Auch Rohstoffe für die Automobilindustrie haben im Amazonas-Regenwald ihren Ursprung. Die Vorwürfe, die den Abbau von Bauxit und die Aluminium-Produktion in Brasilien begleiten, wiegen schwer: Anwohner klagen über Umweltverschmutzung, Landaneignung und gesundheitliche Probleme. Eine Recherche zur Aluminium-Lieferkette vom Amazonas bis nach Deutschland.

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Für viele Produkte, die wir konsumieren, vernichten Unternehmen wertvollen Regenwald in Brasilien. Die gravierende Umweltzerstörung durch Palmöl-Plantagen und Soja-Anbau ist längst kein Geheimnis mehr. Doch auch Rohstoffe für die Automobilindustrie haben im Amazonas-Regenwald ihren Ursprung. So wird etwa Bauxit im Amazonas abgebaut und landet als Aluminium über lange Lieferketten bei mindestens einem deutschen Hersteller, wie Brancheninsider exklusiv gegenüber RiffReporter bestätigen.

Die Vorwürfe wiegen schwer: Der größten Bauxit-Mine Brasiliens wird Umweltverschmutzung und Landaneignung nachgesagt; eine Raffinerie, die das Erz verarbeitet, soll Tausende von Menschen krank gemacht haben. Lesen Sie die komplette Recherche zur Aluminium-Lieferkette vom Amazonas bis zu deutschen Autobauern hier.

Bergbau mitten im Amazonas-Gebiet

Knapp 9.000 Kilometer entfernt von Deutschland tragen Bulldozer bereits seit Jahren wertvolle Lehmschichten ab. Riesige Flächen Urwald verwandeln sich in eine rötliche, staubige Wüste. Mehrere Abbau-Plateaus der Mine befinden sich im brasilianischen Nationalpark Saracá-Taquera National Forest, mitten im Amazonas.

18 Millionen Tonnen Bauxit holt die Bergbaugesellschaft Mineração Rio do Norte (MRN) hier jährlich aus dem Boden. MRN ist Brasiliens größter Bauxitproduzent und -exporteur mit Sitz in der Region Porto Trombetas im Westen von Pará. MRN erklärte gegenüber RiffReporter, dass es für den Bergbau "jedes Jahr zwischen 300 und 400 Hektar" Wald abholze. Dies sei von den staatlichen Umweltbehörden "genehmigt".

Später wird der Regenwald renaturiert, also in einen möglichst naturnahen Zustand zurückgeführt. MRN berichtet von 7.398 Hektar wiederhergestellten Wald. Der ursprüngliche Regenwald aber ist weg.

Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem nächsten Bearbeitungsschritt: Vor dem Weitertransport wird das Bauxit gewaschen und getrocknet. Dabei fallen riesige Mengen an Schlamm an. Früher entsorgte MRN die Rückstände im nahe gelegenen Batata-See, für die dort lebenden Quilombolas, Nachfahren geflohener Sklavinnen und Sklaven, wurde die Nutzung des Wassers und ihre Lebensgrundlagen vor Ort stark erschwert. 1989 baute MRN auf öffentlichen Druck hin das erste Auffangbecken für den giftigen Abfall. 2020 gab es bereits 26 solcher Becken.

Vertreter der Quilombolas bemängelten die Situation in der Nähe des Bauxit-Abbaugebiets wiederholt. Zwischenzeitlich sei das Wasser nicht trinkbar gewesen, lautete ein Vorwurf, über den Reporterinnen des Naturschutz-Magazins Mongabay im Jahr 2020 berichteten.

Deutschlands Klima soll auch in Brasilien gerettet werden

Der Abbau von Rohstoffen wie Bauxit verursacht im Regenwald große Schäden. Ist eine Bergbau-Konzession erteilt, dringen viele Menschen in bisher weitgehend unberührte Territorien vor – Straßen, Schienen, Flug-Landeplätze, Dämme und Stromleitungen werden gebaut. Arbeiter lassen sich vor Ort nieder, häufig mit ihren Familien, sie bauen Häuser und betreiben Landwirtschaft. Der Amazonas, der größte zusammenhängende Regenwald der Welt und Heimat einer riesigen Vielfalt von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen, ist in Gefahr.

Wissenschaftler warnen vor einem drohenden "Kollaps” dieses einzigartigen Ökosystems. Die Erderwärmung macht sich bemerkbar: Der Regenwald trocknet aus, was nicht nur die Menschen vor Ort betrifft, sondern auch uns, hier in Deutschland. Stirbt der Amazonas weiter ab, könnten Überschwemmungen und Dürren weltweit zunehmen. Der Raubbau für den Soja-Anbau, für Palmöl-Plantagen und die Aluminiumproduktion beschleunigt die fatale Entwicklung.

Betroffene klagen wegen angeblicher gesundheitlicher Beschwerden gegen Norsk Hydro

Durch den Regenwald transportieren Schiffe das Bauxit über den Trombetas-Fluss zur Raffinerie Alunorte. Sie gehört zum norwegischen Aluminiumproduzenten Norsk Hydro ASA, der auch an der MRN-Mine beteiligt ist. Alunorte ist nach Firmenangaben die weltweit größte Aluminiumraffinerie außerhalb Chinas.

2018 geriet Hydro in die Kritik. Während starker Regenfälle im Februar 2018 berichteten Menschen, die in der Nähe der beiden Ausscheidungsbecken der Anlage lebten, dem Guardian über Überschwemmungen mit kontaminiertem Rotwasser und Schlamm.

Norwegen zahlt in den Amazonas-Fonds ein – und verdient am Aluminium-Geschäft

  • An der Herstellung von Aluminium verdienen nicht nur Firmen wie Hydro, sondern auch ihre Anteilseigner. Im Falle von Hydro ist der größte Anteilseigner die norwegische Regierung. Pikant: Norwegen gilt als größter Geldgeber des Amazonas-Schutzfonds.

Die Alunorte-Raffinerie ist gesetzlich verpflichtet, jegliches Abwasser zu reinigen. Doch das sei nicht geschehen, heißt einer der Vorwürfe. Was in jenen Tagen im Februar 2018 tatsächlich passierte, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Die international tätige Anwaltskanzlei Pogust Goodhead hat Beschwerden über angebliche Schäden gesammelt, die die Raffinerie Alunorte bei Belém im Bundesstaat Pará verursacht haben soll. Sie will erreichen, dass über 11.000 Betroffene entschädigt werden – wie viele Menschen wirklich betroffen sind, ist derzeit unklar.

"Die Opfer waren giftigen Abfällen und Schwermetallen aus der Aluminiumverarbeitung ausgesetzt, die gesundheitliche Probleme verursachen können, wie erhöhtes Auftreten von Krebs, psychische Erkrankungen, Gedächtnisverlust, Sehverlust, Kopfschmerzen, Hautkrankheiten, Magenprobleme und Durchfall", heißt es in der Beschwerde.

Da Hydro auch in den Niederlanden tätigt ist, hat Pogust Goodhead dort Klage eingereicht. Am 13. Oktober 2023 startet der erste mündliche Verhandlungstermin vor dem niederländischen Gericht in Rotterdam.

Das Unternehmen bestreitet die Vorwürfe

Hydro-Unternehmenssprecher Halvor Molland kritisiert, dass sich die Klage in den Niederlanden mit Klagen überschneide, die von brasilianischen Gerichten bereits abgewiesen worden seien. "Der niederländische Rechtsfall zitiert neun angebliche Ereignisse in den letzten zwanzig Jahren – einige davon sind eingetreten, andere nicht –, und keines davon hätte die von den Klägern behaupteten Schäden verursachen können", erklärt Molland. Wie lange eine Urteilsfindung dauern könnte, ist derzeit unklar.

Aluminium aus dem Regenwald – was Deutschland damit zu tun hat

Das Aluminium lässt sich vom Amazonas-Regenwald bis zu deutschen Produkten verfolgen. Mitarbeiter eines deutschen Autoherstellers erklärten sich zu einem Gespräch gegenüber RiffReporter bereit – unter der Prämisse, dass der Unternehmensname streng vertraulich bleibt. Was die Insider erzählen: "Die Alunorte Raffinerie, die MRN-Mine und die Paragominas-Mine sind schon die Hauptkette des Materials, das auch Hydro in den Hütten in Norwegen zu Aluminium weiterverarbeitet. Dementsprechend gehen wir stark davon aus, dass wir dieses Material auch in unserer Kette haben." Und wenig später: "Und das ist auch so."

Öffentlich bekannt ist, dass Hydro den europäischen Felgenhersteller CromodoraWheels mit CO₂-reduziertem Aluminium beliefert. Endkunden des Unternehmens sind auch deutsche und europäische Firmen: Audi, BMW, Ferrari, Maserati, Mercedes-AMG, Porsche, Seat, Skoda und VW. Audi teilte schon 2019 mit, dass Hydro "nachhaltiges, ASI-zertifiziertes Aluminium an Audi" liefere. Auch Porsche gab öffentlich bekannt, von Hydro "CO2-reduziertes Aluminium" abzunehmen.

Die Nachfrage nach Aluminium ist groß: Mit einem Verbrauch von 2,1 Millionen Tonnen ist Deutschland nach China mit 33,1 Millionen Tonnen und den USA mit 4,6 Millionen Tonnen der drittgrößte Verbraucher von neu erzeugtem Aluminium weltweit. Laut Prognosen wird sich der Einsatz allein der Automobilhersteller weltweit bis 2050 sogar verdoppeln.

Weil weniger Gewicht Treibstoff spart und die Reichweite der Batterie verlängert, ist das Metall bei Autobauern begehrt – sowohl bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren für Karosserie, Motorblock und Getriebe als auch für Elektroautos für Karosserie, Batteriekasten und Leistungselektronik.

Auch der Trend zu XXL-Fahrzeugen bindet mehr Rohstoffe. Im Durchschnitt sind die in Europa gebauten Autos heute sieben Zentimeter höher, zehn Zentimeter breiter und 20 Zentimeter länger als im Jahr 2000. Das durchschnittliche Gewicht eines Autos legte bis 2022 sogar um 20 Prozent auf rund 1,5 Tonnen zu.

Auch die Energiewende heizt die Nachfrage an – aber weniger als gedacht

Die Energiewende treibt die Aluminium-Nachfrage ebenfalls an – für Solaranlagen, Windräder, neue Stromtrassen.

Die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) hat 2022 den Materialverbrauch für das Erreichen der Ausbauziele der Bundesregierung berechnet. Für Windkraft- und Solaranlagen werden in Deutschland bis 2030 etwa 1,3 Millionen Tonnen Aluminium benötigt.

Ist die Energiewende also ein Rohstoff-Killer?

Die Nichtregierungsorganisation PowerShift glich zur Beantwortung dieser Frage öffentlich einsehbare Daten vom Volkswagen-Konzern ab. Demnach würde Volkswagen nur für 2030 und allein für seine Mobilitätsbatterien knapp 800.000 Tonnen Aluminium benötigen. Nur für Batterien, die ein einziger deutscher Autokonzern offenbar in einem Jahr verbauen will. Das entspricht ungefähr dem Achtfachen an Aluminium des gesamten geplanten Zubaus an Windkraftanlagen in Deutschland von 2021 bis 2030, welcher 100.000 Tonnen Aluminium erfordert.

Fest steht: Eine Energiewende mithilfe von E-Autos, Windrädern und Solaranlagen schafft neue Rohstoffbedarfe – und verursacht ökologische Probleme. Wie dieser Interessenkonflikt zu lösen ist, bleibt eine noch wenig beachtete Herausforderung.

Die Lieferkette bleibt eine Blackbox

Obwohl Deutschland weltweit zu den Hauptabnehmern von Aluminium zählt, sind die genauen Importe erstaunlich schwer zu ermitteln.

Die Außenhandelsstatistik kennt zwar die Länder, aus denen die Lieferung nach Deutschland kommt – Brasilien hat hier jedoch einen verschwindend geringen Anteil. Nach Angaben der Deutschen Rohstoff-Agentur werden für den Aluminium-Import im Jahr 2021 aus Brasilien nur 28.391 Tonnen ausgewiesen – das sind nicht einmal 0,2 Prozent der Gesamtimporte für Bauxit, Aluminiumhydroxid, Aluminiumoxid, legiertes und nicht-legiertes Aluminium und weitere Verarbeitungsstufen.

Dagegen importiert Deutschland satte 13,1 Prozent davon direkt aus den Niederlanden, 7,8 Prozent aus Frankreich und 4,6 Prozent aus Norwegen. Woher diese Rohstoffe ursprünglich stammen, bleibt in der Statistik jedoch unklar. Die Lieferketten, die von ihrem Produkt bis in den Amazonas-Regenwald zurückführen, bleiben für die Verbraucher in Deutschland somit unsichtbar.

Verwendete Quellen:

Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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