Christine Bronner ist eine Pionierin der Kinderhospizarbeit. Vor 20 Jahren gründete sie gemeinsam mit ihrem Ehemann das erste ambulante Kinderhospiz in Bayern, nachdem die beiden selbst den Tod zweier Kinder verkraften mussten. Wir haben sie besucht und mit ihr über ihre Arbeit, das Leben und das Sterben gesprochen.

Ein Porträt
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Malina Köhn sowie ggf. von Expertinnen oder Experten. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Eine hellblaue Wand, hellblaue Stühle und sogar hellblaue Tassen – die fröhliche Farbe dominiert im Konferenzraum des Ambulanten Kinderhospizes München. Einem Ort, den die allermeisten mit dem genauen Gegenteil verbinden.

In der kleinen Gemeinde Inning am Ammersee hat Christine Bronner vor über 20 Jahren mit ihrer Arbeit im Kinderhospizbereich begonnen. Sie begleitet Kinder auf ihrem schweren Weg, der oft mit dem Tod endet. Die 62-Jährige ist damit eine Pionierin in Bayern: Hier hat sie im Jahr 2004 gemeinsam mit ihrem Ehemann den ersten eigenständigen, ambulanten Kinderhospizdienst gegründet. Ein halbes Jahr später folgte die Gründung der Stiftung "Ambulantes Kinderhospiz München – AKM" als zuständiger Träger des Hospizdienstes.

Seitdem begleitet sie Familien zu Hause und in Kliniken. Dabei bieten Bronner und ihr Team den Familien psychologische Betreuung, Unterstützung bei bürokratischen Aufgaben. Sie stehen auch beratend zur Seite und geben Halt.

Als wir sie treffen, betritt Bronner lachend das Büro ihrer Stiftung, entschuldigt sich für die kleine Verspätung. Was auffällt: Sie lacht generell viel. Noch so ein vermeintlicher Gegensatz zu Tod, Trauer und Verzweiflung, die man mit der Hospizarbeit verbindet. Ihr auf den Fersen folgt Jagdhündin Anni, die es sich auf ihrer eigenen Decke gemütlich macht und uns aus wachen Augen mustert. Bronner nimmt sich einen Kaffee und erkundigt sich – Termin mit einer Journalistin hin oder her – zunächst bei ihrem PR-Mitarbeiter, wie sein Geburtstag war. Erst dann kann das Gespräch beginnen.

Familie Bronner gehört selbst zu den Betroffenen

Christine Bronner hat viel zu sagen, sie erzählt schnell und emotional. Und sie beginnt ganz am Anfang. Als sie mit der Kinderhospizarbeit startete, gab es für betroffene Familien so gut wie keine Hilfe. "Betroffen" sind all diejenigen Familien, bei denen entweder ein Elternteil oder ein Kind schwer oder lebensbedrohend krank oder bereits gestorben ist.

Auch die Bronners zählen dazu. Nachdem Christine Bronner eine Tochter und einen Sohn bekommen hat, hat das Schicksal schwer zugeschlagen: Erst starb mit Sohn Simon das dritte Kind noch im Mutterleib. Wenige Jahre später starb auch Tochter Stefanie kurz nach der Geburt in den Armen ihrer Mutter. "Wir haben erlebt, wie es ist, allein gelassen zu werden, keine Hilfe zu haben und mit dem Tod unserer Kinder irgendwie zurechtzukommen", sagt sie. Diese traumatischen Erlebnisse veranlassten das Ehepaar dazu, etwas zu tun – sie wollten etwas verändern. Andere Familien sollen nicht dasselbe durchmachen müssen.

Bronner war vor dem Tod ihrer beiden Kinder als Musiktherapeutin und -pädagogin tätig. Doch das reichte ihr nicht aus, als sie erst einmal den Entschluss gefasst hatte, etwas ändern zu wollen. "Ich habe gemerkt, dass es einen bunten Blumenstrauß an Notwendigkeiten braucht, um betroffene Familien adäquat zu unterstützen", erzählt die 62-Jährige.

Also bildete sie sich weiter – und zwar in vielen Bereichen. Bronner ist inzwischen gelernte Therapeutin, Sozialpädagogin, Psycho-Traumatologin, Palliativ-Care-Fachkraft und natürlich Geschäftsführerin des Ambulanten Kinderhospiz München (AKM). Sie hat Krisenintervention und Kinderschutz gelernt, lehrt gemeinsam mit einer Professorin Palliativmedizin an der TU München und studiert derzeit außerdem selbst noch Medizinethik im Master. All das, um eine bestmögliche Betreuung der Familien zu gewährleisten.

"Mein Mann und ich haben das schier nicht verkraftet, was die anderen erzählt haben."

Christine Bronner über ihre Erfahrung in einer Selbsthilfegruppe

Nach dem Verlust ihrer Kinder wurde Christine Bronner und ihrem Mann eine Selbsthilfegruppe für verwaiste Eltern ans Herz gelegt. Rückblickend sagt sie, dass es damals noch viel zu früh für sie war, mit anderen Familien über deren Traumata zu sprechen. "Mein Mann und ich haben das schier nicht verkraftet, was die anderen erzählt haben. Es ging uns schon schlimm genug und dann noch die anderen … Wir konnten die anderen Eltern nicht auffangen und uns wurde dabei auch nicht geholfen."

Ihre Kinder haben in dieser Zeit keinerlei professionelle Unterstützung erhalten. "Ich habe gesehen, wie sehr meine Kinder unter der Situation gelitten haben. Wie sehr sie Ansprechpersonen gebraucht hätten, die es nicht gab und die wir nicht sein konnten, weil wir selbst so betroffen waren."

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Aus dieser Erfahrung heraus entstand der Wunsch, nicht nur zu helfen, sondern auch zu forschen und die Strukturen zu verändern. Das gelingt ihr heute. Dank der Stiftung engagiert sich Bronner verbandspolitisch auf Länder- und Bundesebene, setzt sich für betroffene Familien ein. Durch ihre Arbeit im Fachgremium des Deutschen Kinderhospizvereins arbeitet sie an Formulierung von Rahmenvereinbarungen und an der Gesetzgebung mit – alles aus der Position der Betroffenen heraus und der Organisationen, die ihnen helfen sollen.

Bronner weiß, wovon sie spricht, wenn sie sagt, dass betroffene Familien etwas leisten müssen, "was man eigentlich nicht wirklich leisten kann im Leben. Es ist eine extreme Herausforderung und trotzdem schaffen sie es. Und sie dabei zu unterstützen, sehe ich nicht als politische Aufgabe, sondern eigentlich als gesellschaftliche und damit auch politische Selbstverständlichkeit."

In Deutschland gibt es mittlerweile über 100 stationäre und ambulante Kinderhospize. Und die sind mehr als nötig, denn Schätzungen zufolge sind um die 50.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland schwerst- oder sterbenskrank. Familien, bei denen ein Elternteil betroffen ist, sind nicht mit eingerechnet.

20 Jahre lang hat Christine Bronner dafür gekämpft, dass Kinder eine eigene Rahmenvereinbarung in der ambulanten und stationären Versorgung bekommen. "Kinder gehören in kinderfachgerechte Hände!", sagt sie, betont dabei jedes Wort und beugt sich über den Tisch. Ihre Wut ist spürbar. Grund dafür sind Erwachsenenhospize, die zusätzlich auch Kinder betreuen, da diese mehr Spenden generieren als Erwachsene. Bei diesem Thema wird sie, wie sie selbst sagt, zur "Löwin". Wer sich um Kinder kümmern will, kranke oder gesunde, muss es gelernt haben. Alles andere sei ein Verbrechen. "Kinder sind kostbar. Jedes einzelne. Kinder sind das Kostbarste, was wir haben. Und wir gehen damit um, als seien sie unser Selbstbedienungsladen."

Kinder, Schildkröten, Rehe – Bronner hilft allen

Fragt man Christine Bronner nach ihrem Privatleben, wird sie merklich ruhiger, legt die Hände in den Schoß und lacht viel. Sie erzählt von ihren drei Kindern – nach den großen Verlusten erblickte ein paar Jahre später Sohn Severin das Licht der Welt – und von ihren beiden Enkelkindern, die ihre "ganze Freude" seien.

Ihre Familie, ausgiebige Spaziergänge in der Natur rund um den Ammersee und ihre Tiere geben Christine Bronner die Kraft für ihren stressigen Arbeitsalltag und sind ein Ausgleich für das, was sie tagtäglich erlebt.

Wenn Bronner über ihr Privatleben spricht, wird deutlich, dass Helfen und Unterstützen nicht nur in ihrem Beruf eine wichtige Rolle spielen. Besonders deutlich wird das bei ihren Tieren. Und damit ist nicht nur Jagdhündin Anni gemeint, die geduldig zu ihren Füßen liegt, während wir sprechen, und die bei ihrer Geburt nur halb so viel gewogen hat wie üblich.

Christine Bronner und ihr Ehemann Florian sind nämlich noch stolze Halter einer Schildkröte und zweier Rehe, die in ihrem Garten leben. Die Besonderheit: Schildkröte "Mäxle" wurde falsch gehalten, bevor er zu den Bronners kam, und hat Organschäden davongetragen. Und auch die Rehe wurden als Kitze mutterlos und krank aufgefunden. "Liesl" und "Sixtus" sind inzwischen beide erwachsen, gesund und handzahm. "Das ist jeden Morgen so ein Geschenk, wenn die dann schon dastehen und einen begrüßen an der Haustür und sie einem vertrauen und man sie streicheln darf. Wer darf schon ein Reh streicheln?", erzählt Bronner selig lächelnd und kommt ins Schwärmen.

Der stille Moment der Lebensvulkane

Die Natur und ihr Zuhause erden Christine Bronner, wie sie selbst sagt. Das und ihre professionelle Distanz helfen ihr, ihren Job tagtäglich auszuüben. Wobei sie selbst das Wort "Distanz" nicht leiden kann. "Das suggeriert, ich hätte Berührungsängste. Die habe ich nicht. Im Gegenteil: Ich muss den nötigen Abstand wahren können. Aber der Abstand muss nicht notwendigerweise räumlich sein, der muss innerlich gewahrt bleiben. Das ist der Unterschied zwischen Mitfühlen und Mitleiden."

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Diese Professionalität haben schon über 1.000 Patientinnen und Patienten erfahren – teils persönlich, vorwiegend jedoch eher indirekt durch den Aufbau und die Führung der Stiftung. Die Menschen, denen Christine Bronner geholfen hat, waren allerdings nicht notwendigerweise Kinder. Denn bevor sie sich auf die Kinderhospizarbeit spezialisiert hat, hat sie auch Erwachsene palliativ bis zu ihrem letzten Atemzug begleitet. Der erste war ihr eigener Vater.

Was der größte Unterschied in der Hospizarbeit mit Kindern und Erwachsenen ist? "Kinder leben, mit allem, was ihnen zur Verfügung steht. Die Uhr bleibt nicht stehen. Das sind Lebensvulkane!", lacht Bronner – was auch das Motto der Stiftung beschreibt: "Nicht das Leben mit Tagen, sondern die Tage mit Leben füllen."

"Es war nicht möglich, die Trauer zu leben, weil ich sonst ertrunken wäre in meiner eigenen Trauer."

Christine Bronner über die Zeit nach dem Verlust ihrer Kinder

Doch auch in der Kinderhospizarbeit gibt es einen Moment, in dem es still wird und die Zeit stehen bleibt: Wenn die Kinder sterben.

Dieser Moment verändert das Leben einer Familie für immer, sagt Bronner. "Unsere Software sagt: Alt geht, jung kommt, jung bleibt und alt geht wieder. Das ist der Circle of Life. Darin kommt der Tod eines Kindes aber nicht vor."

Christine Bronner beschreibt es als eine Trauerdimension, die man schwer in Worte fassen kann. Sie erinnert sich an ihre eigenen Gefühle nach dem Tod ihrer Kinder: "Es war nicht möglich, die Trauer zu leben, weil ich sonst ertrunken wäre in meiner eigenen Trauer. Es bringt einen absolut an die eigenen Grenzen. Manchen mag es zerbrechen. Um das zu verhindern, machen wir unsere Arbeit. Damit die Menschen daran nicht zerbrechen."

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