Veranstaltung
Das erinnert in seiner Art und Weise an eine Art Miniaturversion der Eröffnungsfeiern der Olympischen Spiele. Nur an wen sich "United Voices" richten soll, ist auch nach der zweiten Folge nicht klar. An die Fans von "The Boss Hoss" und Angelo Kelly? Das dürfte die bisher magere Quote erklären. Für den Rest des Publikums ist die Show eine zweistündige Fan-Veranstaltung mit viel Geschrei, Hysterie und einem steten Fluss an Künstler-Floskeln: "Ihr seid wunderbar." "Ihr müsst mit auf Tour kommen." "Ihr seid die geilsten Fans der Welt!" Für eine packende Unterhaltungsshow reicht das nicht. Dafür ist das alles viel zu zäh und unspektakulär.
Den Fans ist das egal. Sie genießen das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Nähe zu ihrem Star. Am Ende stürzt sich Gewinner Angelo Kelly in die Menge seiner Anhänger, sie stürmen auf ihn zu, bis er ganz zwischen den grünen T-Shirts verschwindet. Er ist eben ein Profi, er weiß was er seinen Fans schuldig ist.
Die sind dankbar für den Star zum Anfassen und werden in Zukunft weiterhin ihr Geld für ihn ausgeben. Und so sind am Ende doch wieder alle glücklich. Zumindest wenn sie Fans von Angelo Kelly oder The Boss Hoss sind.
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