Mit der Baywa AG steckt eines der zehn größten Unternehmen in Bayern in einer tiefen Krise. Über sechs Milliarden Euro Schulden soll der Konzern angehäuft haben. Wie konnte die Baywa so tief abrutschen? Und was bedeutet das nun für Angestellte und Bauern?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Sven Weiss sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Von einer "angespannten Finanzierungslage" sprach die Baywa AG in einer Ad-hoc-Meldung am 12. Juli. Hinter dem Euphemismus stecken satte 6 Milliarden Euro Schulden - weshalb das Unternehmen ein Sanierungsgutachten in Auftrag gegeben hatte. Eine Nachricht, die die Aktie des Konzerns um mehr als 40 Prozent in den Keller fallen ließ.

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Erst vor einem Jahr hatte die Baywa AG ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert. Bei der großen Gala in der Münchner Isarphilharmonie sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU): "Ganz Bayern ist stolz auf die BayWa." Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bezeichnete die BayWa gar als "zweitwichtigste Institution auf dem Land neben der katholischen Kirche."

Das lässt erahnen, welche Rolle die Baywa in Bayern – aber auch weit darüber hinaus – spielt. Denn längst ist das Agrarunternehmen, das einst als "Bayerische Warenvermittlung landwirtschaftlicher Genossenschaften AG" begann, zu einem Global Player gewachsen. Der neben dem Vertrieb von landwirtschaftlichen Produkten und Maschinen in Geschäftsfeldern wie Bau und Energie tätig ist.

Schlicht verzettelt: Expertin sieht grobe Managementfehler bei der Baywa

Diese Expansionspolitik könnte dem Unternehmen jetzt zum Verhängnis werden. So sieht es Lucia Heigl von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). "Es handelt sich um grobe Managementfehler", sagt Heigl im Gespräch mit unserer Redaktion.

Mit 23.000 Mitarbeitern und zuletzt einem Jahresumsatz von 24 Milliarden Euro gehört die Baywa zu den zehn größten Unternehmen in Bayern und zu den wichtigsten Konzernen in ganz Deutschland. In den vergangenen Jahrzehnten entwickelte sich die einstige regionale Agrargenossenschaft hin zu einem Weltkonzern. Und der agiere wie alle anderen und ziele auf Gewinn, sagt Heigl.

Tochtergesellschaften in halb Europa, strategische Allianzen in Asien, Apfelplantagen in Neuseeland – man habe sich schlicht verzettelt, so das Fazit von Lucia Heigl. Wobei die niedrigen Zinsen diese Politik noch gefördert hätten. "Der Zins war praktisch bei null, und mit dem billigen Geld hat man gezockt."

Visionär ohne Gegenstimmen: Welche Rolle spielte Baywa-Vorsitzender Klaus Josef Lutz?

Heigl sieht einen Großteil der Schuld beim langjährigen Vorstandsvorsitzenden Klaus Josef Lutz. Der sei ein Visionär gewesen. Aber "das Problem war, dass er relativ unkontrolliert seine Visionen verfolgt hat – auf Kosten der Stabilität."

Lutz sieht das naturgemäß anders. In einem Interview in der "Süddeutschen Zeitung" vermutet er, dass es die Baywa ohne die Expansionen nicht mehr geben würde. "Wir haben ja bewusst expandiert, in Abstimmung mit Vorstand und Gremien. In Deutschland war kein Wachstum mehr möglich", so Lutz. "Der Aufsichtsrat hat die Entscheidungen abgesegnet."

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Genau dies kritisiert Lucia Heigl. Sie habe die Protokolle des Aufsichtsrates eingesehen und sich gewundert, dass alle Entscheidungen einstimmig getroffen wurden. Es gab keine Gegenstimmen, keine Nachfragen. "Da stellt sich die Frage: Wo ist die Kontrollfunktion?"

Mitte August dann ein erstes Aufatmen: Gläubigerbanken und Eigentümer hatten sich darauf geeinigt, den Konzern mit mehr als einer halben Milliarde Euro zu stützen. Das berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Doch wie es weitergeht, bleibt offen. Denn das Sanierungsgutachten soll erst am 15. September auf dem Tisch liegen.

Gesundschrumpfen auf Kosten der Bauern? Das sind mögliche Wege aus der Krise

"Sie müssen sich wohl gesundschrumpfen", sagt Heigl. Das könne auch Standortschließungen mit sich bringen. Oder die Möglichkeit, ganze Unternehmenssparten abzustoßen. Vor allem denkt Heigl an das unprofitable Geschäft im Bereich erneuerbare Energien. Dabei hatte die Baywa vor allem unter der Billigkonkurrenz aus China zu leiden. Doch bisher konnte ein geplanter Verkauf des Solargeschäftes – der einen Teil der Schulden tilgen soll – nicht realisiert werden.

Die Baywa wird sich, so Heigl, wohl wieder mehr auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: "Sie müssen wieder kleinere Brötchen backen." Mehr Bayern, weniger Neuseeland also? Diese Strategie könnte auch viele Stellen kosten.

Eine Zerschlagung des Konzerns erachten Experten als unwahrscheinlich. Zu wichtig ist die Rolle des Unternehmens. Lucia Heigl will nichts ausschließen, sagt jedoch auch: "Im Süden und in den östlichen Bundesländern ist die Baywa systemrelevant."

Gefährliche Spirale: Unsicherheit bei Bauern nimmt zu

Derweil breitet sich die Unsicherheit auch auf die Bauern aus. Viele suchen bereits nach alternativen Abnehmern für ihre Getreideernte. Heigl, die selbst einen Hof nahe der tschechischen Grenze betreibt, hört dies fast täglich im Gespräch mit Kollegen und Baywa-Mitarbeitern.

"Es ist eine gefährliche Spirale. In den Medien lesen viele, die Baywa sei in Gefahr, und fragen sich, wohin sie ihr Getreide liefern sollen." Weil die Logistikkette wegbreche, so Heigl, müssten eventuell die Bauern büßen. Genauso wie die Mitarbeiter, die ihren Platz verlören.

Trotzdem glaubt Heigl daran, dass der Konzern wieder in die Spur kommen kann. Denn die Strukturen und Mitarbeiter seien ja vorhanden. "Ich bin sehr gespannt, was in dem Sanierungsgutachten steht", so Heigl. "Man muss wohl für alle Möglichkeiten offen sein."

Über die Gesprächspartnerin

  • Lucia Heigl ist stellvertretende Bundesvorsitzende beim Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL)

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