Die deutsche Automobilindustrie steckt in der Krise. Vor allem beim Thema Elektromobilität drängt die Zeit, wenn sich die Autobauer nicht von der internationalen Konkurrenz völlig abhängen lassen wollen. Und der nächste Trend formt sich auch schon aus.
Das angebliche Rückgrat der deutschen Wirtschaft schwächelt: Im dritten Quartal 2018 ist das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Vorquartal um 0,2 Prozent geschrumpft – einer der Gründe ist die Flaute in der Autoindustrie.
Experten geizen nicht mit Warnungen: Deutschland habe kein Konjunkturproblem, sondern ein Automobilproblem, sagt der DekaBank-Ökonom Andreas Scheuerle. Die Autobranche befinde sich in einer "existenziellen Krise", schreibt auch Daniel Stelter, Kolumnist der "Wirtschaftswoche".
Neues Testverfahren bremst Produktion
Grund für die aktuelle Delle ist das WLTP: ein neues Verfahren für Abgastests, das die EU seit September vergangenen Jahres vorschreibt. Da die Hersteller zahlreiche Konstruktionen neu zulassen müssen, mussten sie die Produktion drosseln. VW etwa hat im Oktober zehn Prozent weniger Autos ausgeliefert als im Vorjahreszeitraum.
"Das ist ein Sondereffekt, den ich nicht überbewerten würde", sagt Ferdinand Dudenhöffer, Experte für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen, im Gespräch mit unserer Redaktion. Schon im kommenden Jahr werde das Problem weitgehend abgearbeitet sein.
Dass es derzeit zu Buche schlägt, ist eine indirekte Folge der Affäre um manipulierte Abgaswerte: Entwicklungsabteilungen vor allem von VW und Daimler hätten ihre Kapazitäten zunächst in "zigtausende Software-Updates" stecken müssen, sagt Dudenhöffer. Dabei sei die WLTP-Einführung liegengeblieben.
Die direkten finanziellen Folgen von "Dieselgate" halten sich nach Einschätzung des Ökonomen zwar in Grenzen: Die Summe von 27 Milliarden Euro, die VW für die Abgasaffäre zahlen musste, habe der Konzern "einfach so weggesteckt".
Trotzdem sagt Dudenhöffer: "Mit der Affäre hat sich die deutsche Autoindustrie selbst ins Abseits geschossen."
Rest der Welt setzt auf Elektroautos
Die Abgas-Diskussion habe nämlich die Entwicklung zur Elektromobilität stark beschleunigt. "Die Branche befindet sich in diesem Bereich gerade in einem großen Transformationsprozess." Die Umstellung auf elektronische Antriebe hat weitreichende Folgen: Sie verlangt von den Unternehmen hohe Investitionen und macht neue Zulieferer nötig.
In Deutschland sind bisher nur rund 100.000 Elektroautos auf den Straßen unterwegs. Die Kunden hierzulande gelten trotz einer staatlichen Kaufprämie als skeptisch, außerdem verläuft der Ausbau der Ladesäulen schleppend.
Im Rest der Welt sieht es anders aus: Norwegen, die Niederlande und Frankreich haben sich zum Ziel gesetzt, dass dort zwischen 2025 und 2040 keine neuen Diesel- oder Benzinautos mehr zugelassen werden dürfen.
Indien will 2032 auf Elektromobilität umstellen. Und in China dürften in diesem Jahr erstmals mehr als eine Million elektrisch angetriebene Fahrzeuge zugelassen werden. Dort sind vor allem einheimische Hersteller wie etwa BYD oder Geely auf dem Vormarsch.
Auch das Argument, ein Elektroauto sei deutlich teurer als eines mit herkömmlichem Antrieb, verliert an Relevanz. Der ADAC zum Beispiel ist der Meinung, dass ein E-Auto zwar in der Anschaffung häufig teurer sei. Auf Dauer könne der Betrieb aber günstiger sein – etwa wegen geringerer Wartungskosten.
Weniger eigene Autos, mehr autonomes Fahren?
Hinzu kommen weitere Herausforderungen: Tony Seba, Dozent an der US-Universität Stanford, glaubt, dass 95 Prozent aller Autofahrer im Jahr 2030 gar nicht mehr im eigenen Fahrzeug unterwegs sein werden: Das Auto verliert zunehmend seine Stellung als Statussymbol, zudem wird gerade in großen Städten Carsharing immer beliebter.
Auch selbstfahrende Autos gelten als Thema der Zukunft: Die Konkurrenz kommt dort vor allem aus dem Silicon Valley, die Google-Tochter Waymo gilt als führend.
Ferdinand Dudenhöffer bezeichnet das autonome Fahren als "die nächste große Welle" nach der Elektromobilität. Wegen der gesetzlichen Regeln und der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz werde es aber noch rund 15 Jahre dauern, bis das Thema in Europa relevant werde.
Tesla könnte aufschließen
Deutsche Hersteller reagieren durchaus auf diese Trends: VW hat angekündigt, 44 Milliarden Euro in autonomes Fahren und Elektromobilität zu investieren. Porsche bringt mit dem Taycan ein E-Modell auf den Markt, das mit voller Batterie eine Reichweite von 500 Kilometern haben soll.
Bei der E-Mobilität gilt der Nachholbedarf der deutschen Industrie trotzdem als groß. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sparte jüngst bei einem Treffen der Autoindustrie nicht mit Kritik: Die deutschen Modelle seien nicht so "sexy" wie der amerikanische Konkurrent Tesla, sagte er zu den Chefs von VW, Daimler und BMW. "Was die Attraktivität Ihrer E-Autos betrifft, könnten Sie tatsächlich noch einige frische Ideen einbringen."
Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer sieht die Sache etwas differenzierter. "Tesla wird ein großer Wettbewerber", ist er überzeugt. "Im Premiumsegment wird Tesla bald mit BMW und Daimler gleichziehen."
Was den Rest der Branche angeht, seien die deutschen Hersteller aber nicht viel schlechter aufgestellt als die ausländische Konkurrenz. Renault und Nissan haben nach seiner Einschätzung nach Fortschritte bei der E-Mobilität gemacht, Toyota dagegen hinke eher hinterher.
"Wenn man es mit einem Radrennen vergleicht, könnte man sagen: Das Feld der Hersteller ist noch im Pulk unterwegs."
Verwendete Quelle:
- Gespräch mit Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer, Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen
- ADAC.de: Kostenvergleich – Elektroautos oft überraschend günstig
- FAZ.net: Made in Germany unter den Rädern
- Handelsblatt.com: VW liefert erneut weniger Autos in Europa aus
- Handelsblatt.com: China – Weltmacht bei Elektroautos
- NBC News: Why 95 Percent Of Your Driving Won't Be In Your Own Car By 2030
- Sueddeutsche.de: Deutsche Wirtschaft schrumpft erstmals seit mehr als drei Jahren
- Spiegel Online: Altmaier rüffelt deutsche Autobosse
- Wiwo.de: Stelter strategisch – Die brutale Revolution in Auto- und Energiebranche
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