Einige große gesellschaftliche Themen bereiten den Deutschen Sorgen, wie der aktuelle Sozialbericht zeigt. Dazu zählen Migration, die Einkommensentwicklung und der Klimawandel. Ein besonderes Problem, auf das der Bericht hinweist, ist die Vermögensungleichheit im Land.

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Wie geht es den Deutschen? Was beschäftigt sie besonders? Und welche Unterschiede gibt es weiterhin zwischen Ost- und Westdeutschland? Unter anderem diese Fragen beantwortet der Sozialbericht 2024, der am Mittwoch (6. November) vorgestellt wurde.

Bericht zeigt hohe Vermögensungleichheit in Deutschland

Bei der Vorstellung des Berichts betonte Philip Wotschack vom WZB besonders die Vermögensungleichheit in Deutschland. 2021 verfügten die obersten zehn Prozent der Haushalte über 56 Prozent des Gesamtvermögens. Deutschland zählt damit im europäischen Vergleich zu den Spitzenreitern, was die Ungleichheit angeht. Eine wichtige Ursache dafür, dass Vermögensunterschiede in Deutschland über Generationen hinweg bestehen bleiben, sind Schenkungen und Erbschaften.

Im Durchschnitt ist das Nettovermögen in Deutschland in den vergangenen Jahren stark gestiegen, besonders durch stark gestiegene Immobilienpreise. Zwischen 2010/11 und 2021 stieg das Vermögen der Haushalte in Deutschland durchschnittlich um 62 Prozent - von 195.200 Euro auf 316.500 Euro. Die Inflation eingerechnet, ist das ein Zuwachs von 39 Prozent.

Zwischen Ost- und Westdeutschland gibt es aber weiterhin große Unterschiede: Ostdeutsche Haushalte verfügten mit durchschnittlich 150.900 Euro über ein deutlich geringeres Vermögen als westdeutsche Haushalte mit 359.800 Euro.

Was ist das Nettovermögen?

  • Das Nettovermögen setzt sich aus allen Sach- und Finanzwerten abzüglich bestehender Kredite und anderer Verbindlichkeiten zusammen.

Wie WZB-Experte Wotschack erklärt, lassen sich die Unterschiede zum einen mit dem weiterhin geringeren Lohnniveau in Ostdeutschland erklären, das einen Vermögensaufbau erschwere. Zudem weise der Immobilienmarkt im Osten aufgrund von Bevölkerungsrückgang keine oder geringere Wertsteigerungen auf. Als dritte Ursache sieht er die historisch beschränkten Möglichkeiten zum privaten Vermögensaufbau in der DDR. Zum Beispiel seien Aktien- und Finanzanlagen nicht möglich gewesen.

"Haushalte, die einmal unter die Armutsgrenze gerutscht sind, bleiben dort häufig."

Philip Wotschack vom WZB

Die Armutsrisikoquote ist laut dem Bericht zwar insgesamt etwas gesunken und die Einkommensunterschiede zwischen Ost und West haben sich weiter angeglichen. Allerdings lebte fast ein Sechstel der Haushalte unterhalb der Armutsrisikoschwelle.

"Mehr als die Hälfte der armutsgefährdeten Bevölkerung war 2021 von dauerhafter Armut betroffen, mit Armutsperioden von drei Jahren und mehr", heißt es im Bericht. "Haushalte, die einmal unter die Armutsgrenze gerutscht sind, bleiben dort häufig", sagt Wotschack. Dabei sei das Armutsrisiko im Osten höher als im Bundesdurchschnitt.

Was ist die Armutsrisikoschwelle?

  • Die Armutsrisikoschwelle liegt bei weniger als 60 Prozent des Medians des Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens. Die verfügbaren durchschnittlichen Äquivalenzeinkommen privater Haushalte lagen im Jahr 2022 bei 2.000 Euro.

Die Sorgen der Deutschen

Es gibt einige "wunde Punkte" in der Gesellschaft, sagt Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). 2021 hätten die Auswirkungen der Corona-Pandemie noch stark im Fokus gestanden, diese seien auch 2024 weiterhin zu spüren.

"Hinzu kamen jedoch in den vergangenen Jahren multiple Krisen, darunter der seit Februar 2022 andauernde russische Großangriff gegen die gesamte Ukraine. Dieser hat auch in Deutschland Auswirkungen auf den Lebensalltag in vielen gesellschaftlichen Bereichen", so Krüger.

Der starke Anstieg der Lebenshaltungskosten 2022 habe erstmals seit vielen Jahren zu einem Rückgang der durchschnittlichen Realeinkommen geführt. "Der Preisauftrieb war im Lebensalltag vor allem für Menschen mit geringerem Einkommen deutlich spürbar und führte zu merklichen Einschränkungen."

Eine weitere Belastung ist der Klimawandel. Zwar habe die allgemeine Lebenszufriedenheit der Menschen ein hohes Niveau erreicht, aber es gebe große Sorgen wegen des Klimawandels, erklärt Wotschack. "90 Prozent der Menschen sind wegen des Klimawandels besorgt, fast die Hälfte gab an, sich große Sorgen zu machen."

"Ein großer Teil der Bevölkerung ist mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden."

Philip Wotschack vom WZB

Der neue Sozialbericht zeigt zudem, dass die Zustimmung zur Demokratie als Staatsform ungebrochen hoch ist. Allerdings sagt Wotschack: "Ein großer Teil der Bevölkerung ist mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden." Die Unzufriedenheit habe seit 2020 im Westen wie im Osten deutlich zugenommen. In Ostdeutschland ist sie laut dem Bericht besonders hoch: Weniger als die Hälfte der Bevölkerung ist hier mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden. "Die Zahlen sind alarmierend, auch weil ein deutlich negativer Trend in den vergangenen Jahren zu erkennen ist", fügt Krüger an.

Zu den Themen, die die Deutschen beschäftigen, zählen auch Zuwanderung und Integration. "Infolge des Angriffskriegs flohen über eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland, was Fragen der Integration der Geflüchteten aufgeworfen hat", so Krüger. Generell dominiere das Thema des Umgangs mit Flucht und Migration spätestens seit Sommer 2024 die öffentlichen Debatten. "Schreckliche Ereignisse wie der blutige Messerangriff in Solingen mit drei Toten führten zu einer scharfen Rhetorik, die das Thema Zuwanderung stark auf die Probleme der inneren Sicherheit zuspitzt."

Ein Viertel der Bevölkerung hat eine Einwanderungsgeschichte

  • Im Jahr 2023 lebten rund 16,2 Millionen Eingewanderte und weitere 5 Millionen direkte Nachkommen Eingewanderter in Deutschland sowie 4 Millionen Menschen mit einem eingewanderten Elternteil.
  • Gut ein Viertel der Bevölkerung hat damit eine Einwanderungsgeschichte und weitere knapp 5 Prozent eine einseitige Einwanderungsgeschichte.
  • Laut dem Bericht stammten außerdem Ende 2023 knapp 1 Million Schutzsuchende (fast ein Drittel aller Schutzsuchenden) aus der Ukraine.

Krüger appelliert, die Themen Flucht beziehungsweise Asyl und Migration in öffentlichen Debatten sauber voneinander zu unterscheiden: "Ein umfassender Blick auf beide Themen und eine Versachlichung der Debatten sind dringend vonnöten."

Die deutsche Gesellschaft sei bereits jetzt sehr divers, jeder vierte Mensch habe eine Einwanderungsgeschichte, betont Krüger. Er hebt hervor, dass trotz der "wunden Punkte" nicht vergessen werden sollte, "dass Deutschland weiterhin ein Land hoher Lebensqualität ist". Das Wohlstandsniveau und das Funktionieren des Sozialstaates sollten nicht kleingeredet werden.

Über den Sozialbericht

  • Der erste "Datenreport" erschien im Jahr 1983. Dieses Jahr wurde der Name in "Sozialbericht" geändert. Er zeichnet ein umfassendes Bild der Sozialverhältnisse in Deutschland. Dafür werden Daten der amtlichen Statistik mit Erkenntnissen der empirischen Sozialforschung kombiniert.
  • Er wird herausgegeben vom Statistischen Bundesamt (Destatis), dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in Zusammenarbeit mit dem Sozio-ökonomischen Panel (SOEP).

Verwendete Quellen

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