Das Rentensystem Deutschlands ist marode. Eines der am häufigsten diskutierten Mittel, um einen Kollaps abzuwenden, ist eine Erhöhung des Rentenalters. Wir haben unsere Leserinnen und Leser gefragt, was sie von der Debatte halten.

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10.591,70 Euro. So viel bekommen Bundestagsabgeordnete aktuell monatlich als Diät. Und für jedes Jahr, das sie im Parlament sitzen, stehen ihnen 2,5 Prozent ihres monatlichen Gehalts als sogenannte Altersentschädigung zu. Anders gesagt: Nach einer Legislaturperiode kommen Abgeordnete aktuell auf Bruttorentenansprüche von 1.059,17 Euro. Nach acht Jahren im Bundestag sind es 2.118,34 Euro.

Ob diese Rente gerechtfertigt ist? Darüber kann man streiten. Schließlich haben Parlamentarier einen stressigen Job mit viel Verantwortung, bei dem eine 40-Stunden-Woche eher die Ausnahme als die Regel ist. Aber fest steht: Als normaler Arbeitnehmer muss man für solche Bezüge deutlich länger arbeiten.

Und künftig vielleicht sogar noch länger als bisher. Denn während die Rentenansprüche der Abgeordneten gesichert sind, steht die gesetzliche Rente auf wackeligen Beinen – und deswegen auch immer wieder eine Erhöhung des Rentenalters im Raum.

Doch trotz der Diskrepanzen bei der Altersvorsorge kommen diejenigen, die von der Krise im Rentensystem direkt betroffen sind, in der Diskussion darüber, wie man damit umgehen sollte, kaum zu Wort: die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Unsere Redaktion wollte deshalb wissen, was die Deutschen tatsächlich von der Rentendebatte halten. Welches ist aus Ihrer Sicht das beste Renteneintrittsalter? Welches Alter, finden Sie, sollte der Gesetzgeber festlegen? Und wann würden Sie selbst gerne in Ruhestand gehen oder sind Sie in den Ruhestand gegangen?

Rund 200 Leserzuschriften haben uns zu diesen Fragen erreicht. Wir haben die Meinungen unserer Leserinnen und Leser aufbereitet und möchten ihre zentralen Argumente vorstellen. Wichtig: Es handelt sich dabei nicht um eine repräsentative Darstellung. Stattdessen wollen wir einfach ein Stimmungsbild wiedergeben.

Keine Altersgrenze, sondern eine feste Zahl an Arbeitsjahren

Besonders kritisch sehen unsere Leserinnen und Leser die noch immer starre Kopplung des Renteneintritts an eine Altersgrenze. Stattdessen plädieren sie für einen Ruhestand ohne Abschläge nach einer festen Anzahl von Arbeitsjahren. "Weshalb ein Rentenalter festlegen?", fragt etwa Leserin Isabel (53). "Zunächst sollte gelten, wer 40 oder 45 Jahre gearbeitet hat, kann abschlagsfrei in Rente, egal wie alt man ist."

Ganz ähnlich äußert sich Leserin Anett (57). Sie ist 1966 geboren und seit ihrem 16 Lebensjahr berufstätig. Geradezu als ungerecht empfindet sie es, dass sie erst mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen könnte und dann "schon fast 50 Jahre gearbeitet" habe.

Schließlich würden andere Arbeitnehmer erst später ins Arbeitsleben einsteigen und könnten dann mit 67 in den Ruhestand gehen, obwohl sie keine 45 Arbeitsjahre erreichen würden. Deswegen findet Anett: "Es muss dringend ein Gesetz her: Renteneintritt ohne Abschlag für alle, die 45 Jahre ihres Lebens gearbeitet haben!"

Arbeitsjahre sind nicht gleich Arbeitsjahre

Zu bedenken geben zahlreiche Leserinnen und Leser auch, dass eine fortschreitende Erhöhung des Rentenalters für viele Berufe einfach nicht praktikabel ist. Daniela (49) führt etwa ihren Mann als Beispiel an. Dieser arbeite "körperlich schwer auf dem Bau" und habe mit seiner Lehrzeit "insgesamt 37 Arbeitsjahre hinter sich". Doch inzwischen mache sich die Arbeit durch "kaputte Knie und kaputte Schulter" bereits "gewaltig bemerkbar". "Wie soll er da noch weitere 13 Jahre schaffen?"

Leser Christoph (47) findet die Rente mit 65 zwar grundsätzlich in Ordnung, aber auch er findet, dass der Beruf bei der Berechnung des Rentenalters mit einbezogen werden sollte. Als Lokführer mit Schichtdiensten sei auch für ihn die Aussicht auf eine Rente mit 67 oder 70 Jahren "nicht einfach". Für ihn sei ist es auch nicht einfach möglich, in einen Job zu wechseln, bei dem das höhere Rentenalter realistischer durchzuhalten sei.

Seine Idee: "Warum nicht zum Beispiel einen Jobtausch anbieten." Als Lokführer mit langjähriger Erfahrung könnte er etwa als Ausbilder weiter eingesetzt werden, während ein jüngerer Kollege künftig an seiner Stelle Züge durch Deutschland steuert.

Karin (41) bringt die Gedankengänge diesbezüglich auf den Punkt. "Die Frage des Rentenalters ist eine unsinnige Diskussion, denn es wird vorausgesetzt, dass jede Berufsgruppe die gleichen körperlichen wie auch geistigen Leistungen beinhaltet." In der Praxis könne es "nur dann ein gerechtes Rentenalter geben, wenn dieses für jede Berufsgruppe einzeln festgelegt wird".

Eine Rentenkasse für alle

Zwei Berufsgruppen stoßen unseren Leserinnen und Lesern unabhängig von der Diskussion um eine Erhöhung des Rentenalters sauer auf: Selbstständige und Beamte. Denn diese zahlen grundsätzlich nicht in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Das wird in der Debatte immer wieder kritisiert, auch wenn es gute Gründe dafür gibt. Doch ein großer Teil unserer Leserinnen und Leser empfindet die bisherige Regelung als ungerecht.

Beate (61) Jahre plädiert etwa "ganz entschieden dafür, dass Selbstständige und vor allem auch Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen müssen – genau wie jeder andere". Warum es für diese Gruppen eine, wie sie schreibt, "Sonderbehandlung", gebe, sei ihr unklar. Auch Manfred (68) findet die Praxis "unverständlich".

Leser Roland (kein Alter angegeben) glaubt, dass wenn auch Beamte in die Rentenkasse zahlen würden, "hätten wir jede Menge Geld in der Kasse und müssten gar nicht so viel über das Thema reden". Ein Gegenargument dazu führt Peter (37) an. Von einer "Zwangsverpflichtung" für alle, in die Rentenkasse einzuzahlen, hält er nichts. Schließlich würden die zusätzlichen Einzahler irgendwann auch wieder aus dem Rententopf ihre Altersvorsorge erhalten – quasi ein Nullsummenspiel auf lange Sicht.

Wer älter wird, bleibt nicht automatisch länger gesund – oder?

Gegen eine weitere Idee ist Peter ganz entschieden: nämlich, das Rentenalter an die durchschnittliche Lebenserwartung zu koppeln. Dafür hatten sich in der Vergangenheit immer wieder Experten ausgesprochen, etwa die Wirtschaftsweise Monika Schnitzler. Peter führt an, dass "man zwar durchschnittlich älter wird", das aber nicht bedeute, "dass man auch durchschnittlich länger gesund bleibt". Die steigende Lebenserwartung sei nicht gleichbedeutend mit einer guten Lebensqualität. Stattdessen seien viele "im Leben einfach länger krank".

Viele unserer Leserinnen und Leser sehen das ganz ähnlich. Jutta (Alter nicht genannt) beobachtet etwa, "dass sehr viele Menschen um die Zeit des Renteneintrittsalters versterben. Sie kommen weder in den Genuss der angesparten Rente noch der Freizeit." In ihrem persönlichen Umfeld gebe es "krasse Fälle, wo Menschen überzeugt waren, noch durchhalten zu müssen, weil die Abzüge sonst zu groß sind und dann an Krebs sterben". Deswegen findet sie, dass die Rente mit 58 Jahren möglich sein solle. Wer erkrankt, sollte sogar früher aussteigen können.

Rentenexperte Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin sieht die Idee hingegen nicht so negativ. In einem Interview mit unserer Redaktion führt er an, dass in der Vergangenheit "die Menschen eher gesünder geworden" sind und sich die Rentenbezugsdauer erhöht hat. Geyer zufolge heißt das, dass die Betroffenen "mehr aus der freien Zeit" in der Rente machen konnten. Allerdings räumt er auch ein, dass das nicht so bleiben müsse. Prognosen, wie sich die durchschnittliche Gesundheit im Alter künftig entwickelt, seien schwer.

Rente mit 63: Im Diskurs zu präsent, für die meisten völlig irrelevant

Scharfe Kritik formulieren unsere Leserinnen und Leser zudem an der "Rente mit 63". Von vielen wird diese als Mogelpackung empfunden. Georg (63) bemängelt etwa, dass über das Modell ständig gesprochen werde, es aber nur für "ganz wenige Jahrgänge" gelte.

Auch Leser Josef (Alter nicht angegeben) kritisiert die Rente mit 63 als "von den meisten Menschen falsch verstandene Floskel". In seiner Arbeit als Rentenberater falle ihm immer wieder auf, dass die Leute das Modell für bare Münze nähmen. "In meinen vielen Beratungsgesprächen muss ich den Leuten deren falsche Ansicht ausräumen, dass sie mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen können."

Grundsätzlich spricht sich Josef für ein Ende von konkreten Rentenaltern aus. Eine Idee, die auch die FDP in der Vergangenheit goutierte. Der Umstand, dass Deutschland "in ein demografisches Desaster" laufe, weil die "geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, ist seit vielen Jahren bekannt", argumentiert Josef.

Die Politik habe darauf viel zu lange unentschlossen reagiert, findet er. Dafür könne man aber "nicht die Bürger haftbar machen und sie länger als von ihnen gewünscht arbeiten lassen." Jeder solle selbst entscheiden, wann er in Rente geht, und vorab rechtzeitig und unabhängig aufgeklärt werden, was das für ihn für Folgen habe.

"Die Wirtschaft braucht gut ausgebildete und motivierte junge Menschen. Nicht über 60-Jährige, die möglicherweise unmotiviert zur Arbeit gehen, nur weil der Gesetzgeber ihnen eine vorzeitige Rente nicht gewährt."

Verwendete Quellen:

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