• "Zu diesem Impfstoff gibt es keine Langzeit-Daten, niemand kann die Nebenwirkungen abschätzen", lautet ein Einwand gegen die COVID-19-Impfung.
  • Eine Spezialistin erklärt, warum fehlende Langzeitdaten nicht das Problem sind - gerade im Fall des COVID-19-Impfstoffes.

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In der langen Geschichte des Impfens haben Impfstoffentwicklungen bisher immer zehn bis 20 Jahre gedauert. Da ist es mehr als nachvollziehbar, dass sich nun viele Menschen fragen: Kann der COVID-19-Impfstoff genauso sicher sein, wo er doch in Rekordzeit auf den Markt kam? Was viele befürchten, sind Langzeitfolgen, über die man jetzt noch nichts wissen kann. Für den Ausdruck "Langzeit" gibt es bei der Zulassung aber gar keine Definition, und das hat seinen Grund.

"Das Wort 'Langzeitschaden' hat sich hier im täglichen Sprachgebrauch etabliert und wird vielfach fälschlich – übertragen auf die aktuelle Situation - interpretiert als 'Schaden, den die Impfung erst nach langer Zeit verursacht'", erklärt dazu Petra Falb, Gutachterin in der Zulassung für Impfstoffe beim österreichischen Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, in ihrem Blog. Solche "Spätnebenwirkungen", die etwa erst fünf Jahre nach der Impfung plötzlich auftreten, könne es schon aus biologischen Gründen nicht geben.

  • Die wissenschaftliche Erklärung: Im Gegensatz zu Pharmazeutika wie Antibiotika, Antihistaminika oder Cortison erhält man einen Impfstoff nicht als Dauertherapie: "Man bekommt ihn einmal, vielleicht im Rahmen einer Grundimmunisierung ein zweites oder drittes Mal, aber auch das dann in Abständen von Wochen oder Monaten, danach vielleicht nie mehr oder vielleicht alle fünf oder zehn Jahre", schreibt Falb.
  • Die genannten Pharmazeutika können sich laut der Expertin bei längerer Therapie im Körper anreichern, werden abgebaut, wodurch Zwischenprodukte entstehen - sogenannte Metaboliten. In der Wissenschaft nennt man diesen Verlauf "Pharmakokinetik". "Ein Impfstoff hat keine Pharmakokinetik, da hier nichts verstoffwechselt wird", erläutert sie weiter.

Es würden also keine neuen Metaboliten im Körper erzeugt, es reichere sich durch eine Impfung nichts Entsprechendes im Körper an, daher gelte: "Nebenwirkungen zeigen sich binnen weniger Stunden bis ein bis zwei Tage nach der Impfung".

Auch allergische Reaktionen träten bald nach der Verabreichung ein. "Als sehr seltene Nebenwirkungen sind unterschiedliche Autoimmunreaktionen möglich, aber selbst diese treten spätestens nach wenigen Wochen auf", fügt sie hinzu.

Häufiger Irrtum: Schäden, die erst Jahre nach der Impfung auftreten?

Zwar sei es wichtig, Daten zu Impfstoffen über einen längeren Zeitraum zu erheben. Die Gutachterin tritt aber einem häufigen Irrtum entgegen:

  • "Langzeit" beziehe sich bei Impfstoffen nicht auf die Zeit, nach der eine Nebenwirkung auftritt, "sondern auf die Zeit, nach der überhaupt genug Personen geimpft sind, um selbige dem Impfstoff sicher zuordnen zu können!"

Es gebe eben Nebenwirkungen, die so selten seien, dass sie erst nach langer Zeit bekannt werden würden. Dies bedeute aber nicht, dass eine Nebenwirkung bei einem Menschen erst Jahre nach der Impfung aufgetreten sei: "Wenn eine bestimmte Nebenwirkung nur bei einer von 20.000 oder einer von 50.000 oder 100.000 Personen auftritt, brauchen wir eine sehr große Anzahl geimpfter Personen, um diese überhaupt zu erkennen – und bis genug Personen geimpft sind, dauert das einfach normalerweise eine längere Zeit. Auch eine umfangreiche klinische Studie kann sehr seltene Nebenwirkungen im Allgemeinen nicht zeigen."

Der Wiener Impfspezialist Herwig Kollaritsch verdeutlicht das im Gespräch mit unserer Redaktion am Beispiel Gelbfieberimpfung: "Hier gab es die Erstbeschreibung einer seltenen Nebenwirkung erst nach 63 Jahren. Sie war also so selten, dass man erst nach vielen Jahren überhaupt auf sie aufmerksam wurde." Derartiges ließe sich auch bei der COVID-19-Impfung nicht ausschließen. Statistisch würden solche Nebenwirkungen aufgrund ihrer Seltenheit aber nicht ins Gewicht fallen.

Berühmtes Beispiel: Schweinegrippe

Der irreführende Begriff "Langzeit-Nebenwirkungen" könnte im Volksmund entstanden sein durch Langzeit-Impfschäden, die tatsächlich möglich sind. In sehr seltenen Fällen sei es etwa bei der Pockenimpfung zu einer impfbedingten Gehirnhautentzündung gekommen, erläutert Falb. Diese sei aber "im Schnitt innerhalb einer Woche nach der Impfung" aufgetreten, nicht erst Jahre später. Die Expertin merkt dazu an, dass die entsprechenden Impfstoffe von damals es nach heutigen Kriterien nicht mehr durch den Zulassungsprozess schaffen würden.

Das vielleicht noch berühmtere Beispiel: Fälle von Narkolepsie (seltene Schlaf-Wach-Störung) nach einer Pandemrix-Impfung zu Zeiten der sogenannten "Schweinegrippe": "Die Häufigkeit dieser Nebenwirkung liegt bei etwa 1:20.000, das Auftreten geschah im Schnitt innerhalb weniger Wochen nach der Impfung, in einigen einzelnen Fällen etwa vier Monate danach", schilder Falb. Bemerkt worden sei diese Nebenwirkung aufgrund ihrer Seltenheit aber erst nach etwa einem Jahr. Immer noch wird untersucht, welche Rolle Pandemix bei der Entwicklung der Narkolepsie spielte.

In den Köpfen der Menschen hat sich aus Falks Sicht aber eines festgesetzt: ",Ein Spätschaden! Das war ja erst nach einem oder zwei Jahren!'. Nein, war es nicht", widerspricht sie. Der Schaden selbst sei bereits deutlich früher aufgetreten.

Corona: Viele Daten "Traum für die Behörden"

Zwei Faktoren seien in der aktuellen Situation von großem Vorteil: "Die Anzahl der Probanden schon in den klinischen Studien vor der Zulassung war auffallend groß", erklärt sie. Sie habe sich bei anderen, ebenfalls neu zugelassenen Impfstoffen in Europa meist zwischen 10.000 und 15.000 bewegt. Bei Pfizer/Biontech waren es mehr als 43.000.

Zweitens: Weil schon Millionen Menschen geimpft sind, würden sehr seltene Nebenwirkungen auch sehr schnell erkannt werden: "Da die Impfkampagnen mittlerweile weltweit laufen, ist die Anzahl der Personen, von denen sehr schnell Daten zur Verfügung stehen, also hier extrem hoch – ein unter normalen Umständen quasi unerfüllbarer Traum auch für die Behörden."

Wer sich impfen lässt, muss mit Reaktion des Körpers rechnen

Für Aufsehen sorgen derzeit mehrere Todesfälle nach Impfungen in Norwegen, die das Paul-Ehrlich-Institut derzeit untersucht. Die Experten halten einen Zusammenhang mit der Immunisierung aber für eher unwahrscheinlich. "Aufgrund der Daten, die wir haben, gehen wir davon aus, dass die Patienten an ihrer Grunderkrankung gestorben sind - in zeitlich zufälligem Zusammenhang mit der Impfung", sagte Brigitte Keller-Stanislawski, die zuständige Abteilungsleiterin für die Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukten.

Wer sich impfen lässt, muss allerdings gefasst sein auf eine spürbare Impfreaktion des Körpers. Die Häufigkeit solcher Reaktionen wurde bei den zugelassenen COVID-19-Impfstoffen innerhalb von bis zu 14 Wochen nach bei Geimpften mit einer Placebogruppe verglichen (die nur einen Scheinimpfstoff erhielt). Das waren laut Robert-Koch-Institut (RKI) die häufigsten Reaktionen:

  • Schmerzen an der Einstichstelle (BioNTech/Pfizer: 83 Prozent (in der Placebo-Gruppe: 14 Prozent), Moderna: 88 Prozent (Placebo: 17 Prozent).
  • Abgeschlagenheit: BioNTech/Pfizer: 47 Prozent (Placebo: 23 Prozent), Moderna: 65 Prozent (Placebo: 33 Prozent).
  • Kopfschmerzen: BioNTech/Pfizer: 42 Prozent (Placebo: 23 Prozent), Moderna: 59 Prozent (Placebo: 34 Prozent).
  • Fieber trat nach der ersten Impfdosis seltener auf (vier Prozent bei BionTech, 0,8 Prozent bei Moderna bzw. ein Prozent und 0,3 Prozent in den Placebo-Gruppen) als nach der zweiten Impfdosis (16 und 15,5 Prozent nach der Impfung; null bwz. 0,3 Prozent in den Placebo-Gruppen).

Paul-Ehrlich-Institut bekräftigt: Impfstoffe sorgfältig geprüft

Warum im Fall des COVID-19-Impfstoffes alles so schnell ging: Bei der Zulassung - in der EU war es wohlgemerkt keine Notfall-, sondern eine sogenannte bedingte Marktzulassung - wurde das "Rolling-Review-Verfahren" angewandt. Dabei können Arzneimittelhersteller schon vor dem vollständigen Zulassungsantrag einzelne Berichte über die Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit ihres Präparats einreichen - die Erkenntnisse werden also parallel zur Entwicklung geprüft, nicht erst ganz am Ende.

Das machte das Verfahren schneller, aber nicht unsicherer: "Ein Rolling Review und ein beschleunigtes Bewertungsverfahren bedeuten nicht, dass es Abstriche hinsichtlich der Sorgfalt bei der Prüfung geben wird", schreibt das für Impfstoffe und Arzneimittel zuständige Paul-Ehrlich-Institut.

Auch dort beruhigt man hinsichtlich der von vielen befürchteten Nebenwirkungen: "Langzeit-Nebenwirkungen, die erst nach Jahren auftreten, sind bei Impfstoffen generell nicht bekannt", erklärte Susanne Stöcker, Pressesprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts im Gespräch mit dem ZDF. "Die meisten Nebenwirkungen von Impfungen treten innerhalb weniger Stunden oder Tage auf. In seltenen Fällen auch mal nach Wochen."

Verwendete Quellen:

  • "So funktioniert's! Komplexe Themen einfach erklärt", Blog von Petra Falb, Gutachterin in der Zulassung für Impfstoffe beim österreichischen Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen
  • Robert-Koch-Institut
  • Paul-Ehrlich-Institut
  • ZDF
  • dpa

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