Die Klimakrise ist lösbar – das wissen wir. Doch dafür muss gemeinschaftlich gehandelt werden. Das Buch "Unlearn CO2" erklärt, wieso manche Menschen den Klimawandel nach wie vor leugnen, wie man dem entgegentreten kann und welche Argumente wir für den Klimaschutz haben.
Die Klimakrise lösen: Dafür ist es zentral, den Ausstoß an Treibhausgasen zu stoppen. Doch die Abkehr von fossilen Gewohnheiten betrifft auch viele andere Bereiche, wie der Sammelband "Unlearn CO2" verdeutlicht. Zu Wort kommen darin unter anderem die Wirtschaftsforscherin Claudia Kemfert, der Wettermoderator Özden Terli, der Mediziner und Moderator
Um die Verdrängung der Krise, um Ernährung, Recht und Wachstum geht es im Buch ebenso wie um Mode, Arbeit, Gesundheit und Desinformation. Herausgeber sind die Wirtschaftsexpertin Claudia Kemfert und die Klima-Journalisten Julien Gupta und Manuel Kronenberg.
Das Buch öffnet den Blick auf viele Facetten, die neben der reinen CO2-Bilanz auch mit der Klimakrise einhergehen, auf bestehende Ungerechtigkeiten und die Macht von Lobbyisten.
"Manchmal scheint es, als würden wir beim Klimaschutz auf der Stelle treten oder sogar rückwärtsgehen", heißt es im Intro. Dieser Schein trüge: In vielen Bereichen seien längst Lösungen in Sicht und viele Menschen arbeiteten Tag für Tag an einer besseren Zukunft. Entsprechend soll "Unlearn CO2" auch nicht frustrieren, sondern im Gegenteil ein "Kompass für den Weg aus der Frustration" sein.
Klar soll mit dem Buch auch werden, dass es in einer klimagerechten Welt nicht nur um Erneuerbare Energien gehe, sondern auch ganz andere, oft überraschende Lösungen: "zum Beispiel der Kampf gegen Desinformation oder ein Rechtssystem, in dem wir Konzerne für ihre Emissionen per Gerichtsurteil zur Kasse bitten können".
Klimaleugner: Meist männlich und konservativ
Im Kapitel "unlearn verdrängung" geht die Psychologin Katharina van Bronswijk unter anderem auf belastende Klimaemotionen ein. "Die Mechanismen der Verdrängung und Leugnung, mit denen unsere Psyche versucht, diese unangenehmen Realitäten und die damit einhergehenden Gefühle von uns wegzuhalten, sind mächtig und wirkungsvoll."
Klimaleugnung sei in Deutschland unter männlichen Personen mit (rechts)konservativem Weltbild stärker verbreitet. "Die Antwort ist – kurz gesagt – die Angst vor Status- und Privilegienverlust", so Bronswijk, die unter anderem bei Greenpeace aktiv ist. "Es sind nun mal (weiße) Männer, die in unserer Gesellschaft noch die meisten Privilegien genießen, und deswegen haben sie auch am meisten zu verlieren."
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Notwendig sei, beim Blick auf nötige Veränderungen mehr Zukunftsvorfreude entstehen zu lassen – zu vermitteln, "wie schön ein Leben sein könnte, wenn wir CO2 verlernt haben". Denn: "Keine fossilen Energieträger mehr zu verbrennen ist ja nicht nur wichtig fürs Klima, es führt auch zu ganz vielen Co-Benefits, über die wir zu selten reden: saubere Luft, sauberes Wasser, gesunde Böden, leckeres Essen und bessere Gesundheit."
Fossile Märchen
In "unlearn medien" gehen Gupta und Kronenberg darauf ein, dass es einen neuen, die Handlungsbereitschaft fördernden Journalismus brauche. Angesichts der aktuellen Kriege und politischen Krisen bleibe bisher nicht viel Aufmerksamkeit übrig für noch eine Krise. "Aber genau hier liegt das große Missverständnis: Die Erderhitzung ist nicht nur eine vorübergehende Krise und erst recht kein einzelnes Thema", erläutern die Journalisten. "Sie wirkt sich auf alle Bereiche der Gesellschaft aus."
Auch um fossile Märchen und deren Urheber geht es im Kapitel. Von solchen Desinformationen profitierten "autoritäre Staaten wie Russland oder Saudi-Arabien, rechte Medien und allen voran die Lobby der fossilen Industrie". Inzwischen werde dabei – zumindest in Deutschland – kaum mehr die Klimakrise an sich aktiv geleugnet. Vielmehr stehe inzwischen vor allem das Anzweifeln der Lösungen auf dem Programm.
Schäden der Klimafolgen sind teurer als Klimaschutz
Die Warnung, Klimaschutz sei teuer und bringe den hart erarbeiteten Wohlstand in Gefahr, solle zum Beispiel gezielt Abstiegs- und Verlustängste triggern und Bedenken gegen die notwendige Transformation schüren, so Gupta und Kronenberg. "Dass die Schäden durch Klimafolgen viel teurer werden als Investitionen in Klimaschutz (bis 2050 könnten sich die Klimaschäden allein in Deutschland auf bis zu 900 Milliarden Euro belaufen), wird dabei einfach unter den Tisch fallen gelassen."
Um gezielte Desinformation geht es auch dem Klimaforscher Stefan Rahmstorf. Dass Befunde der Wissenschaft geleugnet und mögliche Lösungen aktiv verzögert werden, sei ein entscheidender Grund dafür, dass die Politik trotz eindeutiger Erkenntnisse zu wenig auf die Klimakrise reagiere, heißt es in seinem Kapitel "unlearn desinformation". Es gebe seit mehr als 30 Jahren eine reiche, von der Fossilindustrie getragene Lobby. "Ihr Ziel: Klimaschutz zu verhindern oder zumindest so weit wie möglich hinauszuzögern. Ihre Methode: Zweifel an der Wissenschaft zu schüren – mangels ernsthafter Argumente auch mittels Nebelkerzen und Täuschungen."
Desinformation verbreitet sich schneller
Die fossile Brennstoffindustrie ist Rahmstorf zufolge eine der reichsten Industrien des Planeten, habe also mehr als genug Mittel für breit angelegte Desinformationskampagnen, "die zugunsten ihrer Gewinne das Leben auf dem gesamten Planeten gefährden". Heutzutage komme dabei hinzu, dass sich Desinformation in sozialen Medien deutlich stärker verbreite als wissenschaftlich fundierte Sachinformation. "Anscheinend gibt es eine große Zielgruppe von Menschen, die sich lieber beruhigende Märchen erzählen lassen (und sie weiterverbreiten), als sich unbequemen Tatsachen zu stellen."
Für Menschen, die sich informieren und Argumente gegen weit verbreitete Mythen aneignen wollen, empfiehlt Rahmstorf die Webseite "ScepticalScience.com", die eine enzyklopädische Auflistung nahezu aller Skeptikerthesen und die fachlichen Gegenargumente liefere. Faktenchecks gebe es zudem auch auf der Seite "Klimafakten.de".
Im Kapitel "unlearn recht" geht es um die herrschende Rechtslage, die – bis auf einige Ausnahmen – für den Klima- und Naturschutz noch nicht sehr gut aussehe. Während Unternehmen und damit deren Gesellschafter und Anteilseigner – also nur einige wenige – Gewinne machten, würden die Kosten der Umwelt- und Klimakrise derzeit weiterhin der Allgemeinheit aufgebürdet.
Dabei strapaziere die Erderhitzung die öffentlichen Kassen auch jenseits von Katastrophen wie der Flutkatastrophe im Ahrtal – etwa wenn Waldbesitzer und Landwirte staatliche Fördermittel zum Ausgleich von Dürreschäden erhalten oder Städte Bäume pflanzen, Parks vergrößern und Sickerflächen anlegen, um besser gegen Hitzewellen und Starkregen gewappnet zu sein. "Einzelne machen Gewinne mit der Ausbeutung des Planeten, die Allgemeinheit zahlt", heißt es dazu.
Um Gerechtigkeit geht es auch im Kapitel "unlearn automobilität" der Mobilitätsexpertin Katja Diehl. "Bis heute investiert Deutschland mehr in Straßen als in Schienen", schreibt sie. Es werde so sehr aufs Auto gesetzt, dass in vielen Regionen Deutschlands heute nichts mehr ohne gehe, zumal ehemals gut funktionierende Strukturen des öffentlichen Nahverkehrs politisch gewollt marodiert oder ganz abgebaut worden seien.
Autos sind auch Thema im Kapitel "unlearn wachstum" der Wirtschaftsforscherin Claudia Kemfert. Sie verbrauchten zwar theoretisch weniger Sprit als früher, tatsächlich aber mehr. "Denn sie sind größer und schwerer geworden und haben durch Klimaanlage und elektronische Services unterm Strich einen höheren Energieverbrauch als die Spritfresser in früheren Jahrzehnten."
Zwar gingen die Emissionen, die eine Person mit dem Pkw pro Kilometer verursache, seit 1995 langsam zurück. "Aber gleichzeitig nahm der Pkw-Verkehr zu. Mehr Autos, mehr Strecke – und so sinken die Emissionen im Verkehrssektor nicht, teilweise steigen sie oder stagnieren."
Eine lebenswerte Zukunft schaffen
Ähnlich sei die Entwicklung beim Heizen: Zwar sei der sogenannte Raumwärmebedarf pro Quadratmeter seit Ende der 1990er-Jahre deutlich gesunken. "Nur leider liegt der Raumwärmebedarf, wenn man ihn pro Person berechnet, noch fast auf demselben Niveau wie 1990." Denn die Menschen lebten im Durchschnitt auf einer etwa 35 Prozent größeren Wohnfläche als 30 Jahre zuvor.
Es verwundere nicht, dass sich der Jubel über Ideen zu mehr Verzicht in weiten Teilen der Bevölkerung in Grenzen halte: "Schließlich wird uns seit etwa einem Jahrhundert mit viel Werbeaufwand vermittelt, dass Luxus und Konsum gleichbedeutend mit Glück und Erfolg sind." Verzicht werde immer noch häufig als nachteilig wahrgenommen. Verbote ohnehin.
Dabei sei der Blick in eine andere Zukunft absolut lohnenswert. Klar müsse werden: Dank Klimaschutz bleibt die Welt lebenswert. "Wenn es der Werbebranche jahrzehntelang gelungen ist, beengte Blechkisten als Hort der Freiheit und stinkende Zigaretten als cool & sexy zu verkaufen, sollte es doch auch möglich sein, eine lebendige Natur, frische Luft, eine Stadt der kurzen Wege, faire Preise und ein friedliches Miteinander als lebenswerte Zukunft zu präsentieren." (Annett Stein, dpa/mak)
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