Aktienbesitzer brauchen nach den vergangenen Wochen starke Nerven. Drohen nun am Aktienmarkt Verwerfungen wie nach der Lehman-Pleite? Welche Branchen sind besonders betroffen? Und was tun die Notenbanken?

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Wer sein Geld in Aktien investiert hat, sitzt aktuell auf glühenden Kohlen: Verkaufen oder nicht?

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Situation an den Finanzmärkten:

Ist die Corona-Talfahrt an den Börsen gestoppt?

Tatsächlich konnte der DAX nach einer turbulenten Woche vergangenen Freitag erstmals wieder einen Anstieg verzeichnen. Mit einem Tagesplus von 3,7 Prozent und einem Stand von 8929 Punkten verabschiedete sich der deutsche Leitindex ins Wochenende. Zu Wochenbeginn hatte er noch bei 8742 Punkten gelegen. Doch in der nächsten Woche stehen diverse Stimmungsindikatoren auf dem Programm, die erneut zu heftigen Ausschlägen führen könnten.

  • Der ZEW-Konjunkturindex für März fiel am Dienstag ernüchternd aus. Zuletzt war er auf den niedrigsten Stand seit Dezember 2011 gefallen, als die Eurokrise zu Unsicherheit geführt hatte.
  • Die Corona-Fälle in den USA dürften in der kommenden Woche abermals steigen. Mittlerweile haben sich offiziell mehr als 20.000 Menschen mit dem Virus infiziert, doch die Dunkelziffer liegt wohl höher. Nur schleppend laufen flächendeckende Tests an, die die Zahl der bekannten Fälle immer wieder sprunghaft haben ansteigen lassen. Weil Schätzungen, wie weit das Virus in den USA tatsächlich verbreitet ist, täglich korrigiert werden müssen, droht weitere Unsicherheit an der Börse.
  • Einen Ausblick darauf, wie groß der wirtschaftliche Einfluss von Corona in den nächsten Jahren sein dürfte, geben am Donnerstag die Zahlen der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA. In den letzten Wochen fand ein regelrechter Ansturm auf die Arbeitsämter statt. Die Zahl der Erstanträge dürfte bald schon den Rekordwert der Finanzkrise übertreffen.
  • Die Coronakrise ist mitten in der Berichtsaison börsennotierter Unternehmen eskaliert – auch in der kommenden Woche stehen deshalb Jahreszahlen an. Unter anderem stellen das Energieunternehmen Innogy, die VW-Tochter Traton, der Energieversorger EON, das Telekomunternehmen Drillisch und der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen ihre Jahresergebnisse vor. Zahlreiche Unternehmen hatten ihre Prognosen zuletzt zusammengestrichen.

Wie schlimm ist der Absturz wirklich?

Den "Schwarzen Montag“ (1987) und den "Schwarzen Donnerstag“ (1929) gab es bereits. Mit Corona kam nun auch die "Schwarze Woche“ dazu.

Dabei war für den ersten Kursrutsch gar nicht die Coronakrise allein verantwortlich. Denn in die ohnehin nervösen Märkte platzte am vorvergangenen Montag die Nachricht, dass Saudi Arabien und Russland einen Ölkrieg angezettelt haben.

Beide Länder wollen ab 1. April ihre Förderquoten erhöhen, während die Nachfrage durch die Coronakrise abnimmt. Der Ölpreis brach daraufhin um 30 Prozent ein und riss die Aktienmärkte mit in die Tiefe.

Am Donnerstag folgte die nächste Hiobsbotschaft – diesmal aus Washington. Mit einem Einreisestopp für Europäer eskalierte US-Präsident Donald Trump die Lage. Ein Maßnahmenkatalog der EZB, der eine Ausweitung der Anleihekäufe und Liquiditätsspritzen für Banken vorsah, verpuffte angesichts dieser Nachricht ergebnislos. Am Ende steht nun ein Börsencrash von historischem Ausmaß.

Innerhalb weniger Wochen ging es 40 Prozent runter, von 13.700 Punkten (19. Februar) auf 8.400 Zähler (18. März).

Tatsächlich sind solche Bewegungen kein singuläres Ereignis. Schon in der Vergangenheit hatte es an der Börse ähnliche Kurseinbrüche gegeben. Der Kollaps erinnert am ehesten an die dramatischen Verluste nach der Pleite der Investmentbank Lehman-Brothers inmitten der Finanzkrise 2008.

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Auch damals hatten sich vor der Krise die Börsen einem Höchststand genährt, um kurz darauf krachend zusammenzubrechen. Es dauerte bis 2014, bis sich die Märkte von der Krise vollumfänglich erholten.

Ähnlich erschütterte die Ölkrise 1973 die Märkte. Weil die arabischen Ölstaaten ihre Rohölforderungen drosselten und die Preise in die Höhe schossen, kannten die Aktienmärkte ein gutes Jahr lang nur eine Richtung: Nach unten. Innerhalb eines Jahres gaben die Indizes rund 50 Prozent ab und erholten sich erst sechs Jahre später.

Noch gar nicht so lange her ist das Platzen der "Dotcom“-Blase. Zu Zeiten des "Neuen Marktes“ rund um die Jahrtausendwende gründeten findige Unternehmer eine Internetfirma nach der nächsten, in vielen Fällen standen hinter den hohen Bewertungen nur Luftschlösser.

Kurse und Realwerte waren so voneinander entkoppelt, dass die Märkte im Herbst 2000 nach unten rauschten – die Anschläge auf das World Trade Center im September 2001 taten ihr übriges. Im Frühjahr 2003, also rund drei Jahre nach dem Ausbruch der Krise, erreichten die Märkte ihren Tiefstand von minus 50 Prozent.

Welche Branchen sind besonders stark betroffen?

Die Fluggesellschaften dürfte die Coronakrise bis zu 113 Milliarden Dollar kosten, schätzt der Luftfahrtverband IATA. Damit gehören die Airlines zu den Branchen, die das Virus am empfindlichsten trifft. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger fliegen aus Angst oder wegen diverser Reisebeschränkungen nicht mehr, Messen wurden abgesagt und Geschäftsleute nutzen Skype statt Konferenzräume.

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Kaum eine Branche ist so auf offene Grenzen angewiesen wie die Luftfahrt. Da es damit zeitweise vorbei ist, haben viele Airlines große Teile ihrer Flotten am Boden gelassen, darunter Lufthansa, Ryanair oder Emirates. Am Ende, so die vorsichtige Schätzung, dürfte das Coronavirus ein Loch von 19 Prozent des Jahresumsatzes in die Bilanzen der Fluggesellschaften reißen – zumindest bei denen, die die Krise überleben.

Für den Tourismus ist 2020 ein verlorenes Jahr – und damit für die Gastronomie, Hotellerie oder Reisebüros. Zu normalen Zeiten beträgt das Volumen der Branche rund 6,6 Billionen Euro, der Tourismus trägt rund zehn Prozent zur weltweiten Wirtschaftsleistung bei.

Nun sind Sehenswürdigkeiten wie der Petersdom in Rom oder der Louvre in Paris geschlossen, viele Fluggesellschaften steuern beliebte Reiseziele gar nicht mehr oder höchstens für Rückholflüge an. Branchenriesen wie TUI oder AIDA haben deshalb einen Großteil ihrer Geschäfte ausgesetzt.

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Dass Corona seinen Ursprung in China hat, trifft die Branche zusätzlich. Denn China liegt in Deutschland zwar nur auf Platz 12 der Übernachtungen, doch die chinesischen Gäste sind hier besonders spendierfreudig. Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DTZ) schätzt, dass Chinesen in diesem Jahr bis zu 25 Prozent weniger Übernachtungen in Deutschland buchen.

Auch für die Autobauer ist die Coronakrise dramatisch. China ist längst der größte Absatzmarkt für Daimler oder VW. 29 Prozent aller Neuwagen werden dort verkauft.

Im Februar brach der Absatz in China um 92 Prozent ein. Heftig dürfte es aber auch in Westeuropa werden. Laut einer Studie des "Institute for Customer Insight an der Universität St. Gallen" könnte der Absatz 2020 um elf Prozent auf 12,7 Millionen Autos zurückgehen.

Fraglich ist zudem, wann die Produktion überhaupt wieder anläuft. So setzt VW derzeit die Fertigung in Werken in Deutschland und Spanien aus, auch bei der Opel-Mutter PSA oder bei Renault stehen die Fließbänder zeitweise still. Einzig BMW produziert derzeit normal weiter – fragt sich nur, für wen.

Wie tief kann der DAX noch sinken?

Mathematisch ist diese Frage leicht zu beantworten: Auf den Wert null. Doch arithmetische Betrachtungen helfen hier nur bedingt weiter. Als sogenannter Performance-Index bildet der DAX auch die Gewinnausschüttungen (Dividenden) der Unternehmen in seiner Kursentwicklung ab.

Diese bilden nach Einschätzungen vieler Experten bei einem massiven Crash ein Polster. Zudem sind auch die Buchwerte der Unternehmen im DAX eingepreist. Die Vergangenheit zeigt, dass selbst zahlungsunfähige Unternehmen (etwa die Restaurantkette Vapiano) den theoretischen Minimalwert nicht erreichen.

Technisch gibt es für den Aktienhandel in Deutschland auf dem Computersystem Xetra ohnehin eine Kurs-Untergrenze von 0,001 Euro. Dass die Börse diesen Wert jemals erreicht, ist aber unwahrscheinlich.

Anders sieht es bei Zertifikaten aus. Während Aktien keine negativen Kurse annehmen können, steht vielen windigen Finanzprodukten kein anfassbarer Gegenwert gegenüber. Bei diesen Finanzprodukten kann es mitunter Nachschusspflichten geben. Bei der Aktie verlieren Besitzer aber maximal ihr eingesetztes Kapital.

Nun kann aktuell niemand abschätzen, ob die Märkte in den nächsten Wochen weiter nach unten rauschen werden. Doch kaum ein Experte glaubt, dass die Börse dauerhaft auf Tiefständen wie diesem verweilt. Dafür spricht, dass der DAX zeitweise unter das Niveau seines Buchwertes gefallen ist und damit nicht einmal mehr seinen wahren Wert widergespiegelt hat.

Dass der DAX langfristig steigt, ist zwar kein Naturgesetz, aber historisch belegbar. Legt man etwa die Entwicklung des Deutschen Aktienindex DAX von 1965 bis Ende 2014 zugrunde, so verschwand das Risiko von Verlusten am Aktienmarkt ab einer Anlagedauer von 13 Jahren vollständig. Wer etwa kurz vor der Finanzkrise 2008 sein Geld angelegt hatte, musste nur fünf Jahre warten, bis die Vorzeichen von minus auf plus wechselten.

Wer also Geld für die langfristige Anlage zur Verfügung hat, sollte nun am besten nichts unternehmen. Eine Art Quarantäne fürs Wertpapierdepot ist für langfristige Anleger das Gebot der Stunde.

Sollte ich meine Aktien jetzt verkaufen?

"Kaufen Sie billig, verkaufen Sie nie!“, lautet eine der bekanntesten Weisheiten von Börsenguru Warren Buffett, einem der erfolgreichsten Spekulanten der Welt. Besonders in Krisenzeiten ist Buffetts Satz Gold wert – denn sowohl Gewinne als auch Verluste werden stets nur dann realisiert, wenn man auf "Verkaufen“ klickt.

Gutes Anlegen bedeutet, bei Höchstständen zu verkaufen und nachzukaufen, wenn Aktien gerade billig sind. Da niemand abschätzen kann, ob die Märkte in den kommenden Wochen weiter nach unten rauschen, ist Nachkaufen nur etwas für starke Nerven. Aktuell zu verkaufen, wenn das Depot breit gestreut ist, ist bei historisch niedrigen Ständen aber sicherlich keine gute Idee.

Welche Maßnahmen ergreifen die Notenbanken?

Dass die Talfahrt der Börsen in der vergangenen Woche teilweise gestoppt werden konnte, ist unter anderem auf das Verhalten der Notenbanken zurückzuführen. In der Nacht auf Donnerstag kündigte die Europäische Zentralbank (EZB) ein Notkaufprogramm für Anleihen in Höhe von 750 Millionen Euro an.

"Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“, hatte EZB-Chefin Christine Lagarde nach einer Notsitzung der EZB getwittert. Ziel der Aktion ist es, die Zinsen zu senken, zu denen sich Staaten und Unternehmen verschulden können und damit die Konjunkturfolgen des Coronavirus teilweise abzufedern.

Damit begibt sich Lagarde in die Tradition ihres Vorgängers Mario Draghi und seiner berühmten "Whatever it takes“-Rede. Der Italiener hatte im Sommer 2012 – kurz nach seinem Amtsantritt – ähnlich beherzt in die Euro-Schuldenkrise eingegriffen und versprochen, dass die EZB alles tue, um den Euro zu verteidigen.

Auch die US-Notenbank FED greift zu drastischen Mitteln. "Wir sind darauf vorbereitet, unsere gesamte Bandbreite an Instrumenten einzusetzen", sagte FED-Chef Jerome Powell am vergangenen Sonntag.

Ein Maßnahmenpaket sieht unter anderem vor, den Leitzins um einen Prozentpunkt auf fast null Prozent zu drücken – Analysten hatten im besten Fall mit einer Senkung um 0,5 Prozentpunkte gerechnet. Zudem will die FED die Wirtschaft mit einem 700 Milliarden schweren Anleihekaufprogramm stützen und Banken vorübergehend Notfallkredite gewähren. Die Notenbanken setzten also auf Instrumente, wie sie schon nach der großen Finanzkrise 2008 eingesetzt worden waren.

Verwendete Quellen:

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