- Am 26. Juni 1981 wird zum letzten Mal ein Todesurteil auf deutschem Boden vollstreckt.
- Der Stasi-Hauptmann Werner Teske wird in der DDR wegen Spionage hingerichtet, das Urteil aber Jahre später als rechtswidrig eingestuft.
- Ein Einblick in Teskes Leben - vom begeisterten Akademiker und Regime-Freund zum unfreiwilligen Geheimdienstler mit Fluchtgedanken.
Eine Henkersmahlzeit hat Werner Teske nicht erhalten. Er durfte sich auch nicht von seiner Frau verabschieden. Und er sah auch seinen Henker nicht kommen. Am Vormittag des 26. Juni 1981 wurde Teske in Leipzig hingerichtet, es war das letzte vollstreckte Todesurteil auf deutschem Boden.
Teske war kein Mörder und auch kein spät enttarnter NS-Verbrecher. Er war Mitglied des Systems, ein Hauptmann in Diensten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Über Jahre hatte er Agenten gelenkt, die im kapitalistischen Westen Informationen sammelten. Doch dann hatte sich Teske des wohl schlimmsten Verbrechens schuldig gemacht, das die DDR-Justiz kannte: Er hatte mit dem Gedanken gespielt, aus der Diktatur zu flüchten.
Werner Teske: Von der Uni zur Stasi
Ein Blick zurück: Werner Teske wird 1942 in Berlin geboren und wächst im Bezirk Lichtenberg auf - zufällig auch Heimat der Stasi-Zentrale. Er ist ein guter Schüler und schafft es als Arbeiterkind an die Humboldt-Universität, wo er mit Begeisterung Finanzökonomie studiert. Für Teske ist klar: Er will eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen, promovieren und es zur Professur schaffen.
Allerdings gehen seine Pläne nicht konform mit dem, was das übermächtige DDR-System für ihn vorgesehen hat. Schon 1967 wird Teske von einem seiner Professoren für die Stasi als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) angeworben. Zwei Jahre später, Teske hat gerade seinen Doktortitel in der Tasche, macht ihm die Stasi ein Jobangebot: Teske soll hauptamtlicher Mitarbeiter in der Hauptverwaltung Aufklärung werden, quasi dem Auslandsgeheimdienst der DDR, und Wissenschaftler und Unternehmer im Westen ausspionieren. Der damals 27-Jährige will aber lieber an der Uni bleiben und lehnt das Angebot ab.
Er bekommt jedoch schnell zu spüren, dass sein Wille im Kräftemessen mit der Stasi wenig gilt. An der Humboldt-Universität wird ihm mitgeteilt, dass man keine weitere Verwendung für ihn hat, auch andere Karrierechancen zerschlagen sich von einem Tag auf den anderen. "Ich habe das so gewertet, dass mir persönlich gar keine andere Wahl blieb", sagt Teske später in einem Verhör. Er wird unfreiwillig Geheimdienstler.
Als solcher macht er sich in den ersten Jahren nicht schlecht, wird mehrfach befördert und darf an Missionen im Westen teilnehmen. 1974 besucht er die Fußballweltmeisterschaft in der BRD, zwei Jahre später die Olympischen Winterspiele in Österreich. Aus dem kapitalistischen Feindesland bringt er seiner Frau Kleider, Parfüm und Schokolade mit.
Obwohl Teske zumindest zu Beginn seiner Zeit im MfS noch überzeugter Kommunist und SED-Mitglied ist, teilt er die Ansicht der DDR-Propaganda, im Westen sei alles schlecht, nicht. "Ich sah dort keine niedergedrückten Menschen, keine Bettler in den Straßen und wer arbeitslos war, dem habe ich es nicht angesehen", sagt Teske, als er später von seinen Stasi-Kameraden verhört wird. Er habe den Eindruck gehabt, dass "die Menschen dort nicht schlecht leben".
Teske spürt "Unlust und Oberflächlichkeit in der Arbeit"
Dass die gedankliche Distanz zum Arbeiter- und Bauernstaat größer wird, hat noch einen zweiten Grund. Glücklich wird Teske in seinem aufgezwungenen Beruf nicht, ihm fehlen Wirtschaftswissenschaft und Forschung. Als Stasi-Hauptmann geht der Großteil seiner Zeit für stupide Büroarbeit drauf. Von "Unlust und Oberflächlichkeit in der Arbeit" berichtet er 1980. "Ich bin seit Jahren mit meiner beruflichen Tätigkeit im MfS unzufrieden, sie macht mir keine Freude, ich begreife es als wichtige Aufgabe vom Verstand her, mehr aber nicht."
Zum beruflichen Unglück kommt das private, in Befragungen räumt Teske später Streit mit seiner Frau ein; auch von Scheidungsandrohungen ist die Rede. Teske beginnt zu trinken - und denkt immer intensiver darüber nach, Land und Familie zu verlassen.
Von 1976 an werden seine Überlegungen so konkret, dass er beginnt, vertrauliche Akten aus dem Büro mitzunehmen und sich Daten über DDR-Spione im Westen zu notieren. All die in der heimischen Waschküche versteckten Dokumente, so sein Kalkül, würden als Mitgift für einen westlichen Geheimdienst taugen und ihm die Flucht erleichtern. Gelegenheiten hat Teske, mehrfach hat er als Stasi-Mann im Westteil des Berliner Bahnhofs Friedrichstraße zu tun. Von hier aus wäre er mit der S-Bahn binnen Minuten gefahrlos im Westen.
1978 ist es dann so weit, zumindest beinahe. Nach mehreren alkoholbedingten Dienstvergehen hat Teske mittlerweile einen schweren Stand im Ministerium; außerdem hat er rund 40.000 Mark aus der Stasi-Kasse unterschlagen, die eigentlich für seine Spitzel gedacht waren.
Er schreibt seiner Frau einen Abschiedsbrief. Sinngemäß habe darin gestanden, erklärt er Jahre danach im Verhör, "daß ich einen Schritt begehen werde, der sie überraschen und für den sie kein Verständnis haben wird und auf sie sicherlich eine Reihe von Problemen zukommen". Und weiter: "Ganz bestimmt habe ich in den Brief noch geschrieben, daß ich mich bemühen werde, einen Weg zu finden, daß wir wieder zusammen sein können und ich nach Möglichkeiten suche, um sie zu unterstützen und nachzuholen."
Ob es am Ende die Sorge um seine Frau ist, Pflichtbewusstsein der Stasi gegenüber oder schlicht Angst, entdeckt zu werden? Jedenfalls geht Teske den finalen Schritt nicht, verbrennt den verfassten Abschiedsbrief und bleibt in der DDR. Seine Pläne werden ihm zwei Jahre später dennoch zum Verhängnis.
Nachdem Teskes Kollege Werner Stiller 1979 zum Bundesnachrichtendienst der BRD übergelaufen ist, werden die Kontrollen in der Lichtenberger Stasizentrale intensiviert. Minister Erich Mielke schäumt nach Stillers Flucht vor Wut und will mögliche Nachahmer abschrecken. Wer Arbeiterklasse und Arbeiter- und Bauernmacht "durch schmählichen Verrat hintergeht, den muß die härteste Strafe treffen", schreibt er zum Umgang mit Verrätern in den eigenen Reihen. Präziser formuliert Mielke seine Haltung in einer Sitzung mit Stasi-Führungspersonal: "Das ganze Geschwafel von wegen nicht Hinrichtung und nicht Todesurteil – alles Käse, Genossen. Hinrichten, wenn nötig ohne Gesetze und ohne Gerichtsbarkeit."
Die ganze Familie wird in Sippenhaft genommen
Als Teskes Panzerschrank im Büro überprüft wird, kommt nicht nur seine völlig chaotische Buchhaltung zum Vorschein - auch die fehlenden Dokumente und über Jahre veruntreuten Gelder fallen auf. In der Folge geht alles schnell: Am 4. September 1980 wird Teske in ein konspiratives Objekt der Stasi gebracht. Da insbesondere bei möglichem Republikverrat in der DDR Sippenhaft gilt, werden auch seine Frau und Stieftochter vorübergehend festgenommen. Eine Woche später gesteht Teske, 1978 die Flucht in den Westen geplant zu haben.
Um sein Leben muss er eigentlich nicht bangen, denn die Todesstrafe kann auch nach zu der Zeit gültigem DDR-Recht nur für vollendeten Hochverrat oder eine durchgeführte Fahnenflucht verhängt werden. Teskes Vergehen aber fand nur in seinem Kopf statt, Kontakt mit einem westlichen Geheimdienst hatte er nie. Autor Gunter Lange spricht in seiner kürzlich erschienenen Teske-Biografie von einem "Verrat im Konjunktiv".
Die DDR-Justiz aber will ein Exempel statuieren. Obwohl er im von ihm unterzeichneten Geständnis erklärt, nach 1978 nie wieder an Flucht oder Geheiminsverrat gedacht zu haben, wird Werner Teske am 12. Juni 1981 nach kurzem, geheim gehaltenem Prozess zum Tod verurteilt. Die Diktatur will ihn schnell loswerden. Vor der Öffentlichkeit aber soll verschleiert werden, dass da einer aus dem Zentrum des Systems Staatsgeheimnisse verraten und in den Westen fliehen wollte - und dass das Regime noch in den 80er Jahren die Maximalstrafe anwendet.
Deren Umsetzung ist für den Staat dann mit einigen Umständen verbunden. Der letzte DDR-Henker Hermann Lorenz ist bereits ein Jahr zuvor aus gesundheitlichen Gründen in Pension gegangen. Für Teskes Hinrichtung muss er noch einmal reaktiviert werden.
Am 26. Juni 1981 wird Teske morgens aus seiner Zelle in Berlin geholt unter dem Vorwand, er solle verlegt werden. Seine Bewacher bringen ihn in die Strafvollzugseinrichtung Leipzig, deren ehemalige Hausmeisterwohnung zur zentralen Hinrichtungsstätte der DDR umgebaut ist.
Teske wird in den Raum geführt, ein Offizieller teilt ihm mit, sein Gnadengesuch sei abgelehnt worden, die Vollstreckung des Urteils stehe kurz bevor. Nur Augenblicke später, es ist 10:10 Uhr vormittags, tritt Henker Lorenz unbemerkt an Teske heran und schießt ihm mit seiner Pistole mit aufgesetztem Schalldämpfer von hinten in den Kopf. "Unerwarteter Nahschuss ins Hinterhaupt" nennt sich die Methode, die sich die DDR von der Sowjetunion abgeschaut hatte.
Am selben Tag wird Teskes Ehefrau Sabine aus der Gefangenschaft entlassen und bekommt knapp mitgeteilt, ihr Mann sei eben hingerichtet worden. Sie muss ihren Mädchennamen Kampf wieder annehmen, mehrfach umziehen - und darf bis zum Zusammenbruch der DDR niemandem erzählen, was mit ihrem Mann passiert ist.
1987 schafft die DDR die Todesstrafe ab - mit fadenscheiniger Begründung
Mit dem Tod Werner Teskes geht das SED-Regime genauso feige um wie zuvor mit seinem Prozess. Der Leichnam wird eingeäschert und in einer Pappschachtel namenlos auf dem Leipziger Südfriedhof beigesetzt. Den Totenschein stellt das Standesamt im 200 Kilometer entfernten Stendal aus. Demnach war Werner Teske im dortigen Krankenhaus an Herzversagen gestorben.
Immerhin erfährt der Tote Jahre später posthum noch ein wenig Gerechtigkeit. 1993 hebt das Landgericht Berlin das Todesurteil als rechtsstaatswidrig auf. 1998 werden ein am Teske-Prozes beteiligter Militärstaatsanwalt sowie ein beisitzender Richter wegen Totschlags und Rechtsbeugung zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt.
"Niemand hat von seinem Tod profitiert. Weder die Stasi noch jemand anders", sagt Witwe Sabine Kampf vor einigen Jahren der "Berliner Zeitung". Die Racheaktion des Regimes am ehemaligen Stasi-Hauptmann Werner Teske bleibt die letzte bekannte Exekution in Deutschland.
1987 schafft die DDR die Todesstrafe endgültig ab. "Mit der Abschaffung der Todesstrafe bekundet unser Land vor aller Welt einmal mehr seine Position zur Wahrung der Menschenrechte in ihrer Gesamtheit", heißt es in der Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera". Mit Humanität aber hat die Entscheidung wenig zu tun. SED-Chef Erich Honecker will zwei Monate später von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in Bonn empfangen werden - und braucht gute Nachrichten.
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