• Vanessa Nakate gehört zu den bekanntesten Klima-Aktivisten Afrikas.
  • Im Interview mit unserer Redaktion erklärt die UNICEF-Botschafterin, warum Deutschland aus ihrer Sicht ein Vorreiter im Kampf gegen die Erderwärmung sein muss.
  • "Der Klimakrise wird niemand entkommen", sagt Nakate.
Ein Interview

Frau Nakate, in Europa erfahren die Menschen immer eindrücklicher, was der Klimawandel bedeutet. In Afrika ist das schon länger – und extremer – der Fall.

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Vanessa Nakate: Wir befinden uns im selben Sturm, aber wir sitzen in unterschiedlichen Booten. Manche von diesen Booten sinken bereits, andere halten sich noch über Wasser. Aber der Klimakrise wird niemand entkommen. In meinem Heimatland Uganda sind bei Überflutungen und Erdrutschen Äcker und Häuser zerstört worden, aber auch Firmen und Schulen. Am Horn von Afrika herrscht dagegen eine schlimme Dürre. Mehr als 30 Millionen Menschen mangelt es dort an Lebensmitteln und Wasser. Im südlichen Teil Afrikas hat ein Zyklon 2019 für mehr als 1.300 Tote gesorgt.

Ein häufiges Argument gegen mehr Klimaschutz lautet in Deutschland: Wir sind nur für rund 2,5 Prozent der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich. Selbst wenn wir unsere Emissionen auf Null senken, wird das den Klimawandel nicht verhindern – weil andere Staaten weiter viel mehr ausstoßen.

Das ist eine große Herausforderung im Kampf für Klimagerechtigkeit: Jeder zeigt mit dem Finger auf die Anderen. Wir sind aber darauf angewiesen, dass sich Länder wie Deutschland als Vorreiter begreifen. Wenn ich mit dem Bundespräsidenten sprechen könnte, würde ich ihn bitten, ein Klima-Vorreiter zu sein. Wenn ich mit dem US-Präsidenten sprechen könnte, würde ich ihn um das Gleiche bitten.

Jedes Land sollte das unternehmen, wozu es in der Lage ist. Der gesamte afrikanische Kontinent ist für weniger als vier Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. Trotzdem fordern auch wir unsere Regierungen dazu auf, den Weg zu mehr wirtschaftlicher Entwicklung mithilfe von Erneuerbaren Energie zu gehen – nicht mit fossilen Brennstoffen.

Es gibt aus dem globalen Süden aber auch andere Stimmen. Die sagen: Die Staaten zum Beispiel des afrikanischen Kontinents haben ein gutes Recht auf die Nutzung der Kohleenergie. Schließlich haben auch Europa und Nordamerika darauf einst ihre wirtschaftliche Entwicklung aufgebaut.

Für Klima-Aktivisten aus Afrika ist das in der Tat eine komplizierte Situation. Uns wird vorgeworfen, gegen wirtschaftliche Entwicklung zu sein. Das ist aber nicht der Fall. Wir sagen: Es gibt einen nachhaltigeren Weg zum Wachstum.

Zur wirtschaftlichen Entwicklung gehört auch das Wohlergehen von Menschen und Ökosystemen. Wir sehen doch, welche Umweltschäden die fossilen Energien anrichten. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat gesagt, dass die Geschäftsmodelle der fossilen Industrie nicht zum Überleben der Menschheit passen. Wir fordern die Regierungen in Afrika daher auf, auf fossile Energien zu verzichten. Sie zu überzeugen, ist aber schwierig, wenn westliche Staaten weiter in Kohle, Öl und Gas investieren.

Vanessa Nakate: "Kompromisse werden uns nicht retten"

Haben Sie in den vergangenen Wochen die Diskussionen um die Kohleförderung in Deutschland verfolgt?

Ja, ich war zwei Mal in Lützerath – um Solidarität zu demonstrieren mit den Menschen, die gegen den Kohleabbau kämpfen. Die Region, die nach und nach verschwindet, trägt ja nicht nur einen Namen, sondern auch Erinnerungen, Geschichte und Kultur. Wenn wir die globale Erwärmung begrenzen wollen, können wir nicht weiter in Kohle investieren. Wir rasen damit in die falsche Richtung.

Das Ende des Dorfes Lützerath ist Teil eines Kompromisses: Lützerath wird noch abgerissen, die Kohle darunter abgebaggert – aber fünf andere Dörfer werden gerettet, der Energiekonzern RWE zieht den Kohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vor. Das klingt nach einem guten Deal, auch im Sinne des Klimaschutzes.

Wenn Eltern sechs Kinder haben – würden sie eines davon opfern, um die anderen fünf zu retten? Das glaube ich nicht. Die Eltern würden wohl eher sich selbst opfern, um das sechste Kind zu retten. Das sollten wir auch tun: nämlich die Kohleförderung komplett aufgeben.

Klimapolitik funktioniert aber nun einmal Schritt für Schritt, nicht mit einer Revolution.

Kompromisse werden uns nicht retten. Klimagerechtigkeit bedeutet, dass alle Menschen und alle Dörfer gerettet werden.

Bisher geht die Klimapolitik aber nur mit Kompromissen voran. Enttäuscht Sie das? Die Klimaschutzbewegung hat in den vergangenen Jahren auf der ganzen Welt erfolgreich auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes hingewiesen. Trotzdem geht es politisch immer nur schrittweise vorwärts.

Es gab in den vergangenen Jahren Momente der Enttäuschung und der Frustration. Seit 2019 haben immer mehr Länder den Klimanotstand erklärt, aber in der Regel blieb es dann bei der Erklärung. Ich habe auf Klimakonferenzen viele Führungspersönlichkeiten erlebt, die Versprechen gegeben haben. Wenn diese Versprechen gebrochen werden, erzeugt das Misstrauen. Es gab aber auch Momente der Hoffnung.

Welche zum Beispiel?

Bei der letzten Weltklimakonferenz COP 27 wurde der Loss-and-Damage-Fund gegründet, also ein Fonds zur Reparation von Klimaschäden. Als ich das gehört habe, konnte ich es im ersten Moment gar nicht glauben. Das ist das Ergebnis von unglaublich viel Arbeit von Aktivisten und der Zivilgesellschaft. Mir hat das wirklich Hoffnung gegeben: Es liegt Macht in den Stimmen der Menschen.

"Es verleiht Stärke, für eine bessere Welt zu kämpfen"

In Deutschland diskutiert die Klimaschutzbewegung inzwischen über ihre Methoden. Manche Gruppen belassen es nicht nur beim Demonstrieren, sondern wenden auch zivilen Ungehorsam an. Glaube Sie, dass die Klimaschutzbewegung ihre Methoden verändern wird?

Ich glaube nicht, dass Aktivisten besondere Methoden brauchen. Aktivisten haben bereits gute Möglichkeiten, Klimagerechtigkeit einzufordern: Klimastreiks wurden organisiert, wir haben auf Konferenzen gesprochen. Das Scheitern liegt nicht auf unserer Seite. Es liegt jetzt einfach an der Politik: Die Führungspersönlichkeiten müssen handeln.

Welche Verantwortung für den Klimaschutz trägt denn jeder einzelne Mensch? Auch da könnte man ja sagen: Ich kann mich noch so sehr anstrengen – ich allein werde den Klimawandel nicht bremsen.

Ich selbst kann die nötigen politischen Entscheidungen nicht treffen. Ich glaube aber, dass jeder Einzelne dafür verantwortlich ist, Wandel anzustoßen. Ich sage: Erhebe deine Stimme, um den Wandel einzufordern! Treibe den Wandel innerhalb deiner Gemeinschaft voran!

Ich fände es aber falsch, sich nur auf die individuelle Verantwortung zu konzentrieren. Unternehmen und Regierungen haben die individuelle Verantwortung benutzt, um die Verantwortung von sich selbst wegzuschieben. Wir brauchen systematischen Wandel, damit jeder Einzelne sein Leben nachhaltiger gestalten kann. Öffentliche Verkehrsmittel müssen zum Beispiel günstiger sein, damit möglichst viele Menschen sie benutzen können.

Wie optimistisch sind Sie? Glauben Sie, dass die Erde noch ein lebenswerter Planet ist, wenn Sie 70 sind?

Ich würde dieses Interview nicht geben, wenn ich nicht optimistisch wäre. Es verleiht Stärke, für eine bessere Welt und die folgenden Generationen zu kämpfen. Wir sind ja nicht die ersten, die das machen. Ich spreche auch mit Menschen, die viel älter sind als ich. Sie sind glücklich über den Wandel. Sie sagen, dass sich viel geändert hat, seit sie begonnen haben, sich zu engagieren. Das gibt auch mir Hoffnung.

Zur Person: Vanessa Nakate wurde 1996 in Uganda geboren und studierte Betriebswirtschaftslehre an der Makerere University Business School in der Hauptstadt Kampala. Sie gehört zu den bekanntesten Klima-Aktivisten des afrikanischen Kontinents. Seit dem vergangenen Jahr ist sie Botschafterin des UN-Kinderhilfswerks UNICEF. Im Rowohlt-Verlag erschien ihr Buch: "Unser Haus steht längst in Flammen. Warum Afrikas Stimme in der Klimakrise gehört werden muss".
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