Die Zukunft auf den Straßen gehört wohl den E-Autos. Aber ist die Elektromobilität wirklich alternativlos und was muss sich in Deutschland ändern, damit die Umstellung vom Verbrenner gelingt? Diese Fragen beantwortet Verkehrsexperte Jürgen Follmann.
Herr Follmann, das Verbrenner-Aus ist beschlossene Sache. Ab 2035 soll es in der EU keine neuen Diesel- und Benzinautos mehr geben. E-Autos gehört wohl die Zukunft – zumindest mittelfristig. Wie denken Sie über die E-Mobilität?
Jürgen Follmann: Es ist auf jeden Fall ein anderes Fahrzeuggefühl. Die Usability geht viel mehr auch in Richtung Computer. Autos werden smarter. E-Autos werden vermutlich die Generation der jungen Leute wieder stärker ansprechen. Sie könnten Teil ihres Lebensgefühls werden. Außerdem besitzen diese Fahrzeuge umfangreiche Assistenzsysteme. Gerade Abstandshalter, Systeme zum Einhalten von Geschwindigkeitsbegrenzungen oder die „Tote-Winkel“-Assistenten können einen großen Beitrag für die Verkehrssicherheit leisten. Vielleicht tragen diese Autos tatsächlich ein bisschen zur Disziplin bei.
In Städten sollten mehr Menschen auf den ÖPNV umsteigen
Ein größeres Interesse an E-Autos und damit Individualverkehr bedeutet auch mehr Verkehr auf den Straßen und mehr Herausforderungen für Sie, oder?
Stimmt, wir als Verkehrsplaner sind gar nicht so glücklich über diese Entwicklung. Um die Mobilität für alle zu sichern und lebenswerte Städte zu erhalten, wollen wir, dass möglichst viele Menschen umsteigen auf den Nahverkehr, zu Fuß gehen oder das Fahrrad nutzen. Das kann einen Widerspruch geben. 25 Prozent der Strecken, die mit dem Pkw zurückgelegt werden, sind kleiner als zwei Kilometer. Wenn wir noch einen Schritt weitergehen, sind sogar 50 Prozent der Pkw-Fahrten kürzer als fünf Kilometer. Da brauchen wir dann nicht über das E-Fahrzeug sprechen, sondern wie wir tatsächlich die Schiene stärken oder auch die Radschnellverbindungen ausbauen können. Da muss mehr passieren.
Hat sich denn in dieser Hinsicht nichts verändert in den vergangenen Jahren?
Doch, während der Corona-Zeit haben wir bundesweite Verkehrsversuche gesehen, bei denen mehrspurigen Straßen eine Spur weggenommen wurde. Und man muss sagen, die haben sich alle bewährt. Wir haben beispielsweise in Darmstadt den Fahrradanteil von 18 auf 25 Prozent gesteigert. Und er steigt weiter. Es fahren hier auch immer mehr Pedelecs und Lastenräder. Es findet ein Umbruch statt.
Was sich momentan auch verändert, ist die Verkehrsdichte auf den Straßen durch Homeoffice. Montag und Freitag waren früher die Hauptreisetage. Die sind inzwischen Dienstag und Donnerstag. Homeoffice wird in unserer Gesellschaft auch in der Mobilität nochmal viel ändern. Spannend wird sein, wie sich der geeignete Mix entwickelt.
In Ballungszentren oder Großstädten, wie bei Ihnen in Frankfurt und Darmstadt, sind E-Autos sicher eine gute Alternative. Aber es gibt auch Regionen in Deutschland, die nicht so dicht besiedelt sind. Was muss dort geschehen?
Dort werden wir auf das Auto nicht verzichten können. Aber das Entscheidende wird sein: Wo hole ich diese Menschen am Rande der Städte ab? Ich kann sie nur da abholen, wo ich eine gute Verkehrsanbindung habe. Wo alle zehn Minuten eine Bahn oder ein Bus fährt, sodass ich gar nicht mehr den Fahrplan im Kopf haben muss. Darüber machen wir uns momentan sehr viele Gedanken.
Wie sehen diese Gedanken konkret aus?
Wir sind gerade dabei, am Rande der Städte im Verdichtungsraum (umgangssprachlich Speckgürtel) Mobilitätshubs zu denken. Da können die Autos, die von der Autobahn kommen, parken und von dort mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder Fahrrädern beziehungsweise Pedelecs weiterfahren. Hier werden die Straße und die Schiene verknüpft. Ein Beispiel ist das Frankfurter Stadion: Dort führt die A3 vorbei und es gibt riesige Parkplätze. Es fährt auch eine Straßenbahn und eine S-Bahn dort hin. Aber abseits der Spiele wird der ÖPNV kaum genutzt. Ein klassischer Platz für solch einen Mobilitätshub.
Sind E-Autos wirklich umweltfreundlich?
Eines der Hauptverkaufsargumente für das E-Auto ist seine Umweltfreundlichkeit. Sehen Sie das auch so?
Durch die E-Mobilität wird sich einiges ändern. Die Luftqualität in den Städten wird sich weiter verbessern. Allerdings wissen wir noch nicht, wie sich der sehr kleine Feinstaub (beispielsweise beim Reifenabrieb) mit einem aerodynamischen Durchmesser kleiner als 2,5 Mikrometer (PM 2,5) auswirkt. Er ist vor allem aufgrund seiner geringen Größe ein Gesundheitsrisiko. Die feinen Partikel können tiefer in die Atemwege eindringen, dort länger verbleiben und die Lunge nachhaltig schädigen. Da laufen die Untersuchungen momentan noch. Auf den Fachkongressen wird darüber bereits diskutiert.
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der E-Mobilität ist das Tanken. Die Infrastruktur in Deutschland lässt noch zu wünschen übrig. Wie kann sich das ändern?
In der Fläche oder im Verdichtungsraum gibt es zahlreiche kleine Ein- bis Dreifamilienhäuser und vereinzelte größere Hausanlagen. Da hat die individuelle Wallbox eine größere Bedeutung. In Städten sieht das anders aus.
Inwiefern?
Einer meiner Studenten sollte sich im Rahmen seiner Bachelorarbeit ein Quartier in Darmstadt anschauen. Ein Jugendstilviertel, hohe Gebäude, eng bebaut, kaum Parkplätze. Und er sollte zeigen, wie man dort zukünftig das Laden von E-Autos sicherstellt. Er hat im Quartier herumgefragt, Daten gesammelt und festgestellt, dass es nicht überall möglich ist, Wallboxen zu bauen. Aufladen mit Straßenlaternen ist auch schwierig. Dann kamen wir dahin, dass wir gesagt haben, da gibt es zum Beispiel einen Discounter, eine Tankstelle oder irgendeine andere Freifläche. Und vielleicht müssen wir zukünftig solche Flächen als mögliche Ladestellen definieren. In dem Fall sind zentrale Anlaufpunkte wohl die Lösung.
Der Student hat zudem die Ladestationen beispielsweise mit Paketstationen verbunden. Er hat also versucht, einen Mehrwert zu kreieren. Etwas, das es an den Tankstellen heute auch schon gibt. Und ein weiterer Vorteil für das Quartier wäre, dass die Paketzusteller nur noch an einen Punkt anliefern müssten und so viel Zeit sparen. Aber bei alten Quartieren ist aufgrund ihrer Strukturierung so eine Nachrüstung nicht leicht.
Schon heute gibt es Stromladesäulen an vielen verschiedenen Orten – vor Behörden, auf dem Supermarktparkplatz oder im Parkhaus. Werden wir zukünftig die klassische Tankstelle überhaupt noch brauchen?
Mich überrascht, dass unsere Tankstellenketten gerade erst anfangen, sich zu positionieren. Da könnte es eine interessante Verschiebung geben. Sie werden Kooperationen mit Supermarktketten eingehen oder eigene Angebote schaffen müssen, um die Ladezeit zu überbrücken. Aber im großen Stil habe ich da noch nichts gesehen. Und viele Discounter und Supermarktketten bieten derzeit schon das klassische Tankstellen-E-Laden an. Kombiniert mit dem Einkaufen, könnten das ideale Lockangebote werden, und das E-Laden passt gut zusammen mit der Zeit, die man beim Einkaufen verbringt.
Strom zu tanken ist noch zu umständlich
Ein Ärgernis vieler E-Autofahrer ist das uneinheitliche Ladenetz. Was könnte sich hier verbessern?
Das Tanken muss einfach sein. Es muss möglich sein, tankkartenunabhängig zu bezahlen, beispielsweise mit der Kreditkarte. Das wäre ein riesiges Plus. Die neue Ladesäulenverordnung sieht lediglich vor, dass alle ab dem 1. Juli 2024 neu in Betrieb genommenen Ladestationen mindestens eine kontaktlose Bezahlmethode anbieten müssen. Ob das dann das Bezahlen per Handy ist oder ob auch eine Kreditkarte akzeptiert wird, ist dem Ladesäulenbetreiber überlassen.
Gehen wir weg von den Autos hin zu Bus und Lkw. Wie, denken Sie, wird hier die Zukunft aussehen?
Ich sehe die Tendenz, dass die öffentlichen Verkehrsbetriebe Elektrobusse in der Stadt einsetzen. In der Region, bei größeren Strecken, könnten Wasserstoffbusse die bessere Alternative sein. Mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzellen-Busse bieten für den Regionalverkehr aktuell Reichweiten von ganzjährig bis zu 350 km und Betankungszeiten von unter zehn Minuten. Das sind Parameter, die denen der Dieselbusse vergleichbar sind. Ähnliches gilt wohl auch für Lkw. Wir benötigen aber die Wasserstoff-Tankstellen. Auch diese sind gerade erst im Aufbau.
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Zur Person
- Professor Dr.-Ing. Jürgen Follmann ist Prädekan an der Hochschule Darmstadt im Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwesen. Er hat eine umfassende Expertise aus realisierten Projekten rund um das Thema neue Wege im Verkehrswesen. Des Weiteren leitet er in der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen den Ausschuss „Verkehrssicherheitsmanagement“. Für Hessen war er in die Entwicklung des Verkehrssicherheitskonzepts 2035 eingebunden.
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