- Unser Ernährungssystem macht krank, sagen Experten – uns Menschen und den ganzen Planeten. Denn wie wir Nahrungsmittel produzieren, konsumieren und entsorgen, hat erhebliche Auswirkungen auf Klima und Umwelt.
- Experten und Expertinnen fordern daher schon lange eine Ernährungswende. Was genau bedeutet das - müssen wir alle zu Veganern werden?
- Im Interview erklären Susanne Rolinski und Benjamin Bodirsky vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, wie eine nachhaltige Ernährung aussehen kann, welche Rolle Fleisch und Fleischersatzprodukte dabei spielen und warum es nicht unbedingt erstrebenswert ist, dass alle Menschen auf Fleisch verzichten.
Beim Thema Klimawandel tritt Ernährung immer mehr in den Fokus. Kommen wir beim Versuch, die Pariser Klimaziele zu erreichen, am Sektor Ernährung vorbei?
Dr. Benjamin Bodirsky: Das Ernährungssystem spielt beim Klimaschutz eine wichtige Rolle. Wir werden nicht darum herumkommen, unser Ernährungssystem umzubauen, wenn wir die Pariser Klimaziele einhalten wollen. Schätzungen zufolge geht ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen auf das Konto des Ernährungssystems. Ungefähr zehn bis fünfzehn Prozent davon entstehen in der Landwirtschaft, zum Beispiel durch rülpsende Kühe oder den Reisanbau. Weitere zehn Prozent gehen auf Entwaldung und die Trockenlegung von Moorböden für Ackerflächen zurück. Transport, Kühlung, Zubereitung und Entsorgung von Lebensmitteln sowie die Produktion von Düngemitteln machen weitere zehn Prozent aus. Der größte Hebel beim Klimaschutz liegt hier vor allem beim landwirtschaftlichen Anbau, aber auch beim Konsumverhalten.
Beim Konsum ist jeder Verbraucher selbst gefragt - aber kann man die Verantwortung allein dem Verbraucher überlassen?
Dr. Susanne Rolinski: Man kann nicht alles auf dem Verbraucher abladen, aber man muss ihn mit in die Pflicht nehmen. Jeder ist selbst dafür verantwortlich, was er kauft, wie viel er kauft und wo er kauft - aber man kann es dem Verbraucher leichter oder schwerer machen. Ein Beispiel sind die Mehrwertsteuersätze: Hier könnte der Staat Anreize setzen, damit pflanzliche Nahrungsmittel günstiger und somit attraktiver werden als Produkte, die einen großen ökologischen Fußabdruck haben, wie zum Beispiel Fleisch.
Mit Fleischverzicht die Welt retten?
Angenommen, die Menschheit würde über Nacht aufhören, Fleisch zu essen - wäre das schon genug, um die Pariser Klimaziele einzuhalten?
Bodirsky: Fleischverzicht alleine wird nicht ausreichen. Der Klimawandel ist eine Herausforderung, die alle Bereiche betrifft und alle Bereiche müssen sich in ähnlichem Maße an der Erreichung der Pariser Klimaziele beteiligen. Wir brauchen zum Beispiel auch eine Umstellung der Wirtschaft hin zu erneuerbaren Energien. Es geht nicht darum, dass alle zu Veganern werden müssen, sondern dass der Fleischkonsum deutlich reduziert wird. Das wäre gut für die Gesundheit, aber auch fürs Klima.
Rolinski: Es wäre auch aus Ernährungsperspektive oder Landnutzungsperspektive nicht unbedingt erstrebenswert, komplett auf Fleisch zu verzichten. In Ökobetrieben spielen die Tiere eine wichtige Rolle. Ohne sie könnten diese Betriebe gar nicht funktionieren, zum Beispiel, weil sie den organischen Dünger für die Felder liefern. Aus Ernährungsperspektive wäre in Deutschland schon viel erreicht, wenn alle Menschen den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsforschung folgen und maximal 30 Kilo Fleisch pro Jahr verbrauchen würden. Im Moment konsumieren wir ungefähr das Doppelte. Auf der anderen Seite gibt es auch Regionen und Kontinente, in denen die Proteinversorgung ein Problem ist. Nicht alle Menschen können ihren Fleischkonsum reduzieren, und sich trotzdem gesund ernähren.
Wie sieht eine nachhaltige Ernährung konkret aussehen?
Rolinski: Es gibt verschiedene Kommissionen und Institute, die sich mit dieser Frage beschäftigen. Die umfassendste Studie bislang wurde von der EAT Lancet Kommission herausgegeben, die gesunde Ernährung und geringe Umweltbelastung in Einklang bringt. Bei der darin empfohlenen Ernährung spielt Fleisch eine Rolle, aber auch andere Protein-haltige Lebensmittel wie Nüsse oder Hülsenfrüchte. Es geht darum, den Protein-Bedarf aus verschiedenen Quellen zu decken. Eine nachhaltige Ernährung ist divers und geht weit über die Durchschnittsdiät hinaus, die die meisten Menschen auf ihrem Teller haben.
Bodirsky: Zwar spielt Fleisch in diesem Konzept eine Rolle, aber eine vegetarische oder vegane Ernährung ist damit natürlich kompatibel. Man muss kein Fleisch essen - und man muss auch nicht komplett auf Fleisch verzichten.
Spielen Fleischersatzprodukte darin auch eine Rolle? Oder sind sie aufgrund ihrer industriellen Verarbeitung gar nicht geeignet für eine nachhaltige Ernährung?
Bodirsky: Was den Umweltfußabdruck betrifft, sind Fleischersatzprodukte sehr viel umweltfreundlicher als tierische. Das größte Problem beim Fleisch liegt in der "Veredelung": Um eine Kalorie aus Fleisch zu generieren, wird ein Vielfaches an pflanzlichen Kalorien benötigt. Ein Großteil des Soja-Anbaus wird als Futtermittel in der Tierhaltung eingesetzt und landet nicht direkt auf dem Teller. Wird zum Beispiel Soja direkt konsumiert, könnten mehr Menschen davon satt werden und die Umweltbilanz wäre deutlich besser. Was die gesundheitlichen Aspekte dieser Fleischersatzprodukte betrifft, schneiden sie ähnlich oder leicht besser ab als Fleisch. Aber natürlich wäre es besser, man würde zu weniger stark verarbeiteten Produkten greifen - also direkt zu Obst und Gemüse.
Rolinski: Wenn wir über Fleisch oder nicht Fleisch reden, geht es hauptsächlich um die Proteinversorgung. Der Goldstandard für Proteine ist das Hühnereiweiß, denn es enthält die vier essentiellen Aminosäuren, die unser Körper braucht. Alle anderen Proteinquellen bekommen einen schlechteren Index, weil nicht alle essentiellen Aminosäuren darin enthalten sind. Aber die Kombination aus verschiedenen pflanzlichen Produkten kann einen genauso guten Goldstandard erzeugen, nur eben nicht innerhalb eines Produktes. Man braucht nicht unbedingt ein Sojaschnitzel oder andere komplizierte Ersatzprodukte, um ohne Fleisch, Eier und Milch eine gute Proteinversorgung zu bekommen. Wer in seiner Ernährung eine Kombination verschiedener heimischer Proteinquellen wie Nüsse oder Hülsenfrüchte integriert, bekommt alles, was er braucht.
Bodirsky: Reis und Bohnen zusammen zu essen ist zum Beispiel günstig, weil sich die Proteine darin gut ergänzen. In Deutschland sind wir insgesamt aber sehr gut mit Proteinquellen versorgt. Es mangelt uns nicht an Proteinen, es mangelt uns zum Beispiel eher an Ballaststoffen. Auch dieses Problem ließe sich mit einer diverseren, stärker auf pflanzliche Nahrungsmittel ausgelegten Ernährung lösen.
Neue Protein-Quellen: Die Ernährung der Zukunft?
Herr Bodirsky, Sie waren an einer Studie zu Proteinen beteiligt, die von Mikroorganismen produziert werden. Was genau hat es damit auf sich?
Bodirsky: Es gibt ein paar neue Technologien, bei denen es darum geht, Proteine ohne Landflächen zu produzieren. In großen Tanks werden verschiedene Mikroorganismen gezüchtet, entweder Bakterien, Pilze oder Algen, die hochwertige Proteine herstellen. Wie sich diese Proteine zusammensetzen, lässt sich relativ gut steuern - man gibt nur in den Tank hinein, was nachher im Endprodukt enthalten sein soll. Es kommen keine Antibiotika bei der Herstellung zum Einsatz und man braucht keine großen Flächen, wodurch die negativen Effekte auf die Umwelt gering sind. Das macht mikrobielle Proteine so interessant. Damit könnte Soja als Tierfutter ersetzt werden, es könnte aber auch direkt als Nahrung beim Verbraucher landen.
Ist das also die Zukunft?
Bodirsky: Es klingt nach Zukunftsmusik, aber es gibt bereits erste Produkte auf dem Markt und viele Startups springen auf diesen Trend auf und investieren stark. Wir erwarten, dass sich die Herstellung von Proteinen in diese Richtung entwickeln wird, da sie in Zukunft günstig sein wird. Das bedeutet aber auch eine industrielle Nahrungsmittelproduktion ohne Landwirtschaft, mit disruptivem Potenzial für das Ernährungssystem. Ob das erstrebenswert ist oder nicht, ist eine gesellschaftliche Frage.
Welche Schritte sind notwendig, dass wir zu einem nachhaltigen Ernährungssystem kommen?
Bodirsky: Es braucht Veränderungen auf der Produktionsseite und auf der Nachfrageseite. Auf der Produktionsseite gehören die Moorböden zu den ganz großen Baustellen. Die Trockenlegung von Mooren ist für einen sehr großen Teil der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dass diese wieder vernässt werden, steht ganz oben auf der Prioritätenliste. Zum anderen muss der Stickstoffüberschuss in der Landwirtschaft reduziert werden, der durch Düngung in die Umwelt gelangt. Allein das würde zu einem Umbau der Landwirtschaft führen. Auf der Nachfrageseite muss den Leuten erleichtert werden, sich gesünder und nachhaltiger zu ernähren. Zum Beispiel durch die Preisgestaltung oder Kantinen, die mehr vegetarische Optionen anbieten. Ebenso kann man darüber diskutieren, welches Essen in Krankenhäusern und Pflegeheimen auf den Tisch kommt.
Rolinski: Die Schwierigkeit liegt darin, dass das Thema Ernährung emotional besetzt ist. Wir wissen ja, dass einen die Forderung nach einem Veggie-Day die Wahl kosten kann. Das Wissen darüber, warum das sinnvoll ist, ist weiterverbreitet als die Akzeptanz. Die erreicht man über Vorbilder die zeigen, dass eine nachhaltige Ernährung nicht nur Verzicht bedeuten muss, sondern vielfältig und echt lecker ist.
Vegetarismus im Trend: Modeerscheinung oder Trendwende?
Die Forderung nach einem Veggie-Day stellten die Grünen im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 - und wurden von den Wählern daraufhin abgestraft. Heute hat man das Gefühl, dass vegane Ernährung keine Randerscheinung mehr ist. Breitet sich dieser Trend tatsächlich auch global aus oder ist das eher ein Phänomen deutscher Großstädte?
Rolinski: Generell kann man sagen, dass der Anteil an Fleisch in der Nahrung mit dem Einkommen zunimmt - und dieser Trend ist ungebrochen. Da der Wohlstand weltweit steigt, wird auch immer mehr Fleisch konsumiert. In Ländern mit sehr hohen Einkommen sieht man zwar, dass Menschen, die über viel Geld und gute Bildung verfügen, diesem Trend nicht weiter folgen und sich immer gesünder ernähren. In Deutschland haben wir mit 60 Kilo Fleisch pro Jahr mittlerweile ein Plateau auf sehr hohem Niveau erreicht. Aber in Staaten, die sich gerade wirtschaftlich entwickeln, geht der Trend klar in Richtung mehr Fleisch. Das Image von Fleisch muss sich ändern.
Bodirsky: In Deutschland ist der Konsum von tierischen Produkten in den letzten drei Jahren sogar zurückgegangen, beim Fleisch um 10 Prozent - das ist schon beträchtlich. Auch in anderen Ländern, zum Beispiel Israel, nimmt der Vegetarismus stark zu - und trotzdem ist es immer noch ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung. In Deutschland sind rund 10 Prozent Vegetarier. Und die meisten Vegetarier weltweit leben immer noch in Indien, und dort geht der Trend jetzt stark in Richtung mehr tierische Produkte.
Sie haben angesprochen, dass die Reduzierung von Stickstoffeinträgen in die Umwelt ein wichtiger Schritt hin zu einem nachhaltigen Ernährungssystem wäre. Im vergangenen Jahr wurde viel über die sogenannte Nitratkrise berichtet. Was genau hat es damit auf sich und wie groß ist dieses Problem in Deutschland?
Bodirsky: Gegen Deutschland lief ein Vertragsverletzungsverfahren mit der EU, weil die Stickstoffüberschüsse zu hoch waren. Hohe Stickstoffüberschüsse sind problematisch, denn durch Stickstoff werden Gewässer verschmutz und die Biodiversität nimmt ab. Es ist auch einer der wichtigsten Luftverschmutzer: In Form von Ammoniak ist es der Grundbaustein für Feinstaub. Allein durch die Stickstoffemissionen der Landwirtschaft sterben in Deutschland geschätzte fünfzehntausend Menschen pro Jahr vorzeitig. Es gab inzwischen zwar Nachbesserungen, Landwirte müssen inzwischen eine sogenannte Stoffstrombilanz führen um zu dokumentieren, wie viel Stickstoff an die Umwelt verloren geht. Dafür gibt es eine Obergrenze. Wie effektiv das ist, wird sich noch zeigen. Meines Erachtens werden diese Maßnahmen aber nicht ausreichen. Eine Option ist eine Besteuerung der Stickstoffüberschüsse. Im Moment ist es so, dass Landwirte, die nachhaltig mit Stickstoff wirtschaften, einen Wettbewerbsnachteil haben, weil es ein größerer Aufwand ist, die Gülle nicht einfach vor dem Stall aufs Feld zu kippen. Eine Steuer würde da helfen.
In den Niederlanden wurden 2022 Maßnahmen beschlossen, um den Stickstoffüberschuss zu senken. Das hat massive Aufstände ausgelöst, es gab Proteste vor dem Privathaus der zuständigen Ministerin. Drohen uns solche Szenen auch in Deutschland?
Rolinski: In den Niederlanden hat man die gleiche Situation wie in Deutschland, nur unter einem Brennglas. In bestimmten Regionen Deutschlands, zum Beispiel dem "Schweinegürtel" in der niederdeutschen Tiefebene, gibt es das gleiche Problem mit der Gülle. Durch Subventionierung und Antreiben zu mehr Effizienz sind immer größere Betriebe mit größeren Ställen entstanden. Diese Konstellation erzeugt das Problem. Wir müssen davon wegkommen, landwirtschaftliche Betriebe allein nach ökonomischen Maßstäben zu bewirtschaften.
Bodirsky: Was in den Niederlanden passiert, ist das Ergebnis einer verfehlten Politik. Nachdem das Problem über Jahre ignoriert wurde, muss die Politik jetzt stark eingreifen. Ähnlich läuft es auch in Deutschland. Inzwischen wird Gülle aus den Niederlanden nach Deutschland exportiert, um das Problem dort zu senken. Deutschland wiederum versorgt die Niederlande über den Rhein mit Stickstoff, der aus unserer Landwirtschaft in die Umwelt gelangt. Langfristig wird Deutschland nicht drumherum kommen, da mehr zu unternehmen. Es sollten schnell Maßnahmen ergriffen werden, damit es nicht zu solchen Szenen wie in den Niederlanden kommt.
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