Ob ein Kind ein Gymnasium besucht, hängt laut einer Studie des ifo-Instituts immer noch sehr oft damit zusammen, welchen sozialen Hintergrund es hat. Die aktuelle Auswertung zeigt auch: Es gibt deutliche Unterschiede, in welchen Bundesländern es besonders viel Nachholbedarf in Sachen Bildungsgerechtigkeit gibt.
Kinder aus Familien mit geringerem Bildungsgrad und kleinerem Einkommen gehen einer Studie zufolge seltener aufs Gymnasium als Gleichaltrige aus bessergestellten Familien mit höherer Bildung. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Wie die Untersuchung des ifo-Instituts zeigt, besuchen in Deutschland knapp 27 Prozent der Kinder mit Eltern, die weder Abitur haben noch zum oberen Viertel der Einkommen gehören ein Gymnasium. In Familien mit mindestens einem Elternteil mit Abitur und/oder einem Haushaltseinkommen im oberen Viertel sind es knapp 60 Prozent.
Wie lief die Studie ab?
- Analysiert wurden Haushalte mit mindestens einem Kind zwischen 10 und 18 Jahren mit Blick darauf, ob die Kinder an Gymnasien oder Universitäten lernten.
- Als zweiter Faktor wurde das Haushaltsnettoeinkommen berücksichtigt und ob dieses mit mindestens 5.000 Euro im Monat im oberen Viertel lag.
- Insgesamt wurde laut Studie eine Stichprobe von 102.005 Kindern untersucht. Die Daten stammen von 2018 und 2019.
- Die Fallzahlen pro Bundesland reichten von 947 Kindern in Bremen bis 23.022 Kindern in Nordrhein-Westfalen.
Studie zeigt große Ungleichheiten auf
Die Studie kommt zum Ergebnis, dass es in allen Bundesländern sehr ungleiche Bildungschancen gebe. Wenn die Eltern Abitur und ein hohes Einkommen haben, ist es für Kinder der Studie zufolge deutlich wahrscheinlicher, dass sie ein Gymnasium.
In der Pressemitteilung des ifo-Instituts heißt es dazu: "Es ist etwa halb so wahrscheinlich (Berlin: 53,8 Prozent; Brandenburg: 52,8 Prozent), dass Kinder aus benachteiligten Verhältnissen ein Gymnasium besuchen wie Kinder aus günstigen Verhältnissen. Bundesweit beträgt der Wert 44,6 Prozent. Am unteren Ende liegen Sachsen mit 40,1 und Bayern mit 38,1 Prozent. Chancengleichheit wäre bei 100 Prozent erreicht."
Das heißt: In Berlin und Brandenburg wirken sich ungünstige Bedingungen noch am wenigsten negativ auf die Bildungschancen von Kindern aus. In Sachsen und Bayern ist die Chancengleichheit dagegen am geringsten. Die Reaktion aus Bayern folgt direkt: Die bayerische Staatsregierung hat die Wissenschaftler öffentlich scharf attackiert. Die Studie sei einseitig, fragwürdig und methodisch verfehlt, sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann. "Wir sind ja immer offen für Kritik. Aber wenn diejenigen, die es beurteilen wollen, offenkundig von der Sache keine Ahnung haben, dann ist es eine angebliche Expertise, die dann nur irreführend, sinnlos und letztlich nutzlos ist."
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Bildung: Soziale Herkunft immer noch entscheidend
Die Untersuchung bestätigt Befunde anderer Bildungsstudien, wonach Bildungschancen in Deutschland stark mit der sozialen Herkunft zusammenhängen. Die festgestellten Unterschiede seien statistisch, bildungspolitisch und wirtschaftlich bedeutsam, hieß es. "Tatsächlich verdienen Menschen mit Abitur im Durchschnitt monatlich netto 42 Prozent mehr als Menschen ohne Abitur."
Die Autoren fordern unter anderem, die frühkindliche Bildungsangebote für benachteiligte Kinder auszubauen und eine Aufteilung auf unterschiedliche weiterführende Schulen zu verschieben. Verwiesen wird auf Berlin und Brandenburg, wo die Grundschulzeit im Unterschied zu allen anderen Bundesländern erst nach der sechsten Klasse endet.
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Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) plädiert sogar für ein noch längeres gemeinsames Lernen. "Die Chancengleichheit in der Bildung erhöht sich, wenn die Schülerinnen und Schüler mindestens bis zur 10. Klasse zusammen lernen. Das zeigt das Beispiel der skandinavischen Staaten. Je weniger Selektion, desto besser kann jedes Kind seine Bildungspotenziale entwickeln", sagte GEW-Vorstandsmitglied Anja Bensinger-Stolze am Montag in einer Mitteilung der Gewerkschaft. (dpa/tar)
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